In der "Blase"
Toni Juric: Dormagens Österreicher in Ägypten
Der Kreisläufer des Zweitligisten TSV Bayer wird beim WM-Start noch zuschauen. Trotzdem sieht er es als große Ehre, dabei sein zu dürfen.

Kommt ein Toni geflogen: „Antonio“ Juric (rechts/von links die beiden Gummersbacher Matthias Puhle im Tor und Malte Meinhardt) ist inzwischen ein ganz fester Bestandteil im Team des Zweitligisten TSV Bayer Dormagen. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist Österreicher und vor einem halben Jahr ins Rheinland gekommen, um dort die nächsten Schritte in seiner Karriere als Handballer zu tun. Es war eine Entscheidung, von der alle etwas hatten – außer natürlich dem Erstligisten HC Linz, der fortan auf eine seiner wesentlichen Stützen verzichten musste. Antonio Juric, ehemaliger Junioren-Nationalspieler und echter „Linzer Junge“, unterschrieb einen Vertrag beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen. Dessen Trainer Dusko Bilanovic wusste sehr genau, wen er da künftig im Kader haben würde: Einen wuchtigen Kreisläufer, der auf seiner Position zu Österreichs Besten gehört und in der Deckung ebenfalls für viel Qualität steht. Nur eines mochte Juric von Anfang an nicht mit nach Dormagen bringen: Auf seinen auch in den amtlichen Papieren dokumentierten Vornamen lagt er wenig Wert. „Antonio kommt echt nicht so oft vor“, sagt der 23-Jährige, den alle schlicht „Toni“ nennen. Das kommt dem 115-Kilo-Mann entgegen, denn er gilt als unkomplizierter Typ, den sie beim TSV Bayer sehr schätzen. Und durch ihn haben sie zurzeit sogar ein Bein bei der Weltmeisterschaft in Ägypten in der Tür.  Nach dem WM-Aus der US-Mannschaft wegen zahlreicher positiver Corona-Tests mussten die Dormagener Brüder Patrick und Ian Hüter aus dem Trainingslager in Dänemark wieder nach Hause reisen – und nicht etwa in die Heimat der Pyramiden. Dort hält nun Toni Juric die Stellung – für sich selbst, für Österreich, für seinen Verein und vielleicht ein bisschen für den Harzhelden-Handball.

Gut zwei Tage standen Chefcoach Ales Pajovic an Ort und Stelle zur Verfügung, um Team Austria auf die besonderen Herausforderungen der WM 2021 vorzubereiten. Und alles war bis Anfang dieser Woche auf einen Start gegen die USA ausgerichtet: Training, Taktik, Spielzüge, Gespräche. Nach dem Rückzug der Vereinigten Staaten konnten die Österreicher dieses Material und die Mühen vorher beinahe schreddern – und sie mussten sich praktisch über Nacht mit neuen Infos versorgen. Dass ihr erstes WM-Spiel am Donnerstagabend nun ausgerechnet gegen die zunächst nicht qualifizierten Nachrücker aus der Schweiz steigt, sorgt für eine neue Portion Spannung. Dass der Alpen-Nachbar in Regisseur Andy Schmid über einen Spielmacher mit Weltklasse-Format verfügt, war den Österreichern aber natürlich vorher bekannt. Alles zusammen ändert im Übrigen wenig daran, dass wohl bereits die erste WM-Partie über den weiteren Turnierverlauf entscheidet. In die Hauptrunde ziehen auch aus der Gruppe E die ersten drei ein. Und kaum einer zweifelt daran, dass hier Rang eins und zwei an die Norweger und die Franzosen vergeben sind. Mit den beiden Gruppenfavoriten wird höchstwahrscheinlich nur einer weiterkommen: Österreich oder Schweiz.

Dass er am Abend (Donnerstag) nicht zum 16-er-Kader gehört, der auf den Spielbericht kommt, trägt Toni Juric mit Fassung: „Ich bin ziemlich neu hier. Das ist mein erstes großes Event mit dem Nationalteam. Und es wäre zu viel verlangt gewesen, dass ich gleich anfange. Ich bin auch der Jüngste der vier Kreisläufer und der Trainer hat gesagt, dass er ziemlich viel durchrotieren wird. Meine Chance werde ich auf jeden Fall haben. Wir haben ja noch zwei Knaller in der Gruppe und darauf freue ich mich.“ Eine reine Touristenrolle könnte sich Toni sowieso nicht vorstellen: „Der Handball ist mir extrem wichtig. Deswegen bin ich auch nach Dormagen gewechselt, weil ich in Österreich in der Liga keine Zukunft mehr gesehen habe. Dormagen war ein extrem wichtiger Schritt und der richtige. Die 2. Liga in Deutschland ist sehr stark mit guter Konkurrenz. Als ich gewechselt bin, habe ich sofort den Unterschied gemerkt. Es wird härter gearbeitet. Ich bin Profi und konnte mein Hobby zum Beruf machen. Davon träumt so ziemlich jeder – und ich bin ziemlich froh, dass ich das geschafft habe. Und was die WM angeht, das ist nach den Olympischen Spielen eins der größten Ziele für jeden Sportler. Es ist mir eine große Ehre, hier dabei sein zu dürfen. Selbst wenn du nicht jedes Spiel spielst, ist ein ein besonderes Gefühl, hier unter den ganzen Stars zu sein.“ 

Das ist mein Ball! Toni Juric fühlt sich sehr wohl in der Zone, in der Kreisläufer um jeden Zentimeter kämpfen müssen. (Foto: Thomas Schmidt)

Die Ziele des 23-Jährigen gehen dabei über die WM-Teilnahme hinaus, die seiner Laufbahn allerdings einen weiteren Schub geben könnte: „Ich wünsche mir eine erfolgreiche und gesunde Karriere ohne Verletzungen. Natürlich ist es auch unbedingt mein Wunsch, mal in der 1. Liga zu spielen in Deutschland und dann ein fixer Stützpunkt im Nationalteam zu sein, eine wichtige Säule. Du träumst natürlich auch, die Championsleague zu gewinnen. Dann weißt du, dass du an der Spitze angekommen bist.“

Die Atmosphäre im Team, das in der direkten WM-Vorbereitung bereits seit dem 1. Januar unterwegs ist, bezeichnet Juric als optimal: „Die ist wirklich extremst gut. Alle haben extremst Bock, wir sind heiß auf heute Abend und auf das gesamte Turnier. Ich denke, dass wird heute richtig gut werden.“ Die Aussichten gegen die Schweiz? Aus den bekannten Gründen ein bisschen schwierig einzuschätzen, was den Optimismus allerdings nicht grundsätzlich schmälert: „Ich denke, die Chancen stehen gut. Aber man darf nie irgendwen unterschätzen. Die Jungs werden das heute schaffen, dass wir auf jeden Fall in die nächste Runde einziehen. Das ist unser Ziel, das hat die höchste Priorität. Deswegen ist das heute entscheidend, denn die Norweger und die Franzosen sind eine Klasse für sich selbst. Heute müssen wir alles geben und dann den Rest genießen.“ 

Was er selbst beizutragen vermag, wenn ihn Trainer Pajovic ins Rennen schickt? „Meine Stärke ist die Offensive“, findet Toni Juric, „ich war schon immer mehr der Angriffstyp. Es war für mich noch nie ein Problem, Bälle zu fangen, und mein Körper ist auch eine Stärke für den Handball. Da bin ich echt gesegnet.“ Im Detail: Nach „halbamtlichen“ Angaben seines Vereins Bayer Dormagen bringt Toni Juric bei 1,99 Metern Länge genau 115 Kilo auf die Waage – was ihn in der Summe tatsächlich zu einem jener Kreisläufer macht, die ganz schwierig zu verteidigen sind: „Außerdem bin ich immer mit hundert Prozent Leidenschaft dabei – im Spiel und im Training. Sonst würde das doch als Profi nicht hinhauen.“ Dass seine schwächere Seite eher die Defensive sein soll, hielt bisher jedoch weder seinen Klubtrainer Dusko Bilanovic noch Nationalcoach Ales Pajovic davon ab, ihn im Deckungszentrum einzusetzen. Außerdem verspricht Juric eine Steigerung: „Ich arbeite daran, dass ich da besser werde. Noch eine Schwäche von mir ist außerdem, dass ich nicht verlieren kann. Aber ich glaube, das mag keiner von uns. Da drehst du schon mal durch, ich bin ungeduldig.“ 

Nicht kalt hat ihn das Schicksal seiner beiden TSV-Teamkollegen Patrick und Ian Hüter gelassen: „Ich hatte mich darauf gefreut, mit ihnen hier zu sein. Wir spielen jetzt schon ein halbes Jahr miteinander und ich verstehe mich extremst gut mit beiden. Das ist wirklich, wirklich schade, dass du einen Tag vorher erfährst, dass du nicht mitspielen kannst. Ich weiß ja, dass die amerikanische Mannschaft sehr froh darüber war, dass sie mitmachen konnten. Wenn das so kurzfristig abgesagt wird, muss das weh tun. Es tut mir echt leid für die beiden, ich hätte sie echt gerne hier gesehen.“ In einem Punkt darf sich Toni Juric im Umkehrschluss sicher sein: Patrick und Ian Hüter werden „ihrem“ Österreicher jetzt erst recht die Daumen drücken. Und nicht nur sie.