2. Bundesliga
Derby-Kracher: Dormagen fordert Gummersbach heraus
Duell zwischen dem Vierten und dem Zweiten ist auf der Zielgeraden des ungewöhnlichen Jahres 2020 ein echtes Spitzenspiel.

Da ist die Lücke: Jakub Sterba (Nummer 34) würde gerne den Ball so oft wie möglich zu Dormagens Kreisläufer Patrick Hüter (ganz links) ablegen. Gummersbachs Abwehr-Spezialist Tin Kontrec (Nummer 9) und Alexander Hermann (Zweiter von links) werden genau das verhindern wollen. (Foto: Thomas Schmidt)

Wenn das keine perfekten Voraussetzungen für einen echten Handball-Kracher sind, dann stimmt etwas nicht. Und vielleicht haben die Terminplaner in der 2. Bundesliga in diesem verrückten Jahr 2020 geahnt, dass sie sich das Beste bis zum Schluss aufheben sollten. Die Zutaten könnten auf jeden Fall aus der Sterne-Küche kommen. Hier ist der Außenseiter, der sich in den vergangenen Wochen in eine optimale Situation gehievt hat, und dort ist der Favorit, der von der ersten Minute in dieser Saison die „Mission Aufstieg“ verfolgt. Beide Kontrahenten bringen jeweils eine Serie ein – die eine sehr beachtlich, die andere sogar beeindruckend. Und die Distanz zwischen den beiden Hallen, die definitiv zu den schönsten im Lande zählen? Gerade mal gut 70 Kilometer liegen zwischen dem Sportcenter des TSV Bayer Dormagen An der Römerziegelei und der Schwalbe-Arena des VfL Gummersbach an der Steinmüller-Allee. Das ist für Zweitliga-Verhältnis lächerlich wenig. Und deshalb ist am Mittwochabend um 19.30 Uhr auch Derbyzeit. Gastgeber Dormagen fordert den großen VfL Gummersbach heraus. Und er fühlt sich pudelwohl in dieser Rolle, die ihm alle Möglichkeiten eröffnet.

Groß ist Gummersbach nicht in erster Linie aufgrund seiner Vergangenheit, die ihn zu einer Institution in der Handball-Welt gemacht und doch nicht verhindern konnte, dass der Traditionsklub am Ende der Saison 2018/2019 aus der 1. Bundesliga abstieg. Groß ist der VfL zurzeit vor allen Dingen aufgrund außergewöhnlicher Konstanz, die am dritten Spieltag ausgerechnet mit der 25:27-Niederlage beim vermeintlichen Aufstiegs-Konkurrenten ASV Hamm-Westfalen begann. Anschließend startete das Team des neuen Trainers Gudjon Valur Sigurdsson einen Siegeszug – nicht immer glanzvoll, aber immer gnadenlos effektiv. Manchmal hatte Gummersbach ein bisschen Glück – wie beim 30:29 über den TV Hüttenberg aus dem unteren Drittel oder wie beim 26:25 über den Spitzenreiter HSV Hamburg. Zuletzt allerdings ließ der Titelkandidat rein gar nichts mehr anbrennen. Das 31:17 über die vor der Serie ebenfalls weiter vorne erwartete SG BBM Bietigheim war eine Demonstration der Macht und das 27:24 über den Dritten TuS N-Lübbecke der wiederholte Beleg dafür, dass sich die Gummersbacher so schnell durch nichts und niemandem aus der Ruhe bringen lassen. Durch den neunten Erfolg hintereinander steht das Konto nun bei 22:2 Zählern und Hamburg (24:4) ist nur deshalb Erster, weil es zwei Spiele mehr ausgetragen hat. 

Einer derjenigen, die aus dem tollen Lauf nicht mal den Hauch des selbstverständlichen Rechts auf zwei weitere Punkte ableiten, ist der ehemalige Weltklasse-Linksaußen Sigurdsson. Der Isländer, der sowieso  jedem Gegner mit Respekt begegnet, hat den Höhenflug des TSV natürlich aufmerksam beobachtet: „Ich freue mich sehr auf Dormagen. Die haben in der letzten Zeit sehr gut gespielt. Wir werden uns sehr intensiv darauf vorbereiten. Und klar ist, dass wir hinfahren, um zwei Punkte mitzunehmen.“ Der Coach weiß, dass er sich momentan voll auf seine Achse Routine um Kapitän Timm Schneider (32), Torhüter Matthias Puhle (35), Alexander Hermann (29), Janko Bozovic (35), Raul Santos (28) und Lukas Blohme (26) verlassen kann. Der TSV Bayer wird sicher hinten Schwerstarbeit zu leisten haben und vorne ebenfalls ziemlich dicke Bretter bohren müssen. In Tin Kontrec (31) verfügen die Gummersbacher über einen ausgewiesenen Defensiv-Spezialisten und im gerade erst 22 Jahre alt gewordenen Ellidi Vidarsson über die optimale Besetzung für eine offensive 5:1-Abwehr.

TSV-Trainer Dusko Bilanovic kennt sämtliche Vorzüge der Gäste fast in- und auswendig. Der Auftritt des VfL konnte ihn in seiner Einschätzung nur bestätigen: „Das ist die stärkste Mannschaft der Liga und der Aufstiegskandidat Nummer eins. Bei uns muss für einen Erfolg alles zusammenpassen, wirklich alles.“ Druck verspüren die Dormagener trotzdem gar keinen, zumal sie sich mit Platz vier und 16:8 Punkten in einen Bereich deutlich über dem eigenen Zielkorridor befördert haben – der „lediglich“ vorsah/vorsieht, bei der Etablierung in der 2. Bundesliga den nächsten Schritt voranzukommen und am Ende eine sichere einstellige Tabellenposition zu belegen. Besonders in der jüngeren Vergangenheit gelangen Bilanovic‘ Team fast aufsehenerregende Resultate und nicht zuletzt das 27:19 über den ASV Hamm-Westfalen werden sie sich in Gummersbach intensiv angesehen haben – weil es ein Sieg über jenen Klub war, bei dem der VfL seine bisher einzige Niederlage in dieser Saison kassierte. Das 24:22 über den VfL Lübeck-Schwartau war eine ähnliche Belohnung für höchste Dormagener Leidenschaft und Defensiv-Arbeit auf Top-Niveau.

Handicap für den TSV Bayer: Neben den schon länger verletzten Sven Bartmann (Tor), Julian Köster und Efthymios Iliopoulos fehlt zusätzlich Ante Grbavac (Bauchmuskelzerrung), der bereits die Partie beim Wilhelmshavener HV auslassen musste. Bilanovic wird die Belastung für die verbliebenen Rückraumspieler, bei denen sich zuletzt Alexander Senden stark in den Vordergrund drängte, sehr sorgfältig verteilen – wobei er gleichzeitig weiß, dass Schonung oder Haushalten mit den Kräften praktisch unmöglich ist. „Der VfL bestraft jeden Fehler gnadenlos“, sagt Dormagens Trainer, „wir sind der totale Außenseiter.“ Sein Versprechen auf der anderen Seite: „Wir haben in diesem Jahr noch einmal 60 Minuten vor uns. Wir werden alles aus uns herausholen.“ Wenn das keine perfekten Voraussetzungen für einen echten Handball-Kracher sind.