04. Mai 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Manchmal hilft es ja, das Kleingedruckte ebenfalls zu lesen. Am besten sogar ziemlich aufmerksam, weil sich dort bisweilen durchaus bemerkenswerte Informationen verbergen können. So verhält es sich womöglich mit der Spielordnung des Deutschen Handball-Bundes – die ja keineswegs regelt, wie sich Spieler und Trainer auf dem Feld zu benehmen haben, welches Harz sie benutzen oder welche taktischen Maßnahmen erlaubt sein sollen. Die Spielordnung regelt eher den großen Rahmen wie Spielberechtigung, Vereinswechsel, Altersklassen, Vertragsspieler und vieles mehr. Das klingt nicht nur staubtrocken, das ist es auch. Muss aber wohl sein, weil sonst in wichtigen Angelegenheiten vielleicht chaotische Zustände herrschen könnten. Viele der hinterlegten Bestimmungen schaffen Klarheit – demjenigen jedenfalls, der mehr als Querlesen investiert. So muss das wohl aufgrund eines ausgeprägten Zeitmangels im Fall des Paragraphen 52a passiert sein – der den Titel „Saisonabbruch“ trägt und fast das Zeug hätte, sämtliche Überlegungen der Regionalliga in Richtung Aufstiegsrunde überflüssig zu machen. Preisfragen: Durfte Handball Nordrhein überhaupt an die Einrichtung einer Aufstiegsrunde denken? Hätte er sich nicht vielmehr an Satz 2 des § 52a halten müssen? Der lautet so: „Sofern in den Bestimmungen des jeweiligen Verbandes nichts anderes bestimmt ist, findet die Quotienten-Regelung Anwendung.“ Daraus ergibt sich bei konsequenter Denkweise: Es belegt diejenige Mannschaft den ersten Platz, die zum Zeitpunkt des Abbruchs an der Spitze stand – ermittelt eben über die Quotientenregelung.
Wäre das so, würden sie bei TuSEM Essen II sicher sofort zugreifen: 8:0 Punkte aus vier Spielen ergeben einen Quotienten von 200,0. Der Zweite HG Remscheid käme mit 6:0 Zählern aus drei Spielen ebenfalls auf einen Wert von 200,0 – wäre aber übers Torverhältnis zweiter Sieger (plus 24/plus 8). Der Knackpunkt: Hat Handball Nordrhein die Saison für die Regionalliga abgebrochen oder nicht? Der Web-Auftritt des für die Regionalliga zuständigen eingetragenen Vereins meldet seit Mitte Februar wie in einer Laufwerbung: „Handball Nordrhein und die Vereine der Regionalliga arbeiten weiterhin an einer Lösung für die Saison 2021/22.“ Man hatte sich mal wieder online getroffen, um „gemeinsam über Möglichkeiten zur Fortsetzung des Spielbetriebs noch in dieser Saison zu beraten“. Es folgt jener Satz, der einigen Raum zur Auslegung bietet: „Man ist gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, die Saison in der bisher geplanten Form zu beenden.“ Richtig: Das ließe sich als Abbruch auslegen, doch die Bezeichnung kommt so tatsächlich nicht wörtlich vor – obwohl sie seit Wochen und Monaten im alltäglichen Sprachgebrauch zu Hause ist. Noch einmal zur Klarstellung: Sollte ein Abbruch vorliegen, wäre die Quotientenregelung anzuwenden. Das lässt sich wiederum ziemlich mühelos aus § 88 ableiten, der die Spielordnung beendet und deshalb unter dem Titel „Verbindlichkeit der Spielordnung“ sehr gut lesbar ist: „Diese Spielordnung ist für den gesamten Spielbetrieb im Bereich des DHB, der Verbände und der Vereine verbindlich.“
Dass der Westdeutsche Handball-Verband, dessen Angehörige neben Westfalen der Niederrhein, der Mittelrhein und der von ihnen gegründete Handball Nordrhein sind, zu diesem Kreis gehören, dürfte unstrittig sein. Manche Festlegung scheint deshalb in Widerspruch zur Spielordnung zu stehen – wie jene, die der Mittelrhein ebenfalls Mitte Februar veröffentlicht hat: „Daher wird die Saison 2020/2021 in allen Ligen der Handballkreise und des HVM beendet und nicht gewertet. Es wird in allen Ligen des HVM und der Handballkreise keine Absteiger und Aufsteiger geben.“ Wie wäre es denn, wenn die HSG Refrath/Hand mit ihren 8:0 Punkten aus vier Spielen über den Quotienten den zum Saisonziel erklärten Aufstieg in die Regionalliga bekommen hätte? Ob die Refrather im Fall der Fälle bereit gewesen wären, in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Verband einzutreten, ist wieder ein ganz anderes Thema. Weil sich im Übrigen der Verband Niederrhein sehr ähnlicher Formulierungen wie der Mittelrhein bediente, wären womöglich auch die jeweils 12:0 Punkte des Spitzenreiters Borussia Mönchengladbach (besseres Torverhältnis) und des Zweiten Bergischer HC II für eine genauere Betrachtung interessant. Dass eine Saison ohne Wertung annulliert wird? Sieht die oben genannte Spielordnung vom August 2020 so nicht vor.
Das wissen sie natürlich beim DHB auch, dessen „Einzugsgebiet“ bekanntlich unterhalb der HBL und der 2. Bundesliga bei der 3. Liga beginnt. Für diese Klasse gab es ein bisschen später als am Niederrhein und Mittelrhein einen aus gutem Grund sorgfältiger formulierten Beschluss mit der Überschrift: „Modusänderung für die 3. Liga beschlossen, Bundesrat ermöglicht mit Erhöhung der Mannschaftszahlen für 2021/22 Verzicht auf Absteiger in der aktuellen Saison.“ Hier ist ausdrücklich keine Rede von einem „Abbruch“ und die „Modusänderung“ kein Zufall. Im Gegenteil: Im Grunde läuft die Saison 2020/2021 gerade noch/wieder. Für interessierte Vereine wurde zugleich eine Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga in Aussicht gestellt, die derzeit gerade auf vollen Touren läuft und den Handball mit aus seinem Tiefschlaf geholt hat. Unmittelbare Folge für die kommende Saison: Die bisher aus 72 Teams bestehenden 3. Liga wird noch einmal auf dann mehr als über 80 Klubs aufgestockt – was dann nur über eine neue Aufteilung der Gruppen (zuletzt vier) funktionieren kann.
Außerdem gibt es mittlerweile eine überarbeitete Fassung der Spielordnung, deren § 52a unverändert die Quotientenregelung vorschreibt. Allerdings beschreibt eine Ergänzung genau, wann das der Fall sein wird: „Dafür muss im Erwachsenenbereich, bei einem Spielmodus mit Hin- und Rückrunde, jede Mannschaft mindestens die Hälfte ihrer Spiele in dieser Saison gespielt haben. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, wird die Saison nicht gewertet und keine Auf- und Absteiger sowie Sieger ermittelt. Im Jugendbereich und bei anderen Spielmodi im Erwachsenenbereich ist der Saisonabbruch in den jeweiligen Bestimmungen des Verbandes zu regeln.“ Der gar nicht so kleine Haken: Die neue Spielordnung gilt erst ab dem 1. Juli 2021. Bis dahin wäre eigentlich die ältere Fassung bindend gewesen.
Unabhängig von solchen Fragen richten sich drei Vereine aus dem Bereich Handball Nordrhein darauf ein, bald in einer Aufstiegsrunde den einen Aufsteiger in die 3. Liga zu ermitteln. Nach Lage der Dinge sollen TuSEM Essen II, der OSC Rheinhausen und die SG Ratingen am 11., 12. und 13. Juni in der Waldhalle Düsseldorf-Rath insgesamt drei Spiele bestreiten (jeder gegen jeden). Die Stadt Düsseldorf hat das vorgelegte umfangreiche Hygienekonzept abgenommen und grünes Licht fürs Kurz-Turnier gegeben. Die Partien könnten spannend werden: Die Ratinger hatten ihre Ansprüche bereits vor der Serie deutlich formuliert und die beiden Konkurrenten wollen nicht nur Punktelieferanten sein – im Gegenteil, denn sie streben selbst den Sprung in die 3. Liga an (Essen vielleicht noch einen Tick mehr als der OSC). Fraglich ist mittlerweile auch eher nicht mehr, dass gespielt wird. Am Termin könnte sich noch was ändern, weil der DHB den Meldeschluss der Drittliga-Aufsteiger aus den Landesverbänden vom 15. Juni um 14 Tage nach hinten gelegt hat. Das könnte dem einen oder anderen Verein mehr ermöglichen, sich nach einer langen Pause intensiver vorzubereiten. Ein anderes Extrem: Sollte die Aufstiegsrunde trotz aller Bemühungen ausfallen, müssten sie es am Ende machen wie Baden-Württemberg.
Dort sah der Verband trotz der Fristverlängerung bis 28. Juni keine Chance, die ihm zustehenden zwei Aufsteiger im sportlichen Wettkampf zu ermitteln. In einer gemeinsamen Entscheidung legten sich alle Beteiligten auf den TSV Neuhausen/Filder fest, der aufgrund seiner Ergebnisse in der Vergangenheit am stärksten einzuschätzen sei. Das steht mit dem Titel „Bestimmung des Siegers, Auf- oder Absteigers durch die Spielleitende Stelle“ so oder wenigstens so ähnlich in § 52 Absatz 1 der Spielordnung: „Kann der Sieger, Auf- oder Absteiger einer Klasse oder Staffel aus spieltechnischen oder sonstigen Gründen nicht termingerecht zur Teilnahme an den Meisterschaftsspielen, Aufstiegsspielen oder Abstiegsspielen für die nächste Spielsaison ermittelt werden, wird er von der zuständigen Spielleitenden Stelle nach sportlichen Gesichtspunkten bestimmt.“ Auf einen zweiten Aufsteiger (alle anderen Verbände im DHB stellen nur einen) konnte man sich nicht einigen, sodass es eine Los-Entscheidung mit der TSG Söflingen als Gewinner gab. Auch das noch, werden viele denken: „Dann doch lieber eine Aufstiegsrunde.“ Manchmal kann es aber helfen, das Kleingedruckte zu lesen. Am besten sogar ziemlich aufmerksam.