19. Mai 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Er bleibt einfach Gudjon Valur Sigurdsson. Nicht mehr und nicht weniger. Der Trainer des VfL Gummersbach mag keinen überflüssigen Schnickschnack und er steht eher ungern im Mittelpunkt. Diese Rolle überlässt der Isländer lieber der Mannschaft, mit der er dafür in der Schwalbe-Arena intensiv arbeitet, um sie Stück für Stück besser zu machen. In der Regel verfolgt „Goggi“ das Geschehen während einer Partie eher unterkühlt gelassen und weniger wie ein Vulkan, der gleich auszubrechen droht. Soll heißen: Wenn Sigurdsson immer wieder Beifall klatscht, muss er extrem einverstanden sein. So war es etwa am vergangenen Sonntag, als der VfL auf dem Weg zum 31:25 bei der SG BBM Bietigheim zumindest vor der Pause defensiv fast alles richtig machte, die Hausherren durch eine erstligareife Abwehrleistung permanent vor große Probleme stellte und im Spiel nach vorne ständig den Turbo einschaltete. Dabei ist es keine vier Wochen her, da stellte Sigurdsson in der bisher schwierigsten Phase der Saison mit einer paar enttäuschenden Resultaten zwei aus seiner Sicht wesentliche Dinge fest. Erstens sah er die Ursache für die Durststrecke nur bei sich: „Natürlich bin ich dafür verantwortlich, wenn ich den Spielern etwas nicht vermitteln kann. Wer denn sonst?“ Zweitens erkannte er trotzdem Fortschritte: „Unser Tempospiel haben wir ganz gut entwickelt.“
Vor Bietigheim (bis dahin fünf Mal hintereinander siegreich) schien der VfL-Trainer mit seinen Vermittlungsversuchen noch einmal auf sehr offene Ohren gestoßen zu sein – und der vierte Sieg in Folge nach dem 33:23 über die DJK Rimpar Wölfe, dem 30:28 gegen den TuS Ferndorf und dem 35:27 beim ThSV Eisenach verdiente bestimmt das Prädikat wertvoll. Was die Gummersbacher im Kampf um den Aufstieg weiter draus machen, wird sich am Donnerstag beim Dessau-Roßlauer HV und nicht zuletzt am 28. Mai beim Aufstiegs-Konkurrenten TuS N-Lübbecke zeigen.
Die Situation bei der Vergabe der beiden Tickets für die Bundesliga hat sich jüngst deutlich zugunsten der Gummersbacher entwickelt. Der Handball Sport Verein (46:12 Punkte) liegt zwar trotz seiner überraschenden 27:30-Niederlage gegen den VfL-Nachbarn TuS Ferndorf weiter auf Platz eins, doch der TuS N-Lübbecke (46:14), der vor Kurzem mit dem 30:33 beim VfL Lübeck-Schwartau stolperte, und Gummersbach (45:13) sind nur ein paar Zentimeter entfernt. Weil alles so eng ist, lässt sich eine einfache Rechnung aufmachen: Sollte der VfL die Hürde Dessau-Roßlau bewältigen, überholt er nicht nur die Nettelstedter – sondern wenigstens bis zum Wochenende die Hamburger direkt mit. Als Tabellenführer dürfte Sigurdssons Team anschließend in Ruhe beobachten, was die Mitbewerber anstellen. Der TuS N-Lübbecke tritt am Samstag beim gefährdeten TV Emsdetten an, Hamburg am Sonntag in Dessau.
Die Gummersbacher wissen trotz veränderter Vorzeichen genau, was sie bisher erreicht haben – in erster Linie ein Etappenziel, aber acht Runden vor dem Ende der Saison eher nichts Konkretes. „Natürlich wünschen wir uns alle sehr, dass es mit dem Aufstieg klappt“, betont Geschäftsführer Christoph Schindler, „aber es kann noch unheimlich viel passieren.“ Mit „passieren“ ist allgemein ein unerwartetes oder unliebsames Ereignis gemeint – was jedenfalls für die Gummersbacher eine Niederlage in Sachsen-Anhalt wäre. Die will der VfL unbedingt vermeiden, um die Gunst der Stunde für sich zu nutzen und den Druck auf die Konkurrenten zu erhöhen. Rechtsaußen Lukas Blohme erklärt stellvertretend für alle, dass die Mannschaft entschlossen ist: „Wir wollen als Team jedes Mal aufs Neue noch mehr zusammenwachsen und dann die zwei Punkte holen. Natürlich wollen wir auf den letzten beiden starken Auswärts-Auftritten aufbauen und unsere Siegesserie ausbauen.“ Keine Überraschung: Die mit 27:31 Zählern auf Rang elf geführten Hausherren werden etwas dagegen haben.
Beim TSV Bayer Dormagen haben sie irgendwie nach wie vor daran zu knabbern, dass beim 30:30 gegen den TV Emsdetten eine 30:25-Führung kurz vor Schluss nicht zum Sieg reichte. „Klar, wir haben einen Punkt verschenkt“, sagt Bayer-Trainer Dusko Bilanovic, dessen Ärger darüber allerdings relativ bald verflog. Mit dem Blick auf die angespannte personelle Situation nahm er seine Mannschaft sogar in Schutz: „Man muss sehen, wie viele Verletzte wir haben. Manche gehen immer ans Limit.“ Das traf zuletzt besonders auf Regisseur Ian Hüter und den selbst angeschlagenen Benjamin Richter zu, die im Rückraum doppelt und dreifach gefordert waren – weil dort unter anderem Alexander Senden für die linke Seite und André Meuser für die rechte Seite fehlten. Die für Dormagen gute Nachricht: Aus dem Lager der Verletzten/Angeschlagenen bekam Senden vom Arzt grünes Licht. Theoretisch ist zudem möglich, dass Meuser wieder dabei sein kann, und selbst ein Comeback von Torhüter Martin Juzbasic nach drei Monaten Pause (Fingerverletzung) könnte denkbar sein. Einfache Rechnung: Je kompletter das Stammpersonal ist, desto weniger muss der TSV auf Hilfe aus der A-Jugend zurückgreifen, die ja das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft erreicht hat und dort am kommenden Samstag erneut gefordert ist (Hinspiel bei den Rhein-Neckar Löwen). Auf den abwehrstarken Kreisläufer Aaron Seesing (18) kann/will Bilanovic trotzdem nicht verzichten.
Grundsätzlich entnahm der TSV-Coach der bitteren Schlussphase gegen Emsdetten im Übrigen etwas Positives: „Dadurch lernt unsere sehr junge Mannschaft, sich in solchen Situationen schlauer zu verhalten. Das ist wichtig für die Entwicklung und für die kommende Saison.“ Ebenfalls grundsätzlich kann Bilanovic mit 32:24 Punkten und Rang fünf leben: „Ich bin zufrieden. Wenn wir da bleiben, wo wir jetzt sind, wäre das ein gutes Ergebnis.“ Danach wäre die rund 500 Kilometer weite Fahrt zur Partie am Freitagabend beim VfL Lübeck-Schwartau ein Finale der etwas anderen Art – weil die Gastgeber aus Schleswig-Holstein als Sechster mit 34:28 Zählern direkt hinter dem TSV auf der Lauer liegen. Bilanovic hat viel Respekt vor den Lübeckern, die zu Hause bereits den Ersten Hamburg (31:28) und den Zweiten TuS N-Lübbecke (33:30) bezwangen. Trotzdem würden die Dormagener zugreifen, sollte sich die Gelegenheit zum Sieg bieten: „Wir fahren nicht dahin, um die Punkte einfach abzugeben. Wir sind doch kein Lieferdienst.“