2. Bundesliga
Der „Hamburger“ Torsten Jansen: „Du musst immer demütig bleiben“
Der Trainer des Handball-Sport-Vereins hat an der Elbe sein Glück gefunden. Das Gipfeltreffen mit dem VfL Gummersbach sieht er relativ entspannt.

Die Bestimmer: Hamburgs Chefcoach Torsten Jansen (links) hat in Co-Trainer Blazenko Lackovic einen kompetenten Unterstützer an seiner Seite. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist geboren in Adenau. Einwohner? Heute knapp 3000. Und weil die Kleinstadt in Rheinland-Pfalz direkt am Nürburgring liegt, hätte es Torsten Jansen vielleicht eher zum Motorsport ziehen müssen: „Kart fahre ich tatsächlich gerne.“ Er hat lange in Witzhelden gelebt. Einwohner? Rund 5800. Das sind zwar mehr als im Eifel-Städtchen, aber eine Metropole wird daraus trotzdem nicht. Witzhelden selbst trägt sogar mit Stolz den Titel Höhendorf – woran sich nichts geändert hat, seit es vor über 40 Jahren in die Stadt Leichlingen eingemeindet wurde. Geblieben ist Witzhelden für Torsten Jansen vor allem eins: Ein Stück Heimat – und jener Ort, von dem er auszog, die Handball-Welt zu erobern. Die ganz große Handball-Welt, zuerst als Spieler und inzwischen als Trainer. Sein Zuhause mittlerweile: Hamburg, die 1,8-Millionen-Stadt an der Elbe. Dort hat Jansen alles gewonnen, was der Vereinshandball zu bieten hat, und dort scheint ihm jetzt auch als Trainer eine Menge zu gelingen. Mit dem Handball-Sport-Verein Hamburg führt er die Tabelle der 2. Bundesliga an – und nicht wenige gehen davon aus, dass der Aufstieg längst beschlossene Sache ist. Einer, der das ganz anders sieht: Torsten Jansen. Auf der einen Seite freut er sich auf das Gipfeltreffen am Mittwochabend mit dem VfL Gummersbach, doch gleichzeitig sieht er es so, wie es möglicherweise wirklich sein mag: „Es ist auch nur ein Spiel, in dem zwei Punkte vergeben werden.“ Die Lage in Zahlen: Der HSV liegt als Spitzenreiter mit 33:5 Zählern vor den Gummersbachern (29:7) und dem TuS N-Lübbecke (27:9). Dahinter folgt der VfL Lübeck-Schwartau (22:14) ein gutes Stück zurück, sodass die drei Top-Teams den Kampf um die beiden Aufstiegsplätze wohl unter sich ausmachen werden. Und logisch: Gewinnt der HSV gegen Gummersbach, erhöht er seine Chancen weiter.

 

 

Torsten Jansen begann mit dem Handball 1982 beim TV Witzhelden, dem er bis 1992 die Treue hielt. Über den Wermelskirchener TV führte sein Weg beständig in Richtung Riesen-Karriere: TuSEM Essen, SG Solingen, HSG Nordhorn, HSV Hamburg, THW Kiel, Handball-Sport-Verein Hamburg. In den zwölf Hamburger Jahren wurde Torsten Jansen, der bereits 2000 mit der SG Solingen den Aufstieg in die Bundesliga geschafft hatte, Champions-League-Sieger (2013), Deutscher Meister (2011), Supercup-Sieger (vier Mal), Sieger im DHB-Pokal und Sieger im Europapokal der Pokalsieger (2007). Ganz „nebenbei“ begann im Oktober 1999 eine nahezu märchenhafte Karriere in der Nationalmannschaft: Weltmeister 2007, Europameister 2004, Vize-Europameister 2002, Olympia-Silber 2004. In der Zusammenfassung ist der Linksaußen einer der erfolgreichsten Spieler, die Handball-Deutschland jemals gesehen hat – und er steht irgendwie fast auf einer Stufe mit Gudjon Valur Sigurdsson, dem einstigen Weltklasse-Linksaußen, der seit dem Sommer 2020 als Trainer für den VfL Gummersbach verantwortlich ist.

Bei den Vereins-Titeln liegt Sigurdsson vorne, der mit seinen Klubs unter anderem Landesmeister in Dänemark (2012), Deutschland (2013, 2014), Spanien (2015, 2016), noch einmal Deutschland (2017) und Frankreich war (2020). Die Champions-League (2015) steht natürlich ebenfalls in der beeindruckenden Vita des Isländers. Torsten Jansen gleicht das aber aus durch seine Triumphe für und mit Deutschland, denn Sigurdsson war „nur“ Olympia-Zweiter (2008) und EM-Dritter (2010). Zusammengefasst: Es treffen zwei Handball-Experten aus dem höchsten Regal aufeinander. Dass beide über 40 sind, merkt ihnen keiner an – fast sieht es so aus, als könnten sie jederzeit aktiv wieder ins Geschehen eingreifen. „Ich fühle mich fit“, betonte Jansen (44), „aber ich bin nicht so fit wie Goggi.“ Sigurdsson (42) stand schließlich in der abgebrochenen vergangenen Saison noch bei Paris St. Germain unter Vertrag, während der letzte Einsatz von Jansen als Aushilfs-Spieler bei personell notleidenden Hamburgern etwa vier Jahre zurückliegt.

 

 

Nach einer turbulenten Zeit, in die das Ende der Zusammenarbeit mit dem HSV, eine Insolvenz und der Rückzug aus der Bundesliga fielen, übernahm die gerade aufgestiegene ehemalige zweite Mannschaft des Handball-Sportvereins das schwierige Unternehmen Neu-Aufbau – mit dem Beginn der Saison 2016/2017 in der 3. Liga, in der über Rang drei und die Meisterschaft 2017/2018 die Rückkehr in die 2. Bundesliga gelang. Im März 2017 vom Co-Trainer zum Chef befördert: Torsten Jansen. Am Ende der Serie 2018/2019 stand Hamburg in der Tabelle auf Rang zwölf, bevor es die abgebrochene Saison 2019/2020 als Achter abschloss und sich nun auf einen  klassischen Höhenflug begeben hat. Torsten Jansen, der offensichtlich mit beiden Beinen auf dem Boden bleibt und von allzu hochtrabenden Plänen wenig hält, leitet daraus vor allem eins ab: Nichts. „Wir müssen immer demütig bleiben“, betont der Trainer des Spitzenreiters, „die Saison ist noch lang und es kann unheimlich viel passieren.“

Redezeit: Torsten Jansen findet in den Auszeiten viele richtige Worte – die bei der auf Rang eins liegenden Mannschaft auch ankommen. (Foto: Thomas Schmidt)

Wie eng die Dinge beieinanderliegen, erlebte er mit seiner Mannschaft erst am vergangenen Wochenende im Heimspiel gegen den Verfolger TuS N-Lübbecke. Neun Sekunden vor der Schluss-Sirene erzielte Lutz Heiny das 25:24 für die Gäste, die sich definitiv bereits auf einen Sieg einzurichten begannen. Niemand hatte damit gerechnet, dass Hamburgs Leif Tissier noch einmal die Gelegenheit suchen würde, einen Torwurf abzugeben. Der 21 Jahre junge Spielmacher probierte es aber einfach aus ungefähr zwölf Metern Entfernung – und der Ball trudelte fast aufreizend langsam zum 25:25-Endstand in den Kasten. Was Torsten Jansen durch jene Szenen bestätigt sah: Die Waage kann sich schnell mal auf die andere Seite neigen. Es gibt keine Garantie auf den Erfolg.

Wer den einstigen Linksaußen an der Seitenline beobachtet, erkennt die unverändert brennende Handball-Leidenschaft im Ex-Profi – der trotzdem fast immer eine Art stoischer Ruhe bewahrt. „Diese gewisse Gelassenheit brauche ich“, erklärt Jansen, der auf große Hektik zugunsten der großen Übersicht verzichtet. Soll heißen: Das wirbelnde Stehaufmännchen an der Seitenlinie ist seine Sache nicht und er hält es sowieso für wenig produktiv. Es mag damit zu tun haben, dass er von allen Trainern in seiner Spielerkarriere etwas mitgenommen und so zu seinem eigenen Stil gefunden hat. Zur Seite steht ihm dabei einer, der ebenfalls fast alles im Handball erlebt hat: Co-Trainer Blazenko Lackovic (40), der ehemalige kroatische Nationalspieler, kann ebenfalls auf eine großartige Laufbahn als Spieler zurückblicken. Er stand zusammen mit Jansen unter anderem im Team, das 2013 die Champions League gewann, und er ist bereits seit 2017 dessen Co-Trainer. Im Oktober 2020 half Lackovic sogar kurz aktiv aus, als das Personal plötzlich zu knapp geworden war. 

Grundsätzlich stellt der HSV eine Mischung aus ein paar erfahrenen und sehr vielen jungen Leuten – bei denen sich Leif Tissier zum prominentesten Vertreter entwickelt hat. Und obwohl dem Top-Talent Angebote von Bundesligisten vorlagen, unterschrieb er vor Kurzem einen neuen Vertrag an der Elbe bis 2023. Das passt perfekt in die Idee, die Torsten Jansen im Projekt Hamburg verfolgt: Die Mannschaft soll sich Schritt für Schritt weiterentwickeln. Er ist zuversichtlich, dass der Plan aufgehen kann, zumal er in seinem Kader die nötige Bereitschaft erkennt: „Vieles hängt von einem hohen Maß an Eigenmotivation ab. Die sehe ich bei uns, die Jungs sind voll dabei.“ Was herausspringen soll? Torsten Jansen bietet zwei Antworten, die von nahezu jedem Trainerkollegen stammen könnten: „Grundsätzlich wollen wir jedes Spiel gewinnen. Wir gucken von Spiel zu Spiel und warten ab, was dabei am Ende rauskommt. Vornehmen kannst du dir ja viel.“

Meine Herren, bitte in diese Richtung: Torsten Jansen ist natürlich der Chefcoach, doch von einem autoritären Stil hält er wenig. (Foto: Thomas Schmidt)

Dass die Hamburger mindestens mittelfristig zurück in die 1. Liga wollen, steht allerdings fest. Erstens: Ex-Nationalspieler Martin Schwalb, derzeit noch Trainer bei den Rhein-Neckar Löwen, kehrt nach Hamburg zurück und nimmt sein Amt als Vizepräsident wieder auf. Zweitens: In Noch-Nationaltorhüter Johannes Bitter (38) meldeten die Hanseaten kürzlich einen spektakulären Zugang für den Posten zwischen den Pfosten. Wer solches Personal an Bord hat, will hoch – und schnell ist nicht verboten. Torsten Jansen erklärt, dabei trotzdem keinen Druck zu spüren. Und der Aufstieg schon in dieser Saison sei absolut kein Muss: „Wir müssen immer sehen, wo wir herkommen.“ Was er dazu beizutragen vermag, tut er gemeinsam mit der Mannschaft: „Das sieht ja auch über weite Strecken schon ganz gut aus. Die junge Mannschaft soll einen Schritt nach vorne machen und wir wollen am Ende besser dastehen als im letzten Jahr.“

Erstaunlich: Torsten Jansen fühlt sich mit seiner Frau und den Kindern sehr wohl im Norden der Republik, wohnt jedoch etwas außerhalb von Hamburg: „Ich brauche die Großstadt nicht unbedingt.“ Dennoch hat er es keine Sekunde bereut, sich damals für Hamburg entschieden zu haben – und unter anderem gegen ein Angebot aus Gummersbach: „Warum, weiß ich gar nicht mehr so genau. Es war eine Bauch-Entscheidung.“ Mitgetragen hat sie die ganze Familie – natürlich auch seine Eltern, die in Witzhelden leben, sein Bruder Achim, der in Solingen lebt und für die HG Remscheid in der Regionalliga spielt, und sein Schwager Lars Hepp, der Trainer des Drittligisten Leichlinger TV. Sie alle werden Torsten Jansen die Daumen drücken im Gipfeltreffen mit dem VfL Gummersbach. Und sollte es mit einem Sieg klappen, werden sie sich mit ihm freuen – mit einem, der vom Höhendorf aus längst die große Handball-Welt erobert hat.