2. Bundesliga
Jörg Bohrmann: „Ein Leben ohne Handball? Geht. Muss aber nicht sein.“
Der Jugendkoordinator des VfL Gummersbach, der als exzellenter Nachwuchs-Förderer gilt, hat viel vor in der "Heimat des Handballs".

Der Chef: Jörg Bohrmann ist beim VfL Gummersbach der Kopf eines Teams, das die Nachwuchsarbeit des Traditionsklubs aus dem Oberbergischen zukunftsfest machen soll. (Foto: VfL Gummersbach)

Er kennt sich aus und ziemlich alle Facetten des Handballs. Bundesligaspieler bei der SG Wallau-Massenheim, beim TV Niederwürzbach und beim TuS N-Lübbecke, Trainer in der 2. Bundesliga unter anderem bei der HG Saarlouis und bei den Rhein Vikings: Jörg Bohrmann weiß, wie die Dinge weit oben funktionieren. Gleichzeitig hat er den Ruf, besonders gut mit jungen Leuten arbeiten zu können – und er weiß, dass dieser Bereich elementar wichtig für jeden Klub ist. Beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen war der 52-Jährige von 2006 bis 2012 maßgeblich daran beteiligt, den Nachwuchs mit professioneller Akribie voranzubringen, ehe er die erste Mannschaft des Vereins übernahm (bis zum Rücktritt 2016). Im Sommer 2020 wechselte Jörg Bohrmann als Jugend-Koordinator in die „Heimat des Handballs“ zum VfL Gummersbach, dessen Geschäftsführer Christoph Schindler damit im langen Werben um den Handball-Fachmann doch noch erfolgreich war. Im Harzhelden-Interview spricht Bohrmann darüber, was den Reiz des VfL ausmacht, warum er mit jungen Menschen leidet, die zurzeit ohne Handball auskommen müssen, seine Sicht auf Dormagen, was er überhaupt in Gummersbach erreichen will und was er vom neuen Cheftrainer Gudjon Valur Sigurdsson hält – eine Menge. 

 

Nach dem Aus der Rhein Vikings mitten in der 3. Liga 2019/2020 wolltest du eigentlich ein bisschen Abstand gewinnen. Was hat dich umgestimmt, dann doch das Angebot des VfL Gummersbach anzunehmen und wieder im Nachwuchsbereich zu arbeiten?

Nach dem Aus bei den Vikings war ich natürlich ein bisschen niedergeschlagen, weil ich doch eine große Freude hatte, mit dieser Mannschaft zu arbeiten. Das haben auch die Erfolge am Schluss der Saison, die wir noch hatten, gezeigt bis zum Niedergang. Dann wollte ich ein bisschen Abstand gewinnen, aber Christoph Schindler hat mich schon seit knapp drei Jahren immer wieder angesprochen und versucht, mich nach Gummersbach zu holen, um den Jugendbereich und Nachwuchsbereich noch mal einen Schritt nach vorne zu bringen. Da habe ich mich irgendwann entschieden, dort hinzugehen, weil es doch schon eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist bei so einem tollen Verein wie dem VfL Gummersbach. Das ist ja nicht irgendein Verein. Darum bin ich dem Ruf aus Gummersbach gefolgt und ich habe es bis jetzt nicht bereut.

 

Er macht das schon gut: Geschäftsführer Christoph Schindler (links) und Gudjon Valur Sigurdsson, der Chefcoach des Zweitligateams, sind überzeugt von der Zusammenarbeit mit Jörg Bohrmann. (Foto: Thomas Schmidt)

Geschäftsführer Christoph Schindler hat damals gesagt, „Jörg ist einer der besten Nachwuchsförderer, die wir in Deutschland haben“. Stimmst du ihm zu?

Das ist immer so, dass ich das gar nicht so gerne höre. Es gibt so viele tolle Leute, Trainer und Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, von denen ich auch noch viel lernen kann. Ich versuche, mein Bestes zu geben. Und das ist das Wichtigste. Was ich in all‘ den Jahren gelernt habe, versuche ich mit einzubringen. Ich glaube, dass in vielen großen Vereinen seit Jahren tolle Arbeit geleistet wird von tollen Nachwuchsförderern. Da bin ich hoffentlich einer, der dazugehört. Aber das muss ich wiederum in Gummersbach auch erst wieder beweisen. Dafür habe ich jetzt die nächsten zwei, drei Jahre Zeit. Ich hoffe, dass der Christoph dann auch noch so denkt und ich einen Schritt weitergekommen bin in Gummersbach.

 

Was genau hast du in der Stellenbeschreibung „Jugendkoordinator“ zu tun?

Natürlich geht es darum, einen Masterplan aufzustellen, was das Internat angeht, was das Scouting angeht, die Trainerwahl, die komplette Jugendabteilung aufzustellen. Darum bin ich auch in diesem Jahr nicht nur Akademieleiter bis zur C-Jugend, sondern ich habe den Kinderhandball mit dazugenommen, der in den Akademiebereich hineinfällt – bis zu den Kleinsten in der U 7. Das sind Kinder, die ab dem dritten Lebensjahr schon mit in den Verein können. Es geht auch darum, Trainer auszubilden und da das Internat neu aufzustellen, ein gutes Scouting mit meinem Team zusammenzustellen. Und natürlich geht es jetzt am Anfang auch darum, den Verein erst mal ein bisschen kennenzulernen. Das ist ein großer Verein und in dieser Zeit ist es nicht so einfach, mehr meine Leute kennenzulernen. Das ist eine spannende Aufgabe.

 

 

Der Handball unterhalb der Profiligen liegt zurzeit immer noch auf Eis, inzwischen wieder seit einigen Monaten. Was bedeutet das zum Beispiel für eure A-Jugend, die ja den Unterbau für die Senioren bilden soll?

Natürlich ist der Trainingsbetrieb insgesamt dadurch gestört. Man muss einfach sagen, dass die Kinder am meisten darunter leiden. Wenn ich jetzt davon rede, dass ein C-Jugend-Spieler vielleicht noch ein bisschen verletzt war, hat er vielleicht die komplette Zeit in der C-Jugend außer einem Spiel keine Saison gehabt. Im letzten Jahr wurde die halbe Saison abgebrochen und dann hat er unter Umständen weder Spielpraxis noch Trainingspraxis gesammelt, weil da immer wieder auch Unterbrechungen waren. Wir versuchen langsam, die Jungs über den Drittliga-Bereich und über den Bundesliga-Bereich peu à peu heranzuführen, gerade die Älteren. Aber es ist schwierig; Wir müssen einfach sehen, was die die nächsten zwei Jahre uns zeigen, wenn es denn mal wieder normal laufen sollte, welche „Schäden“ das dann verursacht hat und wie weit ein Rückschritt zu sehen ist. Das müssen wir erst abwarten. Schlussendlich freuen wir uns aber alle, wenn wir wieder in die Halle können.

 

Geht den Talenten da nicht ein ganzes Jahr verloren?

Es geht einfach zu viel verloren. Man muss abwarten, was daraus entsteht – ob dieses Jahr zeigt, dass die Jungs einen großen Rückschritt gemacht haben oder ob sie das wieder aufholen können.

 

Energiegeladen: Jörg Bohrmann (hier noch als Trainer der Rhein Vikings im Einsatz) ist im Jahr 2021 als Neu-Gummersbacher genauso intensiv dabei wie bei früheren Stationen. (Foto: Thomas Schmidt)

Und was wird aus denen da „unten“? Wie könnt ihr etwa den E- oder F-Jugendlichen eine Perspektive bieten und gehen nicht am Ende viele Talente verloren?

Es können natürlich viele Talente verloren gehen im F-Jugend-Bereich. Wir versuchen, da entgegenzuwirken, dass wir zum einen unsere bestehenden Mitglieder, die Kinder, wöchentlich durch Zoom-Meetings versorgen. Für die Kleinen ist das aber wirklich schwer. Sie dürfen nicht in die Halle, sie dürfen sich nicht austoben. Hier geht es nicht mehr nur um Handball, sondern um die Gemeinschaft, das Zusammensein. Der Kinder-Handball ein-, zwei- oder dreimal die Woche fehlt einfach – nicht nur den Kindern. Auch uns Trainern fehlt das unglaublich. Da müssen wir jetzt nachhaltig arbeiten, um zu schauen, dass wir unsere Kinder halten, dass wir aber auch Kinder neu gewinnen. Das werden spannende Wochen, Monate und Jahre werden, um keinen größeren Schaden entstehen zu lassen.

 

Vorausgesetzt, die Zeiten wären normal: Stehst du auch noch selbst in der Halle?

Ich stehe immer in der Halle und solange ich in der Halle stehen kann, freue ich mich drauf, die Kinder zu sehen. Ich betreue ja die C-Jugend selbst noch, aber ich habe auch Individualtraining gemacht. Das brauche ich. Und auch meinen Trainern zuzuschauen, viele Trainergespräche zu führen – darum bin ich tagtäglich immer in der Halle gewesen. Das gehört zu einem Akademieleiter, dass er sich immer wieder informiert und schaut, was in der Halle passiert, die Fragen der Trainer und Spieler beantwortet. Darum bin ich gerne in der Halle, nicht nur, weil ich es muss. Ich möchte selbst immer noch ein bisschen Trainer sein, in welcher Funktion auch immer – ob es nur im Individualbereich ist oder als Trainer einer Mannschaft. Da bin ich immer noch Feuer und Flamme und ich möchte das weiterhin nicht missen.

 

 

Du hast einen Vertrag über drei Jahre mit dem VfL. Was willst du bis dahin erreicht haben?

Ich möchte in diesen drei Jahren ein positives Ergebnis sehen. Man muss meine Handschrift erkennen und erkennen, dass wir uns weiterentwickelt haben. Am meisten siehst du das, wenn die Menschen nicht nur zufrieden sind, sondern wenn du den einen oder anderen Jugendspieler in der Bundesliga siehst. Dann sehe ich, dass sich die Zeit gelohnt hat beim VfL Gummersbach. Ich möchte, dass wir einen guten Zulauf haben, dass wir erkannt werden durch unsere gute Arbeit. Das Erste, was ich erreichen möchte: Dass wir erkennen, dass wir es auch in Zukunft schaffen werden, immer wieder den einen oder anderer Spieler in die Bundesliga-Mannschaft zu bringen – und er dort vielleicht sogar eine wichtige Rolle spielen kann.

 

Du bist als Koordinator der Akademie irgendwie auch die Schnittstelle zum Bundesliga-Team. Wie eng ist euer Kontakt?

Der Kontakt zur Bundesliga ist sehr eng mit allen. Anel Mahmutefendic alleine als Co-Trainer des Bundesliga-Mannschaft ist jemand, der im Jugendbereich tatkräftig mit anpackt, viele Aufgaben mit erledigt. Dadurch gibt es sehr viele Gespräche mit ihm und mit Goggi. Es macht eine unheimliche Freude, weil man sieht, dass da auch Trainer sind, die diese Jugendarbeit sehr ernst nehmen und davon auch profitieren möchten, klar. Wir sind im engen Austausch über die Spieler, die Talente. Das läuft richtig gut.

 

Wie bewertest du die Arbeit der neuen Trainer Gudjon Valur Sigurdsson und Anel Mahmutefendic?

Sensationell. Goggi und Anel machen eine sehr, sehr gute Arbeit. Man merkt, dass sie auch als Team gut funktionieren. Was Goggi angeht: Es ist einfach so, dass du gar nicht denkst, dass er zum ersten Mal eine Mannschaft in einem so hohen Bereich trainiert und gerade erst als Spieler aufgehört hat. Er ist sehr abgeklärt und ich habe immer den Eindruck, dass die Mannschaft ihm zuhört, dass sie ihn wahrnehmen, dass sie wissen, was dieser Mann auch als Sportler geleistet hat. Er macht einen richtig guten Job. Das siehst du in der Tabellensituation, denn sie sind vorne dabei. Natürlich muss er mit Höhen und Tiefen noch umgehen, aber ich finde das sensationell. Anel unterstützt ihn da tatkräftig und er macht auch einen Riesenjob. Man sieht, dass es die richtige Entscheidung von Christoph Schindler war, diesem Trainerduo die Verantwortung zu übergeben und das Vertrauen zu schenken.

 

„Muss“ Gummersbach aus der Sicht des Jugend-Koordinators in die Bundesliga aufsteigen?

Ja. Gummersbach gehört einfach in die Bundesliga, unabhängig von unserer Jugend. Natürlich ist es für mich als Akademieleiter einfacher, bei einem Erstligisten zu arbeiten, weil natürlich auch die Aufmerksamkeit deutschlandweit und darüber hinaus größer ist als in der 2. Bundesliga. Aber Gummersbach insgesamt gehört einfach in die Bundesliga. Das tut der Region gut. Das ist ein Aushängeschild nicht nur für die Region, sondern darüber hinaus. Darum hoffe ich, dass wir bald wieder Bundesliga spielen.

 

Lass uns reden: Jörg Bohrmann pflegt den intensiven Austausch – unter Umständen auch während einer Partie jenen mit den Schiedsrichtern. (Foto: Thomas Schmidt)

Du hast früher über viele Jahre auch beim TSV Bayer Dormagen erfolgreich im Nachwuchsbereich gearbeitet – unter anderem mit Patrick und Ian Hüter. Was unterscheidet die beiden Vereine, die ja direkte Rivalen sind? Zuletzt ist ja Julian Köster aus Dormagen zu euch in die erste Mannschaft gewechselt.

Beide investieren viel in die Jugendarbeit. Dormagen hat früh erkannt, dass sie da etwas tun müssen, um weiterhin zumindest in der 2. Bundesliga im Männerbereich spielen zu können, weil sie auch von der Jugend mit abhängig sind. Der Jugendbereich in Dormagen ist einfach gut aufgestellt. Was schön ist zu sehen: Der Verein schenkt jungen Trainern das Vertrauen und die machen einen hervorragenden Job da. Sie gehören mittlerweile zu den Top-Adressen in Deutschland. Ja, wir wollen uns anschließen, wir wollen da auch hin und im Mittelrhein ein Konkurrent sein, von dem beide Parteien profitieren. Man sieht durch die Arbeit der letzten Jahre, dass viele Talente nicht nur in der Zweitliga-Mannschaft beim TSV spielen, sondern auch tragenden Säulen sind – wie die Hüter-Brüder zum Beispiel. Natürlich ist es so, dass Gummersbach jetzt durch die Verpflichtung von Julian Köster mit profitiert, denn das ist ein hervorragend ausgebildeter Spieler – nicht nur in Dormagen, sondern auch vorher in Brauweiler. Da musst du immer die kleinen Vereine sehen, die gut ausgebildet haben. So viel unterscheidet die beiden Vereine gar nicht. Sie investieren viel in die Jugend – ob das Björn Barthel in Dormagen oder Christoph Schindler in Gummersbach ist. Beide wollen, dass im Jugendbereich etwas passiert. Sie investieren und wollen dann auch die Früchte tragen. Dormagen tut das, Gummersbach tut das. Wir müssen weiter akribisch arbeiten. Dormagen ist schon weiter, weil es gewachsene Strukturen hat. Wir wollen auch noch mal einen Schritt weitergehen, um den Athleten, die zu uns kommen, noch mehr bieten zu können. Beide Parteien sehen einen wichtigen Teil in der Jugendarbeit.

 

Weil Anfragen von Interessenten sowieso immer wieder kommen werden: Ist es denkbar, dass du noch einmal selbst im Männer-Bereich eine Mannschaft übernehmen wirst?

Es ist immer denkbar. Das wird die Zeit zeigen. Jetzt habe ich erst mal die Aufgabe beim VfL und da etwas zu schaffen. Ob ich in Zukunft noch mal eine Männer-Mannschaft trainiere, werden wir sehen. Aber wenn, dann nur im Leistungsbereich von der 3. Liga aufwärts. Ich möchte dann auch eine Mannschaft haben, die unter Leistungsbedingungen trainieren kann. Dann kann das immer wieder sein. Jetzt beschäftige ich mich aber erst mal mit der Aufgabe in Gummersbach.

 

Du bist 52 Jahre jung. Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Ich hoffe, immer noch in der Halle und immer noch mit jungen Menschen zu arbeiten und weiterhin Freude am Handball zu haben. Aber ich lebe im Jetzt und dann werden wir sehen, was die nächsten Jahre bringen. Dann können wir uns vielleicht in zehn Jahren wieder unterhalten und schauen, was so passiert ist und wie ich noch weiter dem Handball verbunden bin.

 

Kannst du dir ein Leben ohne den Handball überhaupt vorstellen?

Ich kann mir auch ein Leben ohne Handball vorstellen, ja sicherlich, klar. Er ist ein wichtiger Teil für mich und ich mag es, in der Halle zu stehen. Ich mag es, mit jungen Spielern zu arbeiten – mit Menschen, die einen Leistungsgedanken haben, die wirklich akribisch an Dingen arbeiten. Das hat nicht nur etwas mit dem Sport zu tun. Das merke ich auch in der Schule, in der ich in Marienheide als Lehrer arbeite. Das macht mir große Freude. Ich möchte dem Handball so lange wie möglich verbunden bleiben, aber ich kann mir sicher auch ein Leben ohne Handball vorstellen. Sagen wir es mal so: Muss noch nicht sein.