Unser WM-Experte: Felix findet Fakten
Tempo und Torgefahr: Das Kreuz mit den Kreuzungen
Felix Linden sah beim 31:24 durchaus Parallelen zwischen befreit wirkenden Deutschen und Brasilianern.

Daumen hoch! Für Felix Linden war der Sieg der deutschen Nationalmannschaft verdient, weil diesmal mehr Puzzleteile zusammenpassten. (Foto: Samla.de)

Die Entscheidung war ja schon vorher gefallen. Nach dem 38:23 der Spanier gegen Uruguay und dem 30:26 der Ungarn gegen Polen stand fest, dass die deutsche Mannschaft das Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Ägypten verpasst. Also hatte das Duell zwischen dem Team von Trainer Alfred Gislasson und den Brasilianern in der Gruppe 1 der Hauptrunde eigentlich keinen großen sportlichen Wert mehr. Vielleicht lag es daran, dass die Mannschaft befreit auftreten konnte und am Ende deutlich mit 31:24 gewann. Unser WM-Experte Felix Linden, Chefcoach des Drittligisten HSG Krefeld Eagles, Lehrer, Buchautor und Handball-Verrückter, hat im übrigen im Verlauf der 60 Minuten trotz der überschaubaren Bedeutung der Partie einige interessante Aspekte gefunden – bei den personellen und taktischen Maßnahmen unter anderem. Hier ist seine Analyse:

Die deutsche Mannschaft wirkte befreiter in ihren Aktionen. Auch die personellen Konstellationen waren interessant: So war Juri Knorr nicht im Kader. Wollte der Bundestrainer ihn nach dem Spiel gegen die Ungarn schützen? Auch Torhüter Andreas Wolff gehörte nicht zum Aufgebot – obwohl in Gislasson vor dem Turnier als klare „Nummer 1a“ bezeichnet hatte. Hinten baute Gislasson in der Innenverteidigung konsequent auf Fabian Böhm/Johannes Golla. Diese Formation war wesentlich stabiler. Julius Kühn konnte im Angriff mehr Aktionen zeigen.

Bei den Brasilianern und bei den Deutschen gab es viele Kreuzungen im gebundenen Positionsangriff. Diese Kreuzungen sind bei allen Mannschaften in allen Leistungsklassen zu sehen. Aber was ist entscheidend bei einer Kreuzung? Oft siehst du Kreuzungen auf acht Metern, die überhaupt nicht torgefährlich gespielt werden. Hier muss man unterscheiden – zwischen der Kreuzung mit Ball und der ohne Ball. Die Kreuzung ohne Ball kommt sehr oft in verschiedenen Auslösehandlungen vor. Wir konzentrieren uns einmal auf die Kreuzung von Rückraum Mitte und Rückraum links oder Rückraum rechts.

Ein Ziel einer Kreuzung ist es, den Verteidiger aus seiner Grundposition zu ziehen. Das oberste Ziel einer Kreuzung ist es allerdings, den kreuzenden Spieler in eine aussichtsreiche Wurfposition zu bringen. Diese taktische Angriffskooperation wird oft direkt oder im Anschluss mit verschiedenen Folgehandlungen gespielt – zum Beispiel bei der Sperre mit Absetzen. Die Kreuzung sollte immer aus einer 1:1-Situation entstehen.

 

Bild 1

 

Schauen wir uns das Bild 1 an. Der Spieler in rot spielt greift Spieler Nr. 3 in blau mit einem 1:1 zur Wurfarm-Gegenseite an. Wichtig ist, dass alle Aktionen torgefährlich passieren. Geht sein 1:1 zur Wurfarm-Gegenseite, sollte dies maximal torgefährlich passieren. Der Kreisläufer unterstützt diese Aktion mit einer indirekten Sperre am blauen Spieler Nr. 4. Jetzt muss Rückraum-Mitte entscheiden, ob er parallel spielt oder mit Rückraum links kreuzt. Rückraum Mitte kann diese Aktion mit einem „Schirm“ unterstützen. Die Knotenpunkte bei einem „Schirm“ sind Raumöffnung, Torgefährlichkeit, Gegner binden, Ballsicherung und – vor allem – das Timing.  Wichtig ist zudem,  dass der Rückraum-Linke und -Rechte lange ihre breite Position ohne Ball einhalten, um die Abwehr auseinanderzuziehen und die gesamte Breite des Spielfelds zu nutzen. Ich habe hier immer den folgenden Leitsatz an meine Spieler: ,,Gute Mannschaften spielen breit, schlechte Mannschaften spielen eng.“

Ein häufiger Fehler bei „Alibi-Kreuzungen“ ist, dass sie abgesprochen sind und programmiert wirken. Der einleitende Spieler geht in keine 1:1-Situation. Auch der Abstand in der einleitenden Aktion ist wichtig, damit die Abwehrspieler kein Stürmerfoul provozieren können.  Mangelhafte Ballsicherung, schlechte Passtechnik und zu frühe Abspiele sind weitere Fehlerquellen. Viele Trainer – auch ich – sprechen immer davon, dass Handball für uns immer ein 1:1 und 2:2 ist. Neutral betrachtet, stimmt das schon in Abwehr und Angriff. Abwehr- und Angriffskooperationen sind vor allem 2:2-Situationen.

Ich werde diese Weltmeisterschaft weiterhin aufmerksam verfolgen. Gespannt bin ich auf das letzte Spiel der deutschen Mannschaft am Montag gegen Polen, bei dem es noch um den dritten Platz in Hauptrunden-Gruppe 1 geht. Ob hier die deutschen Youngster wie Juri Knorr noch ein paar WM-Minuten bekommen? Was lässt sich Alfred Gislasson zum Abschluss einfallen? Obwohl es sportlich um nicht mehr viel geht: Das „Finale“ dürfte durchaus interessant werden.