Unser WM-Experte: Felix findet Fakten
Katar gegen Japan: „Das kommt mir spanisch vor“
Weil Deutschland bei der WM am zweiten Spieltag nicht im Einsatz war, konnte Felix Linden mal auf die anderen schauen - und er entdeckte viel Interesssantes.

Die deutsche Mannschaft, die mit einem deutlichen 43:14-Sieg über Uruguay in die Weltmeisterschaft in Ägypten gestartet war, hatte am Sonntagabend frei. Weil die Partie gegen den WM-Neuling Kap Verde nur wenige Stunden vor dem geplanten Anwurf abgesagt wurde, gibt es heute natürlich keine Analyse über das zweite Spiel des Teams von Trainer Alfred Gislasson. Unser WM-Experte Felix Linden, Chefcoach des Drittligisten HSG Krefeld Eagles, Lehrer, Buchautor und Handball-Verrückter, hat die Gunst der Stunde aber genutzt – und über den Tellerrand der Gruppe A hinaus seinen Blick auf die Gruppe C gerichtet. Dort sind die Japaner angesiedelt, bei den ein hierzulande bestens bekannter Handball-Verrückter die sportliche Verantwortung trägt: Dagur Sigurdsson, von August 2014 bis Januar 2017 fürs deutsche Team zuständig. In Ägypten haben die mit dem 29:29 gegen Kroatien stark gestarteten Japaner noch immer alle Chancen auf den Einzug in die Hauptrunde, dürfen sich aber nach dem 29:31 gegen Katar zum Abschluss am Dienstag gegen Angola keine weitere Niederlage erlauben. Felix Linden hat das Duell mit Katar genau unter die Lupe genommen. Hier ist seine Sicht der Dinge:

 

Den ganzen Tag habe ich mich schon darauf gefreut und es war das erwartet spannende Spiel. Nach dem 20:25 in der 45. Minute war in der 53. Minute beim 27:26 auf einmal Japan mit einem Tor vorne. Am Ende machten die Japaner zu viele leichte Fehler und die Mannschaft vom Golf gewann knapp. Völlig überragend agierte der einzige Legionär der Kataris: Frankis Marzo erzielte elf Tore, lieferte viele Assists und holte einige Siebenmeter raus. Dagur Sigurdsson musste sich taktisch einiges einfallen lassen, um ihn zu stoppen.

Die Japaner reisten mit wenigen Ambitionen an. Grund dafür ist das Abschneiden bei der WM 2019, denn der 24. Platz bedeutete den letzten Platz in der Endabrechnung. Großes Ziel ist nun ein gutes Abschneiden bei den Olympischen Spielen im eigenen Land. Beim IHF-Trainersymposium 2019 in München beziehungsweise als Prüfer/Referent beim A-Lizenz-Lehrgang durfte ich die Arbeit von Dagur Sigurdsson näher kennenlernen. Beim Vortrag in München erzählte uns Dagur vom Projekt in Japan. Viele Spieler spielen bei Werks-Teams wie etwa Toyota. So bleibt ihm viel Zeit, mit der Mannschaft zu arbeiten.

Die Kataris um ihren spanischen Trainer Valero Rivera, der mit 61 verschiedenen Titeln der erfolgreichste Handballtrainer der Welt ist, gehen einen anderen Weg. Permanente Einbürgerungen anderer Nationalitäten hören der Vergangenheit an, es gibt nur noch wenige Ausnahmen im Kader. Es spielt nur ein Spieler in Portugal, der Rest in der katarischen Liga. Der Kader ist sehr alt und so kümmert sich der Trainer auch um die 16-18-Jährigen des eigenen Landes. Riveras Handschrift, die spanische Handballschule und vor allem die Abwehrphilosophie sind eindeutig zu erkennen. Rivera hat das Ziel Viertelfinale ausgegeben und sich eindeutig geäußert: In den ersten Jahren gehe es nur um die Abwehr seiner Mannschaft. Aber was heißt es, spanisch zu spielen?

 

Bild 1

 

Aktives Verteidigen ist die Devise des spanischen Abwehrdenkens. Oft bekommen die Außenpositionen Würfe. Das hat damit zu tun, das sich die Außenverteidiger im spanischen System oft in einer 1:2-Situation befinden (Bild 1). Auch soll es Kontakt immer gegen den ballführenden Spieler geben und dahinter gegen den Kreisläufer verdichtet werden (Bild 1).

 

Bild 2

 

Oft stehen Spieler im Passweg – gegen die Spieler ohne Ball. So werden dem Angriff viele Optionen genommen. Diese Spielweise nutzt oft auch oft Hannover in der Bundesliga. Und wer sind dort die Trainer? Richtig geraten: Das spanische Gespann Carlos Ortega und Iker Romero. Ziel ist es hier, etwa den Rückraum-Rechten in Handlungsdruck zu bringen. Geht er zur Mitte, sinken die Abwehrpositionen oft wieder in ihre defensive Position. So ist für den Angriff ein schnelles Parallelstoß-Spiel kaum möglich. Die Japaner haben es gegen Katar trotzdem am Anfang und gegen Ende geschafft, ein schnelles Parallelstoß-Spiel aufzuziehen und vor allem ihre Außen in gute Positionen zu bekommen (Bild 2).

Gegen Sperren arbeiten das spanische System sehr effektiv – und sie nennen dies „Gegensperren“. Sperren im Tiefenraum versuchen sie immer wieder zu umlaufen und den Kreisläufer so aus der Sperre zu schieben. Dies ist wichtig, weil – wie oben erwähnt – die Rückraumspieler in torgefährlichen Räumen offensiv bearbeitet werden. Der Tiefenraum da hinter wird im Abwehrdreieck geschlossen. Oft zu sehen: Die Spanier wurden nach dem zweiten druckvollen Pass der Japaner aktiv.

 

Bild 3

 

Spannend war es auch, die Japaner taktisch zu sehen. Sie spielten eine sehr gute zweite Welle mit Druck und sehr hohem Aktionstempo. Auch im Parallelspiel machten sie sehr viel aus einer Vor-Bewegung. Oft gewann der Rückraum-Mitte-Spieler in einer Isolation gegen den Verteidiger innen rechts seinen Zweikampf und konnte neben seinem eigenen Abschluss oft mit Folgehandlungen Wirkung erzielen. Kurz und einfach erklärt: Isolation bedeutet, dass ein Abwehrspieler oft alleine in einen relativen großen Raum gegen einen Angriffsspieler gebracht wird. Achtet bei den nächsten Spielen mal drauf! Gewinnt der Angreifer diesen Zweikampf, hat seine Mannschaft eine Überzahl. Das ist eine Variante der Isolation – neben ein paar anderen (Bild 3).

Oft werden auch wurfstarke Spieler in die Isolation gebracht. Aber stellen wir uns bei uns unserer Abbildung mal vor, der Rückraummittespieler Nr. 3 in Rot gewinnt seinen Zweikampf als Rechtshänder gegen die Wurfarmseite -siehe rote Linie. Jetzt muss sich Abwehrspieler Nr. 2 entscheiden ob er hilft. So hat man eine 3:2-Überzahl geschaffen. Das gleiche passiert zur Wurfarmseite grüne Linie: Jetzt muss der Abwehrspieler 4 seine Position verlassen. Was passiert mit dem Kreis? Hilft Abwehrspieler 5, entsteht auf der rechten Seite ein relativ großer 3:2-Raum. Den Katari Frankis Marzo, der an fast an allen Toren seines Teams beteiligt war, ließ Sigurdsson ab der 45. Minute in Manndeckung nehmen. Vorher hatte er es mit vielen verschiedenen Optionen versucht, die aber alle nicht fruchteten. Problem war hier sicher auch,  dass der japanische Torhüter von der Außenpostion nur einen Ball halten konnte. Jetzt freue mich auf Dienstag und ein spannendes Spiel zwischen Deutschland und Ungarn.