1. Bundesliga
Sebastian Hinze: Mehr Bergisches Land geht kaum
Der Trainer des Bergischen HC spricht über die Entwicklung des Vereins, seine eigene Rolle und die nächsten Ziele.

Der den Ton angibt: Sebastian Hinze ist seit einigen Jahren eine der prägenden Figuren beim Bergischen HC. (Foto: Thomas Schmidt)

Sie sind natürlich gekommen, um zu bleiben. Und es sieht auch so aus, dass der Bergische HC inzwischen seinen Platz in der 1. Bundesliga gefunden hat. In den vergangenen sieben Begegnungen sprangen sogar 12:2 Punkte heraus, sodass sich die Mannschaft von Trainer Sebastian Hinze vorerst auf dem sechsten Platz festgebissen hat – wobei sie tatsächlich oft als die „Löwen“ daherkam, die sich auch im Vereinswappen wiederfinden. Was Hinze daraus ableitet? Nichts, gar nichts. Allenfalls als schöne Moment-Aufnahme lässt er die 24:16 Zähler durchgehen. Konkrete oder sogar höhere Ambitionen? Fehlanzeige. Lediglich der Nicht-Abstieg steht im Pflichtenheft, um den BHC in der höchsten deutschen Klasse zu etablieren. Sebastian Hinze lässt sich nicht aus der Reserve locken. „Es ist mir egal, wer Ziele für den BHC festlegt“, sagt der 41-Jährige, der in seiner Geburtsstadt Wuppertal lebt und einen Teil seiner Arbeit in Solingen erledigt, weil der Verein zwischen Uni-Halle und Klingenhalle pendelt. Ganz klar: Mehr Bergisches Land geht kaum, mehr Bodenständigkeit ebenfalls nicht. Und Hinze gibt zu, einen Teil jener Eigenschaften in sich zu tragen, die manche als hartnäckig oder eigensinnig bezeichnen: „Ich bin sehr strukturiert und ich brauche einen Plan. Wenn ich den habe, kann ich schon sehr stur sein.“ Es spricht einiges dafür, dass jene Beharrlichkeit ein zentraler Baustein ist auf dem Weg zu mehr Anerkennung für den Klub bei der Konkurrenz. Inzwischen käme längst keiner mehr auf die Idee, den BHC als vorübergehende Erscheinung abzutun.

Sebastian Hinze war in seiner aktiven Zeit als Kreisläufer unterwegs – bei der TG Cronenberg, beim LTV Wuppertal, bei der SG Solingen – und ab 2006 beim aus der Fusion zwischen LTV Wuppertal und SG entstandenen Bergischen HC. Das hat ihm zwei Vorteile verschafft. Erstens: Als Kreisläufer war er immer daran gewöhnt, dass es in Spielen keinerlei Geschenke gibt und alles nur über den leidenschaftlichen Einsatz geht. Zweitens: Er macht seit der Stunde null im Projekt BHC mit und kennt sämtliche Abläufe/handelnden Personen wie kein Zweiter. Beim BCH wissen wie sehr genau, was sie an Hinze haben – und umgekehrt. Das half beiden Seiten, sich im Winter 2016/2017 gegen den in der Branche üblichen Trend zu stellen. Trotz der bescheidenen Hinrunden-Ausbeute (5:29 Punkte/letzter Platz) konnte Hinze weitermachen – was am Ende fast noch zur Rettung gereicht hätte. In einem dramatischen Saisonfinale lag Hinzes Mannschaft in einem Kopf-an-Kopf-Rennen nahezu gleichauf mit dem VfL Gummersbach (beide 22:46 Zähler), der den Kopf lediglich über das damals noch entscheidende bessere Torverhältnis aus der Schlinge zog. Es war der 10. Juni 2017, als der BHC trotz eines abschließenden 32:24 über den TSV Hannover-Burgdorf wieder den Gang nach unten antreten musste. Jenes Ereignis liegt erst dreieinhalb Jahre zurück – und es scheint so, dass sie das beim Bergischen HC nicht vergessen haben. Immerhin fuhr der Fahrstuhl auf direktem Weg aus dem Erdgeschoss wieder nach oben: Souveräne Meisterschaft in der 2. Liga 2017/2018 (70:6 Punkte), ein unerwarteter Rang sieben in der Comeback-Saison 2018/2019 (38:30) und Platz 13 (20:34) in der nach 24 Spieltagen abgebrochenen Saison 2019/2020. 

Wohin der Weg des BHC in der höchsten deutschen Klasse noch führt? Keine Überraschung: Sebastian Hinze bleibt sich selbst treu – und verkneift sich eine exakte Festlegung, die für ihn wohl so etwas Ähnliches wie Kaffeesatz-Leserei wäre. „Die ersten fünf oder sechs Plätze sind weg“, meint der Wuppertaler, „vielleicht auch Platz sieben.“ Dass die SG Flensburg-Handewitt, der THW Kiel, die Rhein Neckar Löwen. der SC Magdeburg oder die Füchse Berlin praktisch in einer eigenen Liga spielen, steht für Hinze fest. Trotzdem lässt sich daraus kein Frust ableiten – im Gegenteil. Es schwingt der Stolz mit, in den vergangenen Jahren doch eine Menge erreicht zu haben: „Drumherum ist viel passiert. Wir sind Stück für Stück professioneller geworden.“ Stillstand oder Innehalten sind dabei dennoch nicht vorgesehen und alle Beteiligten nach wie vor bereit, am Limit zu arbeiten. „Wir suchen immer neue Ideen“, betont Hinze, „wir überlegen immer, wie wir uns etablieren können. Wir fragen uns, was können wir gut – und wo müssen wir besser werden?“

Was macht ihr da? Sebastian Hinze (ganz links) äußert zur Not auch seinen Unmut – und dann weiß in der Regel jeder, was gemeint ist. (Foto: Thomas Schmidt)

Dem Spieler Hinze schwebte früh vor, dass es irgendwann den Trainer Hinze geben könnte. C-Lizenz mit 17, B-Lizenz mit 23, A-Lizenz mit 29 – eine zügige Angelegenheit. Aber dass es ihn mal in die Bundesliga befördern würde und er damit seinen Lebensunterhalt verdienen könnte? „Ich hatte keinen Plan in diese Richtung“, erklärt Hinze. Weil sein Herz ohnehin für die Entwicklung von Talenten schlägt, übernahm er 2010 die Stelle des Nachwuchs-Koordinators – noch bevor er 2011 mit dem BHC zum offiziellen Ende seiner aktiven Karriere den Aufstieg in die 1. Bundesliga schaffte. Klar: Hinze war anschließend als Coach der zweiten Mannschaft (damals Oberliga) weiter um die Anschluss-Förderung bemüht. Und er wurde sogar mal rückfällig, weil er dem in personeller Not steckenden Team vorübergehend mit Erfahrung und handballerischer Qualität aushalf. Was für jeden Gegner damals klar sein musste: Mit Hinze auf der anderen Seite gab es viel mehr Widerstand zu brechen.

Stichwort zweite Mannschaft: Sie war in der jüngeren Vergangenheit durchaus ein Sorgenkind – was als Unterbau eines Bundesligisten ein echtes Problem ist. Die BHC-Zweite stürzte bis in die Verbandsliga ab. Nachwuchs-Koordinator Christoph Rath und der neue Trainer Mirko Bernau stellten sich der Aufgabe, die Schnittstelle zwischen Profis und Talenten, die vielleicht den Sprung nach oben schaffen könnten, voranzutreiben – und mit neuem Leben zu füllen. Mittlerweile hat die Zweite wenigstens wieder die Oberliga Niederrhein erreicht. Dort gab sie im Jahr eins nach dem Aufstieg in den ersten sechs Spielen keinen Punkt ab und führte gemeinsam mit Borussia Mönchengladbach (beide 12:0) die Tabelle an, ehe die Saison 2020/2021 erst lange unterbrochen war und kürzlich komplett abgebrochen wurde – ohne Wertung, ohne Absteiger und ohne Aufsteiger. Klar ist für den BHC trotzdem, dass sein Unterbau mittelfristig zumindest der Regionalliga angehören sollte. Wie das geht, dass einer aus der Oberliga bei den Profis zumindest anklopfen kann, zeigen Kreisläufer Jonas Leppich (20) und noch mehr Junioren-Nationalspieler Alexander Weck (ebenfalls 20), der in der Sommer-Vorbereitung einen festen Platz im Kader hatte – allerdings im Oktober einen Kreuzbandriss erlitt und nun einige Zeit auf seine nächste Chance in der Bundesliga warten muss.

Stille Beobachter: Chefcoach Sebastian Hinze, Kreisläufer und Abwehrchef Max Darj, Co-Trainer Markus Pütz, Betreuer Siegfried Knapik und Rückraumspieler David Schmidt (von rechts) haben aber im stressigen Bundesliga-Alltag aber nur wenig Gelegenheit, die Dinge auf dem Feld entspannt zu verfolgen. (Foto: Thomas Schmidt)

Die Bundesliga insgesamt wird nach Hinzes Ansicht halbwegs ordentlich durch die herausfordernde Saison 2020/2021 kommen: „Ich bin optimistisch, dass wir das hinkriegen.“ Mehr Sorgen macht ihm der Blick in den Nachwuchs-Bereich – nicht so sehr, weil aus dem aktuellen „Spielermaterial“ viele die Lust am Handball verlieren und vielleicht sogar ganz aufhören. „Wir konnten jetzt ein Jahr lang nicht akquirieren“, erklärt der BHC-Coach. Was er meint: Keine (Präsenz-)Angebote für Kinder, keine Kurse, keine Zusammenarbeit mit Grundschulen, keine sonst übliche Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel durch Profis in Unterrichtsstunden oder Arbeitsgemeinschaften. „Das werden wir nicht aufholen können“, glaubt der BHC-Coach. Im Umkehrschluss folgt daraus eigentlich: Bundesliga und Nationalmannschaft sind dringend notwendig, damit der Handball im Gespräch bleibt und sich in diesen schwierigen Monaten so oft wie möglich präsentiert – wie jetzt bei der Olympia-Qualifikation in Berlin. Da schlugen im Übrigen am Freitag-Nachmittag beim Duell zwischen Deutschland und Schweden nur auf den ersten Blick zwei Seelen in Hinzes Brust, obwohl in Max Darj und Linus Arnesson zwei BHC-Spieler mit den Skandinaviern unterwegs waren. „Ich bin Deutscher und arbeite beim BHC in der 1. Liga in Deutschland“, sagt Hinze – womit sich die Frage, wem er die Daumen gedrückt hat, von selbst beantwortet. Und am Ende konnten möglicherweise sowieso alle mit dem 25:25-Unentschieden leben.

Sebastian Hinze ist selbstverständlich jederzeit bereit, Impulse und Ideen für seine Arbeit aufzunehmen. Umso weniger kommt es für ihn in Frage, einen bestimmten Trainer zu kopieren oder auf die Suche nach einem passenden Typen zu gehen: „Ich bin Sebastian Hinze.“ Der eigene Anspruch sei, zu arbeiten und das seinen Spielern oder dem Umfeld vorzuleben: „Ich will jedes Spiel gewinnen.“ Dass so etwas beim Team ankommt, wird aus einem Sonderlob klar: „Die Mannschaft hat einen unfassbaren Ehrgeiz.“ Daraus ergebe sich fast von alleine, wann eine Saison erfolgreich war – nämlich dann, wenn „wir uns und das System weiterentwickelt haben“. Von einer besonderen Platzierung ist jenes „Urteil“ offensichtlich nicht abhängig: „Kann sein, dass wir mit Platz neun unzufrieden sind. Kann sein, dass wir mit einem 14. Platz zufrieden sind.“

Kann es denn auch sein, dass Sebastian Hinze irgendwann einmal einen Ortswechsel vornimmt, den BHC und das Bergische verlässt und woanders arbeitet? „Über so etwas mache ich mir keine Gedanken“, betont Hinze, der vor knapp einem Monat mal kurz als Nachfolger von Martin Schwalb bei den Rhein Neckar Löwen genannt worden war, „und ich treffe meine Entscheidungen immer bewusst.“ Mag sein, dass eines Tages selbst ein Leben ohne Handball in Frage kommt – obwohl sein Sport zurzeit viel Raum einnimmt und ein zentraler Faktor im Leben ist. Vorerst widmet Sebastian Hinze jedoch weiter alle Kraft „seinen“ Löwen aus dem Bergischen. Zusammen sind sie schließlich gekommen, um zu bleiben.