2. Bundesliga
Emir Kurtagic: Der „Herrscher“ will Gummersbach ärgern
Trainer des TuS N-Lübbecke kehrt heute zum Spitzenspiel ins Oberbergische zurück, in dem er 22 Jahre zu Hause war.

Kommt in meine Arme: Emir Kurtagic ist in jedem Spiel mit Herz und Leidenschaft dabei. Eine Frage an die Unparteiischen gehört gelegentlich dazu. (Foto: Thomas Schmidt)

Den Handball hat Emir Kurtagic im Blut. Wie sein drei Jahre älterer Bruder Sead. Ganz klar verantwortlich dafür: Vater Esad Kurtagic, der auch zu den Handball-Verrückten gehört und mit der aus Bosnien stammenden Familie irgendwann im Oberbergischen landet. Irgendwann heißt: Vor ziemlich langer Zeit. Und im Oberbergischen heißt: VfL Gummersbach. Es wird für Emir Kurtagic der Beginn einer besonderen Beziehung, die er für den Rest seines Lebens weder vergessen kann noch will – weil sie ihn geprägt hat, weil er bis heute am VfL hängt. „Gummersbach, das sind 22 Jahre meines Lebens und so viele Erinnerungen“, sagt Kurtagic, „das legst du nicht einfach weg.“ Und am liebsten hätte er es wohl, dass sie beim VfL den Abstieg aus der höchsten deutschen Klasse möglichst rasch reparieren können: „Der VfL ist wirklich ein großer Verein, der für mich in die 1. Liga gehört.“ Das klingt beinahe wie eine Liebeserklärung. Blöd nur: Emir Kurtagic arbeitet inzwischen für den TuS N-Lübbecke – einst besser bekannt unter dem Namen TuS Nettelstedt. Und der TuS kommt am Samstag als Dritter zum Spitzenspiel beim Zweiten nach Gummersbach. Da versteht es sich von selbst, dass der Coach der Gäste alles in seiner Macht Stehende probieren wird, um die Schwalbe-Arena mit einem Erfolg zu verlassen. 

Die eigene Zeit in Gummersbach endete vor gut dreieinhalb Jahren im Grunde am 22. März 2017 und dann offiziell bis branchenüblich am 26. März 2017. Erst verlor der längst im Kampf gegen den Abstieg steckende VfL zu Hause gegen MT Melsungen mit 23:30 – was die sportliche Lage verschärfte. Vier Tage darauf verkündete der Klub, was sich inzwischen angedeutet hatte: Kurtagic, der ohnehin nach der Saison 2016/2017 seinen Platz für Dirk Beuchler hätte räumen sollen, musste sofort gehen. Für Kurtagic war es kein Trost, dass zwei Monate später der damalige Geschäftsführer Frank Flatten gehen musste und Beuchler in der folgende Saison 2017/2018 sogar nach lediglich elf Spieltagen die Kündigung auf dem Tisch hatte. Und noch weniger empfand er es als Trost, dass die Gummersbacher den seit Jahren erkennbaren Abwärtstrend nicht mehr stoppen konnten und 2018/2019 mit Verspätung den Abstieg in die 2. Bundesliga hinzunehmen hatten. Es war für die gesamte Region und für den nun aus der Ferne mitleidenden Emir Kurtagic der größte anzunehmende Unfall. 

Hört mir mal zu: Als Trainer des VfL Gummersbach hatte Emir Kurtagic (Mitte) am Ende seiner Amtszeit keinen einfachen Stand (mehr). Zu seinen Spielern gehörte im März 2017 auch Christoph Schindler (rechts), der heutige Geschäftsführer. (Foto: Thomas Schmidt)

Emir stammt im Übrigen aus dem Arabischen und wird meist mit „Herrscher“, „Fürst“ oder „Befehlshaber“ übersetzt. Ob die Eltern damals ahnten, dass Vater Esad von 1988 bis 1995 als Handball-Trainer in Katar und den Emiraten arbeiten würde? Ob sie ahnten, wie sehr sich ihr jüngerer Sohn später durchbeißen würde? Ob Emir Kurtagic vielleicht eine großartige Karriere gemacht hätte, wie sie der heutige VfL-Coach Gudjon Valur Sigurdsson in seiner Vita stehen hat? Die beiden waren immerhin als Linksaußen auf derselben Position zu Hause, doch Kurtagic konnte die aktive Laufbahn verletzungsbedingt nicht lange vorantreiben. Aber aufgeben? War seinerzeit keine Option. Deshalb stieg Emir so schnell wie möglich in die Trainer-Szene ein – und absolvierte mit 27 prompt den Lehrgang für die A-Lizenz als Jahrgangsbester.

Mit dem Beginn der Saison 2008/2009 stieg Kurtagic als Co-Trainer der Trainerlegende Sead Hasanefendic beim VfL Gummersbach ein. Im Dezember 2011 rückte Kurtagic beim in Gefahr geratenen VfL für den entlassenen Hasanefendic auf den Chefsessel, auf dem er fünfeinhalb Jahre mit hohem Fachwissen, Hingabe und Leidenschaft nicht einfach nur Platz nahm. Gummersbach war für Emir Kurtagic das Zuhause – sportlich wie menschlich. Deshalb ist der Kontakt nie ganz abgerissen: „Ich habe noch viele Freunde dort.“ Aus der heutigen Mannschaft des VfL kennt er besonders gut Keeper Matthias Puhle oder Rechtsaußen Tobias Schröter, die damals zu seinem Kader gehörten – wie der heutige VfL-Geschäftsführer Christoph Schindler.

Eine Anschluss-Beschäftigung brauchte Kurtagic nach seinem Aus in Gummersbach nicht lange zu suchen, denn im Herbst 2017 unterschrieb er beim gefährdeten Bundesligisten TV Hüttenberg (mittlerweile ebenfalls Zweitligist) einen Vertrag als Nachfolger von Aðalsteinn Eyjólfsson. Die Amtszeit bei den Hessen dauerte bis zum Sommer 2019, weil sich beide Seiten Anfang Februar nicht mehr über eine weitere Zusammenarbeit einig wurden. Kurtagic überahm die nächste reizvolle Aufgabe: Er wurde Teil des Projekts TuS N-Lübbecke, der als einstiger Stammgast in der Bundesliga wieder den Sprung nach oben schaffen will. Es muss nicht zwingend in diesem Jahr sein – aber keiner der Verantwortlichen hätte was dagegen, wenn es schon in dieser verrückten Spielzeit klappt.

In der zurückliegenden und nach einer Unterbrechung abgebrochenen Serie lagen nur Kleinigkeiten zwischen den beiden Kontrahenten. Der VfL landete unter der Regie seines früheren Trainers Torge Greve mit 31:17 Punkten aus 24 von ursprünglich vorgesehenen 34 Spielen auf dem vierten Platz der Abschluss-Tabelle – nicht richtig weit hinter den in die 1. Bundesliga beförderten HSC Coburg (37:11) und TuSEM Essen (34:14) sowie dem Dritten SG BBM Bietigheim (32:16). Hinter Gummersbach und dem ASV Hamm-Westfalen (31:17) folgten die Nettelstedter (30:18), die mit ihren 18:6 Punkten und Rang drei aktuell ebenfalls zu den Mannschaften aus dem Drittel ganz vorne gehören: Allein der HSV Hamburg (22:4) und die Gummersbacher (20:2) verzeichnen im Kampf um die beiden Aufstiegsplätze eine bessere Ausbeute. Daraus ergibt sich die klare Rechnung, dass die Gummersbacher durch einen Sieg einen sehr hartnäckigen Konkurrenten zumindest vorerst abschütteln können – und dass die Gäste durch zwei weitere Zähler erst recht mitten im Geschäft sind.

„Gummersbach hat sehr viel Qualität im Kader“, betont Kurtagic. Natürlich weiß er unter anderem um die Stärke von Regisseur Timm Schneider oder die von Alexander Hermann im linken Rückraum sowie die der Linkshänder Jakob Bozovic, Lukas Blohme und Tobias Schröter auf der rechten Seite. Außerdem ist ligaweit bekannt, dass der VfL vor Keeper Puhle oder dessen Kollegen Diogo Valerio eine erstklassige Abwehr zu stellen vermag. Dennoch traut er dem eigenen Team einiges zu – trotz eines personellen Umbruchs, durch den sich das Gesicht des Kaders verändert hat: „Dafür sind wir schon sehr weit gekommen. Natürlich müssen und wollen wir noch besser werden. Es geht ja immer besser. Aber wir schauen schon nach oben.“ Im Vergleich zwischen dem VfL und seinem TuS sieht er vor allem einen Unterschied: „Gummersbach ist in der Spitze stärker, aber wir vielleicht in der Breite. Wir werden sehen, welche Herangehensweise sich durchsetzt.“ Mit „durchsetzt“ meint Kurtagic erstens das Duell am Samstag und zweitens jenes über die gesamte Saison. Seiner festen Überzeugung nach fällt diesmal sowieso noch keine Entscheidung in der Aufstiegsfrage: „Das wird sich erst über die 36 Spiele zeigen.“ Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen würde er genau jetzt gerne zeigen, dass mit Nettelstedt zu rechnen ist. Emir Kurtagic hat doch sowieso den Handball im Blut.