14. Juni 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Sie wissen, woher sie kommen. Vor gut zwei Jahren war die Lage für die HG Remscheid im Kampf um den Aufstieg aus der Oberliga Niederrhein in die Regionalliga Nordrhein kurz vor Schluss der Saison 2018/2019 fast aussichtslos. Erst am vorletzten Spieltag löste die seinerzeit von Lukas Steinhoff trainierte HG die lange wie der sichere Meister aussehende Unitas Haan an der Spitze ab. Für die folgende Serie 2019/2020 hatten sich die Remscheider mit dem Steinhoff-Nachfolger Frank Berblinger doch wenigstens den sicheren Klassenerhalt zugetraut, der aber entgegen allen Erwartungen zu einer Zitterpartie wurde. Es wird sich vielleicht nie klären lassen, ob nicht am Ende sogar das pandemie-bedingte Durcheinander seit März 2020 die Rettung brachte: Als der Verband die Saison wenig später offiziell als abgebrochen deklarierte, lag Remscheid mit 11:27 Punkten aus 19 Spielen auf dem vorletzten Platz. Richtig viele Argumente für den Sprung ans rettende Ufer hatte die HG seinerzeit nicht mehr geliefert, sondern nach einer 25:26-Heimpleite gegen den TV Jahn Köln-Wahn eher nur die Trennung von Berlinger. Co-Trainer Jörg Müller erlebte mit der Mannschaft noch das 23:34 beim TV Korschenbroich, ehe Corona alle weiteren Rechnungen, Hoffnungen und Gedanken durchkreuzte. Drin blieb Remscheid trotzdem, weil der Verband den Verzicht auf Absteiger in seinen Ausstieg aus der Saison einbaute. Vielen war klar: Das ist auf Dauer zu wenig Ertrag für zu viel Aufwand, das muss anders werden. Vorzugsweise besser. Mit dem ersten Schritt legte der Verein noch unter der Federführung von Ralf Hesse direkt einen Meilenstein vor: Alexander Zapf, zuvor in der Nachbarschaft bei den Bergischen Panthern als Spieler und Trainer (Zweite) tätig, kehrte zu seinem alten Verein zurück. Der Ur-Remscheider, seit seinem zweiten Lebenstag Mitglied bei der HG, trat mit einem glasklaren Programm an: „Wir brauchen die Gier nach Erfolg und den Willen nach Erfolg. Wir brauchen keine Individualisten, sondern eine richtige Mannschaft. Wenn wir so etwas hinkriegen, werden wir erfolgreich sein.“ Zapfs Worte haben das Zeug zum neuen Grundgesetz im Bergischen.
Ein früherer Trainer des Regionalligisten hat es mal so formuliert: „Die Spieler wissen gar nicht zu schätzen, wie gut es ihnen geht.“ Darin liegt nichts weniger als ein Loblied auf das Lebenswerk des ehemaligen HGR-Machers Ralf Hesse, der über 20 Jahre für fast alles bei den Remscheidern verantwortlich und zuständig war. Deshalb ist diese Einschätzung im Bergischen allgemeines Gedankengut: „Er hat das fantastisch gemacht. Ohne ihn wäre das alles in Remscheid nicht möglich gewesen.“ Gleichzeitig stand für Hesse fest, dass es demnächst Zeit für einen Abschied aus der ersten Reihe sei – und der Verlauf der Saison 2020/2021 dürfte ihn auf dem Weg dorthin bestärkt haben. Zapfs Team startete mit drei Siegen erfolgreich und vor allem das 27:25 vom 3. Oktober 2020 gegen den zu den Titelkandidaten zählenden TV Korschenbroich deutete immerhin an, dass die Richtung stimmen könnte. Anschließend warf erneut Corona alle Kalkulationen über den Haufen – vor über acht Monaten, vor einer gefühlten Ewigkeit. Die Remscheider konnten die für jeden aktiven Handballer meist ziemlich trostlose Zeit allerdings nutzen. Punkt eins: Ralf Hesse machte mit seinem Rückzug im Frühjahr 2021 den Weg frei. Punkt zwei: Dadurch gehört die Ära des Ein-Mann-Unternehmens HG Remscheid der Vergangenheit an.
Ab jetzt „regiert“ ein Team aus vier Handball-Verrückten mit Hesse-Nachfolger Tiberius Jeck als Erstem unter Gleichen. Alex Zapf will nicht nur als Trainer arbeiten, sondern auch als Motor des Unternehmens Handball – was genauso für Torhüter Tobias Geske gilt, der weiter zwischen den Pfosten steht und gleichzeitig die Rolle des Sportlichen Leiters übernimmt/übernommen hat. Ihnen allen hält Fränze Schoewer den Rücken frei – was im Wirtschafts-Sprachgebrauch „Backoffice“ heißt und ins richtige Deutsch übersetzt so etwas meint wie „einen Raum oder ein Büro hinter dem Geschäft“. In Remscheid nennen sie es eher Schnittstelle oder sie bezeichnen den Aufgabenbereich fast liebevoll so: „Sie ist der Schmierstoff, ohne den nichts laufen würde.“ Der Handball ist dabei genauso ihre Leidenschaft wie jene der Herrn Jeck, Zapf und Geske: Gespielt hat sie zuletzt für die Frauen des Bergischen HC und dort auch im weiblichen Nachwuchs-Bereich gearbeitet. Deshalb war Fränze Schoewer für das Projekt Neu-Remscheid sofort Feuer und Flamme – obwohl über die Bereiche Organisation und digitale Medien bis hin zur Abwicklung finanzieller Angelegenheiten viel Arbeit zu erledigen ist, obwohl die HG insgesamt viel Zeit in Anspruch nimmt. Ihr Viertel fürs gemeinsame Ganze ist für die Mitstreiter letztlich genauso wertvoll wie die anderen drei Teile. Ein Vorteil: Weil Schoewer als Direktions-Assistentin eng mit Jeck zusammenarbeitet, sind die internen Kommunikationswege kurz.
Jeck hat beruflich viel mit Finanzen zu tun – eine nicht unwichtige Tatsache im Umgang mit Geld. Darüber hinaus steht er mit mindestens einem Bein mitten im professionellen Handball, denn beim Traditionsklub VfL Gummersbach ist er mittlerweile Vorsitzender des Beirats und weiß als solcher, wie die Dinge ein paar Etagen höher laufen. Ganz „nebenbei“ war/ist der ehemalige Torhüter Jeck eins der Gründungsmitglieder der HG Remscheid und fest entschlossen, den Handball im an Konkurrenz nicht armen Bergischen (BHC, Panther) nachhaltig anzuschieben. Die Träume, aus denen Pläne werden sollen, sind groß: „Unser Ziel ist es, mittelfristig in die 3. Liga aufzusteigen.“ Ganz weit hinten könnten in ein paar Jahren vielleicht sogar die HBL und die 2. Bundesliga auftauchen – zurzeit sicher Lichtjahre weit weg und deshalb gerade nur für einen winzigen Gedanken-Ausflug geeignet. In Wirklichkeit stehen die Verantwortlichen mit beiden Beinen auf dem Boden und sie haben in erster Linie eine Politik der kleineren Schritte vor, die sie dafür entschlossen gehen wollen.
Zum Pflichtenheft gehören Sponsorenpflege und Gewinnung, eine professionellere Darstellung nach außen, Wertsteigerung der Marke Handball oder Weiter-Entwicklung der Mannschaft – was im Paket selbstredend nicht zuletzt bei Trainer Zapf und seinem Sportlichen Leiter Geske auf fruchtbaren Boden fällt. „Ich will strukturell etwas verändern“, betont Zapf. Beide hassen es, Dinge bloß zu verwalten, beide wollen antreiben, beide lassen ihr Feuer auf und neben dem Feld immer wieder jeden spüren. Tobias Geske war schon in seiner Zeit bei der SG Langenfeld ein „emotionaler Leader“ und er ist sich in Remscheid treu geblieben. Richtig gut verlieren kann er immer noch nicht und es käme ihm kaum in den Sinn, mittelmäßige bis schlechte Leistungen schönzureden.
Weil der Führungsspieler Geske bei der HG Remscheid eine neue Führungsrolle eingenommen hat, wollte er das Amt des Kapitäns unbedingt abgeben: „Das muss nicht mehr sein, das soll jemand anders machen.“ Dass der unter anderem für die Kaderplanung zuständige Sportliche Leiter möglicherweise in einen Konflikt kommen könnte, wenn er gleichzeitig als Mannschaftsführer die Interessen/Sorgen/Nöte des Teams gegenüber Vorstand und Trainer vertreten soll, lässt sich nicht von der Hand weisen. Nun ist Geske fest davon überzeugt, dass er in der veränderten Doppel-Funktion trotzdem oder erst recht das Optimum herausholen kann und das Vertrauen der Teamkollegen hat: „Die Mannschaft hat das sehr positiv aufgenommen.“ Wer Nachfolger als Kapitän wird, entscheidet sich erst mit dem Beginn der handball-spezifischen Vorbereitung. Theoretisch dürften die Remscheider ja mittlerweile wieder zurück in die Halle Neuenkamp – die jedoch seit mehr als einem Jahr als Not-Krankenhaus genutzt wurde. Die HG hofft, dass der inzwischen in Aussicht gestellte Abbau das dringend notwendige Handball-Training ab dem 1. Juli erlaubt. Spätestens dann wird sich zeigen, ob alle Spieler physisch auf demselben Stand unterwegs sind.
Bis zum Saisonbeginn, der nach dem Stand der Dinge wohl Mitte September erfolgt, bleiben Alexander Zapf und Co-Trainer Jörg Müller anschließend zweieinhalb Monate Vorbereitung. Sicher bereits jetzt: Viele neue Gesichter, um etwa den Aufstieg zu erzwingen, werden definitiv nicht dabei sein – im Gegenteil. „Wir haben die gleiche Mannschaft wie im letzten Jahr“, sagt Zapf. Seinen Kader hält er aus vielen Gründen trotzdem für stark genug, um damit in der Tabelle eher nach vorne zu schauen. Das Torhüterduo mit dem vom Leichlinger TV aus der 3. Liga gekommenen Linus Mathes und Geske passt ebenso zu höheren Ansprüchen wie der Rückraum mit Philipp Hinkelmann, Florian Hinkelmann, Michael Heimansfeld oder dem zweitliga-erfahrenen Felix Handschke, der nach dem Aus der Rhein Vikings vor einem Jahr aus der 3. Liga ins Oberbergische wechselte und sich zum Bleiben entschloss. Wenn es gut läuft, bleibt sogar der einstige Innenblock des Drittligisten SG Schalksmühle-Halver mit Kreisläufer Dominic Luciano (aus Krefeld gekommen) und Rückraumspieler Todor Ruskov (Schalke) den Remscheidern erhalten – was von der Entscheidung im „Fall“ Ruskov abhängt. Die HG hätte allerdings jedes Verständnis dafür, sollte der Linkshänder letztlich aus privaten Gründe doch nach Bulgarien zurückgehen. Sportlich und menschlich fänden das alle aus Remscheider Sicht sehr schade, aber aufhalten würde es die neue HG wohl kaum. Erstens: Sie wissen ja, woher sie kommen, und bleiben bei aller Liebe zum Handball irgendwie bodenständig. Zweitens: An der Politik der kleineren Schritte ändert sich ebenfalls nichts. Drittens: Es bleibt die Gier nach Erfolg, es bleibt so etwas wie Aufbruchstimmung. Dafür sind Tiberius Jeck, Tobias Geske, Alexander Zapf und Fränze Schröwer angetreten.