26. Mai 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Der eine ist erst vor ein paar Monaten gekommen und er will bleiben. Maik Pallach, der neue Trainer der HSG Krefeld Niederrhein, denkt auch nicht im Mindesten daran, dem Frust besonders lange und besonders viel Raum zu geben – obwohl die Entwicklung in der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga tatsächlich aufs Gemüt drücken und sehr nachdenklich stimmen könnte. „Ja, da wartet viel Arbeit auf uns“, sagt Pallach, „die HSG Krefeld ist trotzdem ein spannendes Projekt mit vielen Möglichkeiten.“ Weil das in dieser Form noch nicht überall und bei allen angekommen zu sein scheint, richten die Eagles den Blick nach dem Hinspiel im Viertelfinale gegen den VfL Eintracht Hagen jetzt schon auf die nächste Saison. Anderes ist nach der 21:35-Pleite vom vergangenen Wochenende sowieso kaum vorstellbar. Dass die Hagener am Samstagabend ab 19 Uhr in eigener Halle mit 14 oder mehr Toren Differenz verlieren, ist für Eintracht-Trainer Stefan Neff ebenfalls eher eine rein theoretische Möglichkeit. Neff braucht keinen erhöhten Puls zu befürchten, weil er sich auf die Qualität seines Teams verlassen kann – wie vor knapp einer Woche, als die Eintracht ein 1:3 (8.), 2:4 (9.), 3:5 (13.) oder 5:6 (15.) ziemlich unbeeindruckt wegsteckte. „Ich wusste nach einer Viertelstunde, dass wir noch 105 Minuten haben“, erklärt Neff. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede: Neff weiß, dass seine Spieler in der Regel zu einem vernünftigen Auftritt finden. Und Pallach muss eher hoffen, dass die HSG zu einer vernünftigen Leidenschaft findet. Gemeinsames Problem der Trainer-Kollegen: Wie vermitteln sie am besten, dass das bevorstehende Rückspiel mehr ist als eine lästige Pflicht?
Bei der HSG gibt sich niemand der Illusion hin, dass ein Wunder passiert. „14 Tore Unterschied sind eine Hausnummer. Ich glaube, so etwas hat noch nie einer aufgeholt. Wir müssen trotzdem versuchen, uns anders zu verkaufen“, betont Pallach. Als energischer Verfechter von Hingabe und Leidenschaft musste er zuletzt (und nicht zum ersten Mal) feststellen, wie sich die Eagles praktisch ohne Gegenwehr für eine längere Phase aus einer Partie verabschiedeten. Wie aus dem 15:19 (38.) innerhalb von gut sechs Minuten das 15:25 (44.) wurde, wirkte durchaus beschämend. Gegenwehr? Aufbäumen? Fehlanzeige. Das passt alles überhaupt nicht zu Pallachs Handball-DNA: „Wenn ich mit zehn zurückliege, versuche ich auf minus sieben zu kommen. Und wenn ich sieben zurückliege, auf minus vier.“ Er mag es nicht Charaktertest nennen, was auf die Krefelder in Hagen wartet, doch im Grunde wird es genau das. Anschließend ist dann zwar die schwierige Saison 2020/2021 ohne das von Krefeld erhoffte Ergebnis vorbei, doch die Arbeit wird anschließend nicht weniger. „Wir werden zusammen an Stellschrauben drehen“, erklärt Pallach, der mit dem Puzzle in seinem bis 2023 abgeschlossenen Vertrag praktisch von vorne beginnen darf.
Für Stefan Neff ist die Eintracht nicht irgendein Verein und Neff für die Eintracht nicht irgendein Trainer. Im Grunde fanden im November 2019 zwei auf natürliche Art und Weise zusammen. Zuerst wurde der 34 Jahre alte Coach im September beim Drittligisten SG Schalksmühle-Halver ziemlich überraschend beurlaubt, ehe der VfL nach dem Aus von Ulli Kriebel einen neuen Trainer brauchte und schnell fündig wurde. Kein Wunder: Neff, der Ur-Hagener, unterschrieb als Coach bei jenem Verein, für den er bis zur A-Jugend selbst aktiv spielte, ehe eine Verletzung die aktive Karriere früh beendete. Über Trainer-Anfänge bei der Eintracht und beim VfL Gummersbach (Akademie) fand er mit dem TuS Volmetal den Weg aus der Verbandsliga bis in die 3. Liga, wo er vier Jahre und drei Spiele in Schalksmühle-Halver die sportliche Verantwortung trug. Daraus folgt: Er kennt die Gegend, er ist dort verwurzelt, er kennt die Strukturen im Verein. Und er hat den Schritt zum VfL, bei dem er bereits im vergangenen Herbst seinen Vertrag bis 2023 verlängerte, noch keine Sekunde bereut: „Ich fühle mich superwohl.“ Dass nahezu die gesamte Konkurrenz die personell sicher überdurchschnittlich gut ausgestatteten Hagener als „absoluten Top-Favoriten“ für den Aufstieg bezeichnet, belastet die Eintracht und ihren Trainer kaum: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Dass jemand die Rückkehr in die 2. Bundesliga als bereits beschlossene Sache ansieht, fände Neff auf der anderen Seite gefährlich – und respektlos gegenüber den Mitbewerbern, die demnächst im Weg stehen könnten. Es wird im Juni entweder der TuS Vinnhorst oder der HC Oppenweiler/Backnang sein. Sollte Hagen nach dem Weiterkommen gegen Krefeld erneut als Gesamtsieger aus Hin- und Rückspiel gegen Vinnhorst/Oppenweiler hervorgehen, wäre der Aufstieg klar – der natürlich das Saisonziel von Verein, Trainer und Mannschaft ist.
Wichtig für die Hagener ist, dass der vom VfL Gummersbach gekommene Alexander Becker (29) wieder zur Verfügung steht, denn der Kreisläufer gibt auch der Deckung zusätzlich Stabilität. Fehlen wird erneut der angeschlagene Julian Renninger (28), der eventuell im zweiten Halbfinale ins Team zurückkehren könnte. Der Solinger ist ebenfalls Kreisläufer, bereits seit 2013 für den Verein unterwegs und nicht nur für seinen Coach ein besonders wertvoller Baustein: „Er ist ein echter emotionaler Leader.“ Grundsätzlich glaubt Neff allerdings an ein hohes Maß Eigenverantwortung bei allen Spielern, von denen er auch gegen Krefeld die notwendige Ernsthaftigkeit erwartet: „Wir wollen in der Vorbereitung die Fehler wegarbeiten, die es auch im Hinspiel noch gab. Außerdem ist Krefeld eine individuell stark besetzte Mannschaft. Wir wollen und müssen im Rhythmus bleiben.“ Insgesamt hört sich das nicht so an, dass die Eagles mit dem ganz großen Entgegenkommen rechnen dürfen. Wo Neff einiges weiß, muss Pallach viel hoffen.