11. Januar 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es war der Moment, in dem alle zusammenzuckten. Der große Traum von der Teilnahme an der Handball-Weltmeisterschaft drohte plötzlich zu platzen. Sollte die Arbeit der vergangenen Wochen völlig umsonst gewesen sein? Wie geht es weiter? „Natürlich war das zuerst ein Schock“, sagt Patrick Hüter, der in Deutschland wie sein Bruder Ian beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen spielt und sich zurzeit noch mit der Nationalmannschaft der USA im Trainingslager in Dänemark auf die am Donnerstag beginnende WM in Ägypten vorbereitet. Die Nachricht, die in Vejen für Wirbel sorgte: Die Amerikaner mussten das für Sonntag geplante Spiel gegen den Erstligisten SonderjyskE kurzfristig absagen. Grund: Bei den routinemäßig durchgeführten Coronatests hatte es ein positives Resultat gegeben. Im ungünstigsten Fall der Fälle wäre damit das komplette Unternehmen Weltmeisterschaft vorbei gewesen. Zwei Faktoren verhinderten aber den Abbruch. Erstens: Der positive Coronatest stammte aus dem „entfernteren Kreis der Betreuer, zu dem die Mannschaft keinen direkten Kontakt hatte. Zweitens: Unverzüglich und mehrmals durchgeführte weitere Tests bei Spielern und Trainern zeigten jeweils negative Resultate – was bei allen für Erleichterung sorgte. „Danach waren wir wieder beruhigt“, erklärt Hüter, „natürlich fragst du dich auch, wie so etwas passieren kann. Wir halten uns wirklich strikt alle Regeln.“
Chefcoach Robert Hedin und seine Mannschaft nahmen im Anschluss an die Testreihe konzentriert den Rest der Vorbereitung in Angriff, um das bisschen verbleibende Zeit möglichst gut zu nutzen – die im Übrigen ein zusätzliches Hindernis bereithielt. Nach dem 31:33 im ersten Spiel gegen Ribe-Esjerg musste schließlich nicht nur das Duell mit SonderjyskE ausfallen – weil auch das für Dienstag zum Abschluss vorgesehene Treffen mit KIF Kolding nicht stattfinden kann. Was die Verantwortlichen so zunächst nicht auf dem Schirm hatten: Gemäß dem aktuellen Regelwerk des Handball-Weltverbandes IHF darf eine Mannschaft offensichtlich nur bis spätestens 72 Stunden vor dem ersten Weltmeisterschafts-Auftritt noch ein Testspiel absolvieren. Da die USA in Ägypten am Donnerstag um 18 Uhr auf Österreich treffen, wurde der Dienstag-Termin gegen Kolding zwangsläufig gestrichen.
Hedin muss sich nun auf die Eindrücke aus dem ersten Test und besonders auf jene aus den vielen intensiven Trainingseinheiten verlassen. „Wir sind definitiv auf dem richtigen Weg“, betont der 54 Jahre alte Skandinavier – was Patrick Hüter gerne bestätigen kann: „Es wird von Tag zu Tag besser.“ Wie gut der Stand wirklich ist und was die Amerikaner bei der Weltmeisterschaft bewegen können, wird sich allerdings erst an Ort und Stelle zeigen. Sicher ist dafür zu hundert Prozent, dass alle ziemlich heiß darauf sind, für den US-Handball so viel Werbung wie möglich und auf sich aufmerksam zu machen. „Wir freuen uns sehr auf Ägypten“, betont Patrick Hüter – der natürlich sehr wenig dagegen hätte, wenn es tatsächlich mit dem ersten Sieg in der handballerischen WM-Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika klappt.
Die besten Aussichten dazu gibt es wohl beim Start gegen die Österreicher – die in bester Besetzung wohl hoher Favorit wären, aber ohne ein paar Stammspieler auskommen müssen. So fehlen ihnen die verletzten Rückraum-Asse Nikola Bilyk (THW Kiel) und Janko Bozovic (VfL Gummersbach), die jedem Team durch ihre Präsenz auf der Platte den nötigen Halt geben können. Ian Hüter und Patrick Hüter erlebten vor dem Bildschirm staunend mit, wie viele Fehler sich die chancenlosen Österreicher gegen Deutschland erlaubten – und sie klatschten kurz vor dem Ende, als ihr Dormagener Mitspieler Antonio Juric fürs Team Austria den letzten Treffer des Abends erzielte. Keine kühne Prognose: Die Hüters werden in Ägypten mit einiger Wahrscheinlichkeit zur Startformation gehören – und sie werden ihr ganzes Herz und die volle Leidenschaft in die Waagschale werfen. Die Zeit, um einen Kaffee oder einen Cappuccino mit Juric zu genießen, werden sie anschließend trotzdem finden: Österreich und USA wohnen in derselben Unterkunft. Am Mittwoch um 6.45 Uhr morgens beginnt die Reise. Dann wird Dänemark abgehakt sein („Die Zeit hier ging schnell vorbei“) und ab Mittag werden alle ägyptisch denken. Die WM kann kommen. Zusammenzucken oder Gänsehaut? Sicher. Sobald die ersten Töne der Nationalhymne erklingen, geht es vermutlich gar nicht anders.