Der "PlayerScore" bei der WM in Ägypten
Allstar-Team und MVP sind eine gute Wahl!
Seine Erfinder Oliver Brosig und Jörn Uhrmeister lieben Daten - und den Handball.

Die besten fünf: Der Norweger Sander Sagosen wäre der MVP der Weltmeisterschaft geworden, wenn nur der PlayerScore gezählt hätte.

Die Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten ist seit Sonntagabend Geschichte. Und hat sie hat außergewöhnliche Geschichten geschrieben – unter anderem jene um den coronagebedingten Rückzug des Kap-Verde-Teams oder den Auftritt des schwergewichtigen Kreisläufers Gauthier Mvumbi aus der Mannschaft der Demokratischen Republik Kongo. Bis heute glaubt niemand, dass die offiziell genannten 110 Kilo auch nur annähernd der Wahrheit entsprechen. Sportlich bestimmten am Ende andere die Schlagzeilen und im Halbfinale waren drei vorab als Titelkandidaten eingeschätzte Mannschaften dabei: Der alte und neue Weltmeister Dänemark, Europameister Spanien, Frankreich. Mancher hätte dazu vielleicht eher die Norweger in der Runde der letzten vier erwartet – und nicht jene Schweden, die sogar das Endspiel erreichten. Fernab von allen Emotionen und subjektiv geprägten Einschätzungen nahmen Oliver Brosig und Jörn Uhrmeister das Turnier unter die Lupe. Sie sammelten in dem von ihnen erfundenen „PlayerScore“ Daten, Daten, Daten: So viele und derart präzise, dass sie nach jeder Partie anhand eines umfangreichen Zahlenmaterials belegen konnten, warum dieses und jenes Urteil wohl zutreffend war – und ein anderes vielleicht nicht. Zum Abschluss der WM haben sie sich unter anderem Gedanken darüber gemacht, ob die Wahl zum „MVP“ des Turniers einer genauen Überprüfung standhält. Der Weltverband IHF hat sich auf den Dänen Mikkel Hansen als wertvollsten WM-Spieler festgelegt – ausgerechnet auf ihn, der im Viertelfinale beim Zittersieg über Gastgeber Ägypten kurz vor Schluss die Rote Karte gesehen hatte und damit fast die Träume der Dänen zum Einsturz gebracht hätte. Was Uhrmeister und Brosig von dieser und anderen Wahlen halten, erklären sie hier:

 

„Allstar-Team und MVP sind eine gute Wahl. Bei Betrachtung des MVP sowie des Allstar-Teams kann auch der PlayerScore mit den  Nominierungen der IHF gut leben. Sander Sagosen war zum Zeitpunkt des Finales nicht mehr vor Ort in Ägypten, Matthias Gidsel ist vielleicht etwas zu jung für den MVP, seine Nominierung für das Allstar-Team allerdings absolut gerechtfertigt. Mikkel Hansen räumt in diesem Jahr richtig ab: Er wird Weltmeister, MVP und ins Allstar-Team nominiert. Außerdem findet die Leistung von Hampus Wanne entsprechende Würdigung. Und besonders beachtenswert ist, dass sich Ägyptens Yahia Omar unter den besten fünf Turniers behauptet, obwohl der Spieler des Gastgeber-Landes im Viertelfinale unglücklich ausgeschieden war.

Oliver Brosig (Foto: Privat)

Es kann bescheinigt werden, dass die Ägypter auf den Punkt fit und fixiert waren, denn neben Yahia Omar finden sich nach PlayerScore-Berechnung vier weitere Spieler aus Ägypten unter den „Top 50“: Mohammad Sanad (9.), Ahmed Elahmar (20.), Ali Zein (21.), Mohamed Mamdouh (32.), Yehia Elderaa (34). Als bester Deutscher erscheint Johannes Golla auf Platz 50. Außerdem treten besonders Kai Häfner und Marcel Schiller in Erscheinung (wegen seiner Nervenstärke am Siebenmeter-Punkt bei überwiegend knappem Spielstand). Aus „deutscher Sicht“ wusste darüber hinaus besonders der Schwede Jonathan Carlsbogard zu überzeugen, der in der Bundesliga für den TBV Lemgo auf Torejagd geht. Gespannt darf die HBL wohl auch auf den Dänen Magnus Saugstrup sein, der in der neuen Saison für Magdeburg auflaufen wird. Saugstrup landete im PlayerScore unter den Top 10. Und zum Schluss: Auch wenn das Endspiel lange Zeit ausgeglichen und knapp war, findet der dänische Sieg beim PlayerScore Bestätigung. Denn die dänische Mannschaft erzielte im Endspiel in der Summe 33,19 PlayerScore-Punkte – während die Schweden mit 24,14 Punkten vergleichsweise schlecht wegkamen.“

 

Oliver Brosig und Jörn Uhrmeister sind zwei dem Handball verfallene Daten-Experten: Dabei ist Brosig der (Chef-) Statistiker und Uhrmeister der unter anderem für die „Öffentlichkeitsarbeit“ zuständige Experte mit Hochschul-Hintergrund: Er arbeitet an der Ruhr-Uni Bochum am Institut für Sportwissenschaft – offiziell im „Lehr- und Forschungsbereich Sportarten und Bewegungsfelder“. Die beiden haben den „PlayerScore“ erfunden, der seit einiger Zeit selbst in der Bundesliga oder der IHF ein gerne herangezogenes Analyse-Instrument ist. So ist es aufgrund der  ermittelten Daten möglich, jede einzelne Partie in beliebig viele Puzzleteile zu zerlegen. Daraus folgt unter anderem: Der „Man of the match“ muss durchaus nicht automatisch der erfolgreichste Werfer sein. Und erst recht nicht der MVP des Turniers. Dieser Titel wäre sonst schließlich an Frankis Marzo (Katar) gegangen, der es in sieben Spielen auf 58 Treffer brachte – vier mehr als der Zweite Sagosen und drei mehr als der Dritte Hampus Wanne, die noch dazu immer wieder bei Siebenmetern in Erscheinung traten.

Jörn Uhrmeister. (Foto: Privat)

Kein Geheimnis ist, warum sich Brosig und Uhrmeister mit ihrer Liebe für Daten und Statistik gerade auf den Handball stürzten: Sie kennen „ihren“ Sport aus eigenem Erleben/Leiden – als Spieler und als Trainer. Das Credo: „Wir wollen wenigstens mit Daten arbeiten, die Spaß machen.“ Außerdem waren sie früher schon mal gemeinsam unterwegs, was für beide wohl eine gefühlte Ewigkeit zurückliegt: Damals war der Trainer Uhrmeister beim Verbandsligisten TuS Westfalia Hombruch praktisch der Vorgesetzte des Spielers Brosig. Und Uhrmeister, der die A-Lizenz des DHB besitzt, kann in seiner Vita immerhin auch auf eine Tätigkeit beim Bundesligisten Dortmund (Frauen) und beim Drittligisten VfL Eintracht Hagen verweisen. Er und Brosig sind damit nicht nur Daten-Freaks, sondern zugleich Männer der Praxis. Mit Emotionen und Leidenschaft. Was sie nicht wollen: Dem Handball sein Herz nehmen. Was sie wollen: Hin und wieder den Verstand einschalten. Und wir bieten deshalb eine Wette an: Der PlayerScore hat das Zeug dazu, selbst unterhalb der HBL oder der 2. Bundesliga breiter verwendet zu werden. Was haben denn die Schweden schon jetzt in Ägypten getan? Da saß ihr ehemaliger Weltklasse-Abwehrspieler Tobias Karlsson auf der Tribüne. Unten saß Trainer Glenn Solberg auf der Bank – mit einem Knopf im Ohr für die direkte Verbindung zum Team-Manager, der von oben seine Hinweise weitergab. Vielleicht ist der Tag nicht mehr so weit weg, an dem neben einem Tobias Karlsson ein Daten-Analyst sitzt, der permanent den PlayerScore beobachtet und an die Bank meldet. Oliver Brosig und Jörn Uhrmeister hätten vermutlich wenig dagegen.