Unser WM-Experte: Felix findet Fakten
„Gislassons Handschrift ist klar zu erkennen“
Das sagt Felix Linden: Die deutsche Mannschaft hatte gegen Uruguay zum WM-Auftakt alles im Griff, muss sich aber noch steigern.

„Kaum zu bewerten.“ Unser Experte Felix Linden findet den klaren Erfolg der deutschen Mannschaft über Uruguay nur bedingt aussagekräftig. (Foto: Samla.de)

Die deutsche Mannschaft ist mit einem deutlichen Sieg in die Weltmeisterschaft gestartet und das 43:14 (16:4) über Uruguay war sicher auch keine Überraschung. Unser WM-Experte Felix Linden, Trainer des Drittligisten HSG Krefeld Eagles, Lehrer, Buchautor und Handball-Verrückter, hat sich diese Partie (und auch andere Begegnungen) trotzdem genauer angesehen. Was ist wann, wo, wie und warum passiert? Lässt sich daraus schon etwas für den weiteren WM-Verlauf ablesen? Hier ist seine Analyse:

Dieses Spiel ist kaum zu bewerten und es hatte nicht mal Trainingsspielcharakter für die deutsche Mannschaft. Von der Situation her war es vergleichbar mit einer Profimannschaft, die zur Saisoneröffnung eines unterklassigen Vereins kommt. Trotzdem ist es immer schön, wie sich die „kleinen“ Nationen über jede tolle Aktion freuen, wie es auch Uruguay getan hat.
Die deutsche Abwehr startete mit ihrer Stammformation in der 6:0-Abwehr und hatte hier überhaupt keine richtigen Probleme. Sie zwang Uruguay zu vielen technischen Fehlern und Würfen in schlechten Räumen. Außerdem geriet der Kontrahent aus Südamerika viel ins Zeitspiel. In der zweiten Halbzeit konnte Deutschland seine 5:1-Abwehr testen.
Im Angriff war die Handschrift von Bundestrainer Alfred Gislasson klar zu erkennen. Es gab für die verschiedenen Rückraum-Konstellationen klare Auslösehandlungen und Aufgaben. Die Konstellation mit Juri Knorr/Fabian Böhm (Bild 1) hat sehr viel mit einem Übergang von Linksaußen gespielt und Knorr in die Entscheidung gebracht – die er oft mit einem eigenen Abschluss gelöst hat. Ich fand vor allem in der zweiten Halbzeit, dass Fabian Böhm viel Verantwortung übernommen hat und überhaupt eine gute Präsenz auf dem Spielfeld hatte. Die wahre Stärke der deutschen Mannschaft wird sich nun aber erst nächste Woche Dienstag gegen Ungarn zeigen. Wichtig wird es vor allem sein, die Chancenverwertung in den ersten Minuten zu verbessern.

Bild 1

Die Anfangsformation Juius Kühn/Philipp Weber/ Kai Häfner hat sehr oft mit dem gleichen Auftakt angegriffen – den mittlerweile viele Mannschaften in allen Leistungsklassen spielen (Bild 2).

Bild 2

Rückraum links macht Druck in der Nahtstelle 1/2, Rückraum-Mitte verlagert seine Position. Dadurch wird Abwehrspieler 3 aus dem Zentrum gezogen. Der Kreisläufer in Rot (Spieler Nummer 6) setzt eine indirekte Sperre an der 4 in Blau. Hier entsteht schon eine relativ große 2:2-Situation im zentralen Raum. Durch einen Tempowechsel von der Rückraum-Mitte in die Nahtstelle 4/5 und eine Wechselsperre des Kreisläufers entstehen wieder zahlreiche Optionen. Rückraum-Mitte kann selber diese Nahtstelle angreifen – was natürlich nicht so einfach ist, da er immer aus dem Prellen heraus angreifen muss. Es besteht die Option, wieder zum Kreisläufer zu spielen, in einen Parallelstoß oder in eine Kreuzsituation mit Rückraum-Rechts (hier Spieler 4 in Rot) zu gehen.
Sollte dieser aus der Kreuzung kommen, greift er wieder die Nahtstelle 2/3 an und der Kreisläufer unterstützt diese Situation erneut mit einer Wechselsperre. Durch das hohe Aktionstempo, das die Rückraumspieler auf die Innenverteidiger auslösen, fällt es ihnen oft
schwer, ihre Position zu halten – und sie werden auseinandergezogen. Uruguay hat diese Auslösehandlung in der Abwehr sogar zwei Mal ganz gut gelöst, doch insgesamt hat man hier die Qualität der deutschen Mannschaft gesehen.

Bild 3

Die Uruguayer wollten diese Auslösehandlung der Deutschen durch zwei offensive Abwehrspieler erheblich stören (Bild 3). Nach dem Auftakt auf der rechten Seite und Häfners Angriff auf die Nahtstelle 5/6 ist Abwehrspieler 4 nach der Ball-Annahme von Weber direkt auf ihn herausgegangen – und hat den Kontakt gesucht. Weber schaffte trotzdem den Pass zu Kühn, der ebenfalls einen Abwehrspieler vor sich hatte – der hoch im Passweg stand.
Golla hat den großen Tiefenraum hinterlaufen, nachdem Abwehrposition 2 offensiv auf Kühn im Passweg stand – und Abwehrposition 4 hat Weber auf Rückraum-Mitte direkt angegriffen. Kühn spielte dann folgerichtig den Pass zu Golla. In der nächsten Situation löste Uwe Gensheimer diese Situation mit einem kurzen Übergang. So war die Abwehrposition 2 gezwungen, defensiv zu bleiben – und Kühn konnte aus guter Position aufs Tor werfen. Die Formation Paul Drux/Marian Michalzik hat eher mit längeren Bewegungen und Kreuzungen gespielt.

Stark fand ich im Übrigen die Leistung der Japaner, deren Tempo beim 29:29 gegen Kroatien schon beeindruckend war. Insgesamt gab es durchaus bereits die eine oder andere Überraschung bei dieser WM. Dieses Jahr ist irgendwie doch alles anders…