Unser WM-Experte: Felix findet Fakten
Abschlusszeugnis aus Ägypten: „Ich bin ernüchtert“
Die deutsche Mannschaft zeigte gegen Polen auch im letzten WM-Spiel wieder Schwächen - vorne wie hinten.

Da waren sie noch optimistischer: Bundestrainer Alfred Gislasson (mittlere Reihe, ganz links) musste erleben, dass sein umgebauter Kader zu selten an der oberen Leistungsgrenze spielte. (Foto: Sascha Klahn/DHB)

Viele hatten von der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Ägypten mehr erwartet. Trotz der zahlreichen personellen Absagen im Vorfeld war selbst der Deutsche Handball-Bund davon ausgegangen, dass der Einzug ins Viertelfinale ein realistisches (Minimal-)Ziel sei. Aber von Beginn an lief nicht alles so rund, wie es erforderlich gewesen wäre – sodass die Mannschaft von Trainer Alfred Gislasson nach dem 28:29 gegen Ungarn zunächst den ersten Platz in der Vorrunden-Gruppe 1 verpasste. Es folgte in der Hauptrunde ein 28:32 gegen die Spanier, das letztlich alle Chancen auf das Weiterkommen zerstörte. Das abschließende 23:23 gegen die Polen brachte dann zwar den dritten Rang in der Gruppe 1 der Hauptrunde, war allerdings nicht mal ein Trostpreis – sondern in der Summe (Zwölfter) das schwächste deutsche WM-Ergebnis seit einer gefühlten Ewigkeit. Unser WM-Experte Felix Linden, Chefcoach des Drittligisten HSG Krefeld Eagles, Lehrer, Buchautor und Handball-Verrückter, hat auch das „Finale“ gegen Polen genau beobachtet. Seine Gedanken zur Abschieds-Vorstellung und zum Turnierverlauf stellen dem deutschen Team allenfalls ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Unter Berücksichtigung von Schulnoten hieße es in einem Kommentar wohl: „Hat das Klassenziel nicht erreicht.“ Hier ist Felix‘ Analyse:

Ich finde den zwölften Platz und das gestrige Ergebnis ernüchternd. Auch einen Tag später kann ich das letzte Spiel noch nicht zu hundert Prozent einordnen: Unentschieden gegen die Polen, die bei der letzten WM nur 17. waren, bei der letzten EM nur 21 und jetzt nur wegen einer Wildcard in Ägypten dabei. Spieler, die bei erstklassigen Klubs unter Vertrag, sieht man bei den Polen eher vereinzelt. War die deutsche Mannschaft trotz ihrer Ausfälle personell schlechter aufgestellt als die Polen? Ich glaube es nicht.

Auffällig war gestern, dass die deutsche Abwehr kaum die Sperren der polnischen Kreisläufer bearbeitete. Zweikämpfe wurden zu früh aufgegeben. Interessant war auch, dass die Polen Tempogegenstoß-Tore direkt mit einer schnellen Mitte bestraften. Ich finde, dass dies sowieso ein taktisches Mittel ist, in dem viel mehr Potenzial liegt. Vorausgesetzt, der gegnerische Außen oder Kreisläufer fällt bei einem Wurf: Warum sollte man diese kurzfristige Überzahl nicht seinerseits mit einem hohen Tempo nutzen? 

Im Angriff verwarfen die Deutschen wieder viele freie Möglichkeiten. Auffällig war hier vor allem Timo Kastening: Sein halbhoher Wurf aus einer Fallbewegung war mehrmals bei dieser WM zu sehen. Aber Timo ist jung und wird aus dieser Situation lernen. Uwe Gensheimer war in der ersten Halbzeit viel im Tempogegenstoß zu sehen und konnte diese Aktionen alle verwandeln. Das Angriffskonzept war klar zu erkennen: Der Innen-Rechts-Spieler der Polen wurde isoliert und im 1:1 permanent angegriffen, die Folgehandlung war ein Kreuzen mit Rückraum rechts. Ich fand, dass zu lange an dieser Auslösehandlung festgehalten wurde – und dass der Gegner dieses Konzept sehr gut im Griff hatte. Die Polen hatten eine gute, bewegliche und „antizipative“ Abwehr gestellt. Sie provozierten so den einen oder anderen technischen Fehler der Deutschen. Keeper Adam Morawski konnte einige Bälle halten und war am Ende sicherlich verdient der Spieler des Spiels. Auf der anderen Seite verdiente sich Andreas Wolff ebenfalls eine gute Note für seine Leistung.

Auch nicht begeistert: Felix Linden konnte der deutschen Mannschaft insgesamt kein gutes Zeugnis ausstellen. (Foto: Herbert Mölleken)

Ein kleines Fazit dieser WM: Es entschieden im Grunde nur wenige Aktionen über die genauen Plätze – hier zwischen dem zwölften Rang und dem erhofften Viertelfinale. Das 43:14 gegen Uruguay war wohl kaum sehr aussagekräftig. Und wie bewertet man das 31:24 gegen lustlose Brasilianer? Oft heißt es ja, dass der letzte Eindruck zählt. Und den Willen zum Sieg habe ich über „mehr Weite des Spiels“ bei den Polen gesehen. Außerdem konnten die Deutschen die ständigen Überzahl-Situationen in den letzten Minuten nicht effektiv nutzen. Großes Problem im Turnier war der Abwehr-Innenblock – und trotzdem haben die jungen Spieler dadurch wichtige Erfahrungen gemacht, die sie mittel- und langfristig voranbringen. Ich bin gespannt auf die personellen Konstellationen beim Olympia-Qualifikationsturnier im März. Wer wird aus dem WM-Kader bleiben? Wer kommt zurück ? Es bleibt spannend.