28. April 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Am 30. Oktober 2020 verliert die bis dahin unbesiegte A-Jugend der TSV Bayer Dormagen in der Staffel West der Bundesliga mit 32:34 beim VfL Eintracht Hagen. Es ist eine Überraschung – und das Ende der Saison, die erst unterbrochen und später abgebrochen wird. Trainer David Röhrig und seine Mannschaft dürfen anschließend noch ein paar Wochen in die Halle, ehe es ihnen wie den meisten anderen geht: Online-Training, individuelle Athletik-Einheiten, Lauftraining, Zoom-Meetings. Kein Kampf um eine Meisterschaft? Kein passender Abschied vor dem Wechsel in die Senioren? Die Antwort darauf bietet fast genau ein halbes Jahr später der 25. April 2021 in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft, die der DHB ins Leben gerufen hat – um den unter professionellen Bedingungen arbeitenden Teams in der zweiten von Corona geprägten Serie ein handballerisches Lebenszeichen zu ermöglichen. Dormagen, das seit einiger Zeit über eine Sonder-Erlaubnis wieder wettkampfgerecht trainieren darf, gewinnt gegen die HSG Hanau mit 28:18. Dass die Vorbereitung aus vielerlei Gründen nicht ganz einfach war, kompensiert der TSV durch Leidenschaft und eine sehr starke Deckung.
Es fehlen unter anderem die Rückraumspieler Lucas Rehfus und Sören Steinhaus, die zusammen oft genug zweistellig treffen und für viel Druck auf die gegnerische Abwehr sorgen. Außerdem standen zuletzt Aron Seesing und Christian Wilhelm im Training kaum zur Verfügung, denn deren Qualitäten weiß längst Dusko Bilanovic zu schätzen. Der Chefcoach des Zweitliga-Teams zieht Talente regelmäßig hoch – und nicht nur, um damit die Bank zu bestücken – im Gegenteil. Am 16. April etwa stellten Seesing (18) und Wilhelm (19) plötzlich im Duell mit dem EHV Aue einen Innenblock aus der Abteilung Jugend forscht. David Röhrig weiß, dass genau das sein „Schicksal“ ist, und er widmet sich dieser Aufgabe mit Überzeugung: „Die Erste geht vor.“ Der TSV Bayer lebt nicht erst in dieser Saison maßgeblich davon, dass er Spieler aus dem eigenen Nachwuchs für den Profi-Bereich ausbildet. Die Garantie dafür, dass die Verzahnung noch besser funktioniert, liegt an der engen Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Perfektes Bindeglied ist Peer Pütz: Er ist nicht nur der „Leitende Nachwuchs-Trainer Leistung“ (und für die B-Jugend verantwortlich), sondern auch Co-Trainer bei Bilanovic.
Die Deutsche Meisterschaft beginnt mit acht Dreier-Gruppen (unter regionalen Gesichtspunkten), deren jeweilige Sieger das Viertfinale erreichen – das mit Hin- und Rückspiel ausgetragen wird. „Wir wussten, dass es etwas holprig wird“, sagt Röhrig zum Sieg über Hanau, „Basis war sicher unsere extrem starke 6:0-Deckung, die viele Konter ermöglichte. Im stehenden Angriff war eher Sand im Getriebe. Aber die komplette Mannschaft hat super gekämpft und alles gegeben.“ Gerade weil vorher doch einige Fragezeichen im Raum standen, atmeten alle richtig durch: „Das schwerste Spiel haben wir hinter uns.“ Auf die Idee, den nächsten Kontrahenten zu unterschätzen, kommt allerdings niemand. „Natürlich ist unser Ziel das Weiterkommen“, betont Röhrig, „wir wollen mit aller Macht ins Viertelfinale. Aber Essen müssen wir erst einmal schlagen.“ Ehe der TSV am 8. Mai beim Nachwuchs des Bundesliga-Aufsteigers antritt, kann er am nächsten Samstag immerhin in Ruhe beobachten, wie der Essener Auftritt in Hanau aussieht.
Was sich von selbst versteht: Die Dormagener, die in der Regel fünf Mal pro Woche trainieren, werden unverändert sehr intensiv arbeiten. Was jedoch fast typisch für diese Saison ist, die allen Beteiligten viel Geduld und viel Flexibilität abverlangt: Am 21. April löst sich während des Zweitligaspiels gegen den TSV Ferndorf ein Teil der Hallenbeleuchtung von der Decke und kracht auf den Boden. Folge: Sperrung der großen Halle und der Halle 1 am Höhenberg gleich mit, um eine genaue Überprüfung der Technik vorzunehmen. Aus diesem Grund musste die A-Jugend für die Partie gegen Hanau bereits kurzfristig nach Leverkusen ausweichen und im folgenden Training zunächst ebenfalls improvisieren.
Dass die neuen Hindernisse den Ehrgeiz der Mannschaft irgendwie bremsen könnten, hält der Coach für unwahrscheinlich. Er traut seinen Schützlingen das Weiterkommen mit folgenden Eigenschaften zu: „Unsere größte Stärke ist das Umschaltspiel. Wir können sehr variabel verteidigen und eine starke erste Welle spielen. Wir haben eine gute Kreis-Kooperation und gute Außen.“ Beim Blick voraus ist im Übrigen schnell klar, dass die Dormagener im möglichen Viertelfinale am besten alle ihre Tugenden zusammen aufs Feld bringen. Der Sieger der Gruppe C (mit Dormagen) trifft schließlich auf den Sieger der Gruppe B – entweder auf die SG Flensburg-Handewitt oder den SC Magdeburg. Beide sind Schwergewichte im deutschen Handball, mit denen sich die Dormagener noch entsprechend beschäftigen würden – wenn sie das Viertelfinale erreicht haben. Eins steht für Röhrig immerhin jetzt fest: „Auch solche Spiele bringen die Jungs weiter.“ Ob sie den TSV Bayer sogar ins Halbfinale weiterbringen?