2. Bundesliga/Regionalliga
„Matze“ Puhle: Alles für den Handball, noch mehr für die Familie
Der Keeper des Zweitliga-Zweiten VfL Gummersbach kehrt zur nächsten Saison nach Rheinhausen zurück.

Versucht es doch: Matthias Puhle findet viel Spaß daran, seinen Arbeitsplatz komplett abzudichten. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist im besten Handballer-Alter. Für einen Torhüter sowieso. Er blickt auf 15 Jahre als Profi zurück. Und er hat mit 35 noch so viel Leidenschaft in sich wie die ganz Jungen. Er hat eine halbe Ewigkeit an Bundesliga-Erfahrung gesammelt und er kann davon ausgehen, dass der VfL Gummersbach in der nächsten Saison die Rückkehr in die 1. Bundesliga schafft. Sich wieder mit vielen der weltbesten Spieler zu messen, sich mit einem wie dem Kieler Kollegen Niklas Landin zu vergleichen? Klar waren und sind die Aussichten verlockend für Matthias Puhle, der genauso gerne auf das deutlich weiter verbreitete „Matze“ hört. Trotzdem hat der Keeper vor einiger Zeit in sich hineingehorcht und eine Entscheidung getroffen – nicht gegen den Traditionsklub aus dem Oberbergischen, sondern für seine Familie. Und am Ende auch für sich selbst, für einen anderen Blick auf die Dinge. Dabei ist Matze Puhle keineswegs handballmüde – und davon hatten sie im Ruhrgebiet rechtzeitig Wind bekommen. Deshalb steht Puhle ab der kommenden Saison für den Regionalligisten OSC Rheinhausen zwischen den Pfosten – bei jenem Verein, aus dessen Jugend er stammt. Es scheint ein Glücksfall für beide Seiten zu sein: Der OSC verstärkt seinen Kader und Matze Puhle kann Persönliches einfacher mit dem Sportlichen verbinden.

„Das ist das, was ich machen möchte“, betont der gebürtige  Duisburger, „es ist wichtig, für meine Frau und meinen Sohn da zu sein.“ Zurzeit führen Puhles in der Woche eher eine Fernbeziehung. Vom neues Haus in Nieukerk aus nach Gummersbach wären täglich 140 Kilometer zu pendeln – für eine Strecke, also doch 280 Kilometer pro Tag. Zusammen mit dem Leben als Profi, das den Betreffenden in dieser schwierigen Zeit vielleicht noch mehr abverlangt als ohnehin, ergab sich insgesamt ein hoher Aufwand – künftig zu hoch aus Puhles Sicht. In dieser Situation passte es ziemlich gut, dass der Kontakt zu Klaus Stephan noch da war. Stephan ist nicht nur der aktuelle Vorsitzende des OSC Rheinhausen, sondern im Hauptberuf Leiter einer Gesamtschule. Als Sportlehrer hatte er in seiner Klasse einst den Knirps Matze Puhle – dessen Werdegang er im Erwachsenen-Leben immer aufmerksam verfolgte. Die restlichen Puzzleteile fielen dann relativ schnell an ihren Platz. Erstens: Vor anderthalb Jahren liefen sich die Herren über den Weg, man tauschte sich aus. Zweitens: Als Stephan vor einiger Zeit bei Puhle nachfragte, ob der sich einen Wechsel nach Rheinhausen vorstellen könne, dauerte es bis zum Ja-Wort nicht mehr lange. 

Ein bitterer Moment: Mit Gegentoren kann Matthias Puhle relativ wenig anfangen. (Foto: Thomas Schmidt)

Der Blick in die offizielle HBL-Statistik belegt eindrucksvoll, wen die Rheinhausener da sportlich bekommen: Matze Puhle ist mit seiner bisherigen Quote von 39,74 Prozent gehaltener/abgewehrter Bälle der aktuell stärkste Torhüter in der 2. Bundesliga. In Gummersbach wissen sie das zu schätzen. „Vielleicht ist er sogar der wichtigste Faktor dafür, dass wir im Moment sportlich so gut dastehen“, sagt  Geschäftsführer Christoph Schindler über den Schlussmann, der in der vergangenen Saison im Frühjahr gesundheitliche Probleme hatte – die er komplett überwunden hat. In jener Zeit kam Puhle aber besonders intensiv dazu, sich Gegenwart und Zukunft durch den Kopf gehen zu lassen: „Ich habe in dieser Zeit viel gelernt über mich.“ Es war die Grundlage für den Entschluss, nach der folgenden Saison aus dem Profisport auszusteigen und etwas Neues anzufangen. Wieder sehr passend: Der OSC Rheinhausen konnte bei einer beruflichen Perspektive helfen und beim Stadtsportbund Duisburg eine Ausbildungsstelle vermitteln.

Zumindest in den kommenden rund fünf Monaten dreht sich nun aber noch (fast) alles um den VfL Gummersbach, denn Matze Puhle will sich – was sonst – mit dem größten möglichen Erfolg und der Rückkehr in die Bundesliga verabschieden. Es wäre die späte Reparatur des Abstiegs, der sich aus finanziellen Gründen lange angedeutet hatte und den VfL im Sommer 2019 trotzdem bis ins Mark traf. „Der VfL gehört in die 1. Liga“, findet Puhle, der dort bereits für die HSG Düsseldorf (2006 bis 2011) und HBW Balingen-Weilstätten (ab 2011) tätig war, ehe er im Februar 2014 den Weg ins Oberbergische fand. Das vielleicht ein bisschen scherzhaft gemeinte Rezept für die Meisterschaft kennt der 35-Jährige: „Wir wollen noch 23 Spiele gewinnen.“ So viele weitere Aufgaben hält der Spielplan bis zum 26. Juni tatsächlich bereits für die Gummersbacher – die momentan mit 23:3 Punkten aus 13 Partien auf Rang zwei hinter dem HSV Hamburg liegen (15 Spiele/26:4). Viel spricht dafür, dass sich diese Klubs die beiden Tickets für den Fahrstuhl nach oben sichern werden, zumal der Dritte TuS N-Lübbecke (14/20:8) bereits ein Stück zurückliegt. 

Und noch mehr spricht dafür, dass Matthias Puhle bis zur letzten Sekunde des letzten Saisonspiels am 26. Juni beim TV Großwallstadt alles für Gummersbach geben wird – wie es Verein und Fans von ihm kennen. Gegentreffer sind für „Matze“ Puhle problematisch und Niederlagen empfindet er erst recht als sehr schmerzhaft. Außerdem geht er fast nach jeder Aktion direkt in die Analyse, um es beim nächsten Mal (noch) besser zu machen. Anders ausgedrückt: „Matze“ Puhle scheint bisweilen mit sich selbst auf Kriegsfuß zu stehen. Es ist auf jeden Fall eine besonders starke Art der Eigen-Motivation, die der Schlussmann vor allem im Profi-Geschäft für unerlässlich hält: „Das gilt auch, wenn wir im Training Fußball und jung gegen alt spielen. Wenn du da nicht gewinnen willst….“ Bei allem Ehrgeiz und trotz aller glanzvollen Statistiken weiß „Matze“ Puhle genau, wann er mal einen schwächeren Tag erwischt hat – der seiner Mannschaft nicht wirklich hilft: „Wenn ich persönlich merke, dass es nicht reicht, sag ich das. Der Erfolg des Teams ist das Wichtigste.“ 

Gutes Team: Matthias Puhle gönnt seinem Gummersbacher Torhüter-Kollegen Diogo Valerio jede einzelne starke Parade. (Foto: Thomas Schmidt)

An dieser Einstellung wird sich für Puhle in Rheinhausen wenig ändern. Dort will er unbedingt dazu beitragen, dass der OSC auf seinem sportlichen Weg voranschreitet. Mindestens ähnlich wichtig: „Ich freue mich, in eine Gruppe zu kommen, die zum Training kommt und Spaß hat.“ Stichwort Training: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann den Coach Puhle geben wird. „Mein Ziel ist es, den Trainerschein zu machen“, erklärt der Keeper, „ich glaube, ich weiß, wie ich mit Menschen  umgehen kann.“ Das Ende seiner aktiven Karriere sieht er allerdings noch lange nicht gekommen – warum auch, wenn die besten Torhüter der Welt die 30 oft genug hinter sich haben? Die Zusammenarbeit mit dem OSC haben beide Seiten zunächst für drei Jahren abgeschlossen – was nicht zuletzt der Sportliche Leiter Olaf Mast und Trainer Thomas Molsner klasse finden.

„Wir bekommen nicht nur einen der besten Torhüter aus dem Unterhaus, sondern auch einen Spieler mit Stallgeruch, der über einen hohen Identifikationsfaktor verfügt. Diesen Zugang darf man ohne weiteres als Meilenstein bezeichnen“, meint Mast. „Das ist ein Zeichen und der Königstransfer, von dem man eigentlich nur träumen kann. Mit Matze gewinnen wir wieder ein Gesicht des OSC für unsere Idee“, sagt Molsner. Wohin das alles führt? Keiner hätte was dagegen, wenn die Regionalliga nicht das letzte Wort bleibt, auch und erst recht „Matze“ Puhle nicht. Der ist doch gerade erst im besten Handballer-Alter. Und er hat dieselbe Leidenschaft wie die Jüngeren.