3. Liga Mitte
Rücktritt vom Rücktritt: Marius Anger ist wieder da!
Der Rückraumspieler des TuS 82 Opladen steht nach anderthalb Jahren Pause vor dem Comeback.

Die höchste Etage: Marius Anger (mit Ball) steht normalerweie mit beiden Beinen auf dem Boden, aber als Handballer manchmal über gegnerischen Abwehrspielern. (Foto: Thomas Ellmann)

Er ist wieder da. Er, der die Dinge, die er sagt, normalerweise auch so meint, wie er sie sagt. Und im September 2019 konnte sich Marius Anger in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen, irgendwann und irgendwie rückfällig zu werden. Der Rückraumspieler des TuS 82 Opladen hatte die Notbremse gezogen und seine Karriere wegen anhaltender Rückprobleme beendet. Ein paar Wochen später folgte vor dem Regionalliga-Heimspiel gegen den TV Aldekerk der offizielle Abschied – inklusive Emotionen, Blumengebinde, einem Rahmen voller Aktionsfotos. Und nach der Partie soll es im Foyer der Bielerthalle feucht-fröhlich hergegangen sein. Das ist lange her. Anderthalb Jahre. „Eigentlich habe ich ja zwei Saisons verpasst“, sagt Anger, „und natürlich ist es komisch, wenn sie dich damals verabschiedet haben.“ Trotzdem kann er es nicht lassen: Sobald es die Corona-Bestimmungen zulassen und Handball-Training in der Halle wieder erlaubt sein wird, ist Markus Anger an Bord. Der lange Rückraumspieler startet sein Comeback. Trainer Fabrice Voigt konnte den einstigen Kapitän der Opladener – ja was denn? Überreden? Vielleicht war es doch eher eine Mischung aus einer Tür, die sich bereits einen Spalt geöffnet hatte, und einer Anfrage, die zum richtigen Zeitpunkt kam. Vielleicht ist es eher wie in Goethes leicht abgewandelter Ballade ‚Der Fischer‘: „Er sprach zu ihm, er sang zu ihm; Da war’s um ihn geschehn. Halb zog er ihn, halb sank er hin.“ Nur mit dem letzten Satz wollen sie es anders halten: „Und ward nicht mehr gesehn.“ Marius Anger ist ab sofort zurück im Kader der Opladener, er will sich nach einer sorgfältigen Vorbereitung zusammen mit den Teamkollegen ins Abenteuer 3. Liga 2021/2022 stürzen.

Der Ausstieg damals war kein Schnellschuss, sondern die Einsicht ins Notwendige: Der lädierte Rücken, der längst stärker werdende Probleme bereitet hatte, legte trotz des Einsatzes von Schmerzmitteln immer vehementer sein Veto gegen den Handball ein. Anger trat kürzer – und merkte, dass es ihm nach ein paar Wochen Pause deutlich besser ging. Also horchte er noch einmal in sich hinein und holte sich dort die Bestätigung ab: Sei vernünftig, hör auf. Das war am Ende eine Entscheidung, die ihm trotz allem Bauchschmerzen bereitete: Marius Anger war beim TuS 82 ja nicht ein Spieler von vielen, sondern unter anderem ein Ur-Opladener. Als Dreijähriger begann er bei den Minis mit dem Handball. Schnell stellte sich heraus: Der Linkshänder hatte das Talent für Höheres. Mit 18 Jahren gab er als A-Jugendlicher in der Regionalliga West sein Debüt in der Ersten, in der damals unter anderem der heutige Trainer Fabrice Voigt als Spieler aktiv war. Anger lagen oft interessante Angebote vor – selbst aus der 1. Liga, als ihm der Traditionsclub  VfL Gummersbach einen Wechsel ins Bergische schmackhaft machen wollte. Anger hätte es aber höchstens dann riskiert, wenn einer der Top-5-Vereine aus der Bundesliga an ihn herangetreten wäre: „Flensburg oder Kiel, das wäre was gewesen.“ Anger blieb sich selbst gegenüber ehrlich: „Wahrscheinlich hätte es dafür bei mir sowieso nicht gereicht.“ 

 

 

Das Vertrauen der Opladener in ihren früheren Top-Torschützen war trotzdem immer groß – so groß, dass sie ihn in der Saison 2019/2020 aufgrund größerer personeller Not zu einem Kurz-Comeback überredeten. Damals stand schließlich am 19. November 2019 das Derby bei der SG Langenfeld auf dem Programm, das der mit 12:0 Punkten auf dem ersten Platz thronende TuS 82 unbedingt für sich entscheiden wollte. Der Plan ging grandios daneben, weil die Opladener eine verdiente 26:32-Pleite bezogen und Angers Comeback in seinen Einsatz-Minuten ebenfalls überhaupt nicht zu den eigenen Ansprüchen passte: „Wir hatten gehofft, dass ich helfen kann. Es war eine Schnapsidee.“ Anschließend tauchte Anger in der Woche darauf nur noch einmal in der Halle auf – an mehr kann er sich beim besten Willen nicht erinnern. Sicher ist allerdings, dass er seit jenem Zeitpunkt in der Oktober-Mitte 2019 keinen Handball mehr in der Hand hatte – nicht mal, um damit aus der Spaß in den eigenen vier Wänden herumzuzocken: „Ich habe zu Hause gar keinen eigenen Ball“, sagt Anger.

Nach dem Ausstieg trieb er berufliche Dinge voran und entdeckte unter anderem die Selbstverteidigungs-Sportart Wing Tsun für sich. Noch besser: Der vormals unangenehm spürbare Rücken blieb ruhig. „Ich fühle mich gut“, betont Marius Anger, der die handballfreie Zeit durchaus schätzen gelernt hat: „Es ist schön, auch privat Zeit für andere Dinge zu haben.“ Sein „Verhängnis“: Am Ende des Jahres 2020 begann er zu denken. Könnte denn nicht Handball doch wieder einen Platz in meinem Leben finden? So einfach aus Jux und Dollerei? Vielleicht einmal freitags zum Training und danach Currywurst und/oder ein Bier genießen? Ein vergleichbares Angebot haben schließlich auch die Opladener in ihrem Portfolio. „Ich habe nie an die erste Mannschaft gedacht“, versichert Anger. Offensichtlich hatte er aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht und nicht im Ansatz mit dem Anruf von Fabrice Voigt gerechnet. Der Coach des TuS 82 probierte es einfach: Kannst du zurückkommen?

Yes, we can! Trainer Fabrice Voigt ist begeistert darüber, dass er für die kommende Saison wieder mit Marius Anger rechnen darf. (Foto: Michael Jäger)

Für Opladen stand fest, dass es in der mittlerweile abgebrochenen Saison an der freiwilligen Aufstiegsrunde sowieso nicht teilnimmt und auch auf die vom Verband geplante Parallelrunde mit der Chance auf die Qualifikation für den DHB-Pokal verzichtet. Zusammengefasst: Der Verein hat die Serie 2020/2021 für sich beendet. Das Haupt-Augenmerk lag dafür in den vergangenen Wochen auf den Planungen für 2021/2022 und es stehen ein paar Neuzugänge fest – wie Mittelmann André Boelken und Torhüter Jascha Schmidt, die vom Regionalligisten SG Langenfeld kommen. Einer der Abgänge: Fynn Johannmeyer (20), der mit einem Zweitspielrecht ausgestattete Linkshänder des TSV Bayer Dormagen. Mit Johannmeyer können die Opladener jedoch nicht weiter planen, weil das Rückraumtalent mit einem neuen Vertrag ausgestattet ist und fest zum Dormagener Zweitliga-Kader gehört (was im Übrigen seinen Fähigkeiten entspricht). Lange brauchte Fabrice Voigt dann nicht, um Anger zum Comeback zu überreden. Dabei gibt er zu, dass die dem Handball extrem zusetzende Pandemie in diesem Fall sogar eine Hilfe war: „Ohne Corona hätte das nicht geklappt.“ Es ist wie das Glück im Unglück, denn Anger kann sich demnächst Stück für Stück zurückarbeiten: „Wir machen ein klassisches Return to play“, erklärt Voigt. Es wird also wie vor einem Jahr sein: Sobald die Handballer dürfen, machen sie die ersten Schritte, um den Körper an die Belastung zu gewöhnen. Alle fangen bei null an. Auch Marius Anger. Er muss nicht hinterherhetzen und er kann auf dem Niveau aller beginnen. Das trifft sich gut, zumal der seit Kurzem in Solingen lebende Anger, der das Laufen für sich entdeckt hat und einen Halbmarathon auf seiner To-Do-Liste stehen hat, im Herzen wohl immer Opladener bleiben wird: „Ich habe unheimlich Lust auf die Jungs. Das wird geil, mit den Kumpels in der 3. Liga zu spielen.“

 

 

Natürlich hat Marius Anger die „Nummer“ mit seiner Freundin abgesprochen, weil die gemeinsame Zeit bei Drittliga-Handball und höherer beruflicher Belastung weniger wird. Und selbstverständlich ist eine Art Rettungs-Fallschirm eingebaut: Sollte etwa der Rücken – wofür derzeit wenig spricht – angesichts der steigenden Beanspruchung streiken, würde Anger erneut die Reißleine ziehen: „Kaputtmachen werde ich mich nicht.“ Tatsächlich leben aber beide Seiten ihren Traum davon, gemeinsam eine volle Drittliga-Saison zu bestreiten. Und an der gegenseitigen Wertschätzung hat sich gar nichts geändert. „Ich habe mich unheimlich über Favos Anruf gefreut“, betont Anger. Voigt ist ähnlich begeistert: „Klasse, das wir ihn wiederhaben. Ich freue mich sehr, dass wir ihn wiederhaben.“ Der TuS 82 Opladen hat zumindest für einen Saison einen über viele Jahre wichtigen Spieler zurück – und der Handball einen jener prägenden Rückraumspieler, die besonders auf dieser Position selten geworden sind. Viel Glück beim Comeback des Jahres, Marius Anger!