Harz beiseite
Nach Dänemark: Laurenz Kluth ist dann mal weg
Der 18 Jahre alte Jugend-Nationalspieler wechselt von TuSEM Essen zum Top-Team Bjerringbro-Silkeborg. Er will Profi-Handball und Studium kombinieren.

Immer dicht dran: Laurenz Kluth (Nummer 44) konnte in der Abwehr unter anderem Kreisläufer Tom Bergner (links daneben) und Rückraumspieler Alexander Weck (beim Wurf) vom Bergischen HC das Leben ganz schön schwer machen. (Foto: Thomas Schmidt)

Von Schweden aus in die Bundesliga – so war es bei Jim Gottfridsson, dem Lenker und Denker der SG Flensburg-Handewitt. Oder bei Max Darj, dem Kreisläufer des Bergischen HC. Von Dänemark aus in die Bundesliga zog es aus einer langen Liste an Spielern unter anderem die ehemaligen Flensburger Linksaußen-Legenden Lars Christiansen und Anders Eggert oder den aktuellen Welt-Handballer und Weltklasse-Torhüter Niklas Landin vom THW Kiel. Norwegen hätte in dieser Reihe vor allem den Kieler Regisseur Sander Sagosen anzubieten. So weit, so normal. Doch eine Fahrkarte ins Profi-Dasein gibt es durchaus auch in die andere Richtung – von Rhein und Ruhr aus nach Skandinavien. Für Laurenz Kluth (18), der gerade mit TuSEM Essen ein Jahr Abenteuer in der Bundesliga zu Ende bringt, ist Dänemark ab Ende August so etwas wie das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Kleine Einschränkung: Geschenkt gibt es nichts, gar nichts. Sein neuer Verein ist eine bekannte Größe im Handball – und Bjerringbro-Silkeborg Handbold so professionell aufgestellt wie die Kieler, die Flensburger, die Rhein-Neckar Löwen oder der SC Magdeburg. Der Verein, jüngst Vizemeister in Dänemark, ist ein Elite-Klub. Dazu passt perfekt, dass Laurenz Kluth an einer Elite-Uni studieren wird – an der School of Business and Social Sciences der Universität Aarhus, die international einen hervorragenden Ruf hat.

Der Düsseldorfer freut sich riesig darauf, demnächst den Sport auf höchstem Niveau betreiben und sich persönlich weiterentwickeln zu können. Gleichzeitig braucht er ein Gegengewicht: „Ich muss manchmal den Kopf freikriegen, ich muss an was anderes als Handball denken.“ Im zurückliegenden Jahr mit den aufgestiegenen Essenern und der ungewöhnlichen Vorbereitung aufs Abitur hat der 1,96 Meter lange Rückraumspieler den Spagat erneut ganz gut hinbekommen – zwischen dem täglichen Training und Reisen durch Deutschland hier und dem Lernen unter anderem für die Leistungskurse Geschichte und Englisch sowie die Grundkurse Mathematik und Ernährungslehre dort. Die inzwischen vorliegenden Noten für die Abi-Klausuren (Durchschnitt 1,1) fallen sogar besser aus als das TuSEM-Abschneiden in der Bundesliga. Dort gab es zwar immer wieder Lob von allen Seiten für Schwung, Einsatz, Leidenschaft und Spielwitz, doch zum Klassenerhalt reichte es fürs Team um Trainer Jamal Naji nicht. „Wir haben auf jeden Fall gezeigt, dass wir spielerisch auf Augenhöhe sind“, sagt Mittelmann Kluth, „die Saison hat auch mir unheimlich viel gebracht. Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen.“ So entwickelte sich Laurenz Kluth von einem vorwiegend in der Abwehr eingesetzten Talent zu einem offensiv ebenfalls häufiger eingesetzten Spieler der Essener.

Größere Probleme mit Veränderungen oder dem Zurechtfinden in einer neuen Umgebung scheint Laurenz nicht zu haben – wie vor einigen Jahren unter anderem ein längerer Aufenthalt in den USA (Florida) bewies. Darüber hinaus ist Laurenz Kluth offensichtlich ein Mensch mit dem Hang zu klaren Entscheidungen: Einst war er gemeinsam mit seinem Bruder Maximilian sowohl handballerisch als auch in der Leichtathletik unterwegs, sodass irgendwann die Frage im Raum stand: Was soll ich tun? Die Antwort war am Ende nicht so schwierig zu finden: „Max war der klar bessere Leichtathlet und ich der bessere Handballer.“ So führte ihn sein Weg in der Jugend über den ART Düsseldorf, den TSV Bayer Dormagen und die Rhein Vikings vor zwei Jahren nach Essen, wo er zuerst unter Trainer Jaron Siewert im Zweitliga-Kader trainierte und sich nach dem Aufstieg unter der Regie von Siewert-Nachfolger Jamal Naji mit den Besten der Besten in der Bundesliga messen durfte. Nicht nur diesen beiden, sondern auch allen anderen Förderern aus den Jahren zuvor ist er dankbar für die Unterstützung – ohne die er den Schritt nach Dänemark definitiv nicht geschafft hätte.

Wie es zum Vertrag in Bjerringbro-Silkeborg kam? Es ist ein weiteres Kapitel aus der Geschichte „Jemand kennt jemanden, der jemanden kennt“. Als der Kontakt einmal da war, ging alles ziemlich schnell: „Es hat gepasst, weil sie genau auf meiner Position noch jemanden gesucht haben.“ Gesucht im Übrigen für eine Verjüngungskur der in Teilen sehr erfahrenen Mannschaft – deren routiniertester Handballer sicher Abwehrhüne Jesper Noddesbo ist, der mit Dänemark Weltmeister und Olympiasieger wurde und seine Karriere jetzt mit 40 Jahren beendet hat. Der schwedische Keeper Johan Sjöstrand (34/früher Flensburg, Kiel, MT Melsungen) und Kreisläufer Rene Toft Hansen (36/bis 2018 in Kiel) sind weitere in Deutschland sehr bekannte Handballer von internationaler Klasse. Und dann gibt es da den Sportlichen Leiter/Sportchef, der sich von 2005 bis 2014 in Flensburg zur Kreisläufer-Legende entwickelte: Michael V. Knudsen (42) war anschließend bis 2020 Spieler in Silkeborg, ehe er die Seiten wechselte und nun dort seine riesige Handball-Erfahrung gewinnbringend einsetzt. Sein Vorteil: Er weiß noch immer sehr genau, wie Spieler denken. Und er weiß sicher, warum er sich für ein Talent aus Deutschland entscheidet: Weil er es sportlich für sinnvoll hält. Eine Gefälligkeit ist es bestimmt nicht. 

Willkommen in Dänemark: Silkeborgs Sportchef Michael V. Knudsen (links) konnte Laurenz Kluth nach der Vertrags-Unterzeichnung in der Jsyk-Arena gleich das Trikot mit der Nummer 44 überreichen – die Kluth zurzeit auch noch auf seiner Essener Dienstkleidung trägt. (Foto: BSH)

Bei der Vorstellung Kluths in Bjerringbro-Silkeborg drückte es Knudsen so aus: „Er hat schon in jungen Jahren viel erreicht und steht erst am Anfang seiner Karriere. Er spielt für sein aktuelles Vereinsteam TuSEM Essen in einer der härtesten Ligen der Welt, der deutschen Bundesliga, und hat dabei viel Erfahrung und Härte gesammelt. Körperlich wird er einer der absolut Schnellsten und Stärksten im Kader sein. Er zeigt, dass er zu hundert Prozent Handball will.“ Laurenz Kluth, für den wohl jede Form von Stillstand eine Art Rückschritt ist, kündigte damals bei der Vertrags-Unterzeichnung an, dass er den großen Vertrauensvorschuss zurückzahlen will: „Ich bin immer bestrebt, mein Spiel zu verbessern und meiner Mannschaft so gut wie möglich zu helfen.“ Weil der junge Mann, der am Regiepult die Fäden ziehen soll, die Dinge ebenso ehrgeizig wie weltoffen angeht, wäre ihm in Essen ein fester Platz sicher gewesen – doch Kluth sah in Deutschland keine Gelegenheit, Profi-Handball und Studium auf die „dänische“ Art miteinander zu kombinieren. Und ein Gefühl der Einsamkeit wird den jungen Mann sowieso nicht überkommen – weil er bei einem Besuch in der Halle seines künftigen Vereins längst alles genau unter die Lupe nehmen konnte. „Das hat mir gut gefallen, ich habe mich wohlgefühlt.“ Dass er sich wirklich zu Hause fühlen wird, steht ohnehin fest: Sein älterer Bruder Maximilian (20), unter anderem Deutscher Meister U 20 bei den Zahnkämpfern, studiert bereits in Aarhus.

Viel Pause wird sich Laurenz Kluth in den kommenden Wochen nicht gönnen (können). Mit TuSEM Essen stehen auf der Abschiedstournee durch die Bundesliga noch die Aufgaben am Donnerstag (24. Juni) gegen die Rhein-Neckar Löwen und am Sonntag (27. Juni) beim Mit-Absteiger HSC Coburg auf dem Programm. Und nicht viel später rückt bereits die Jugend-Europameisterschaft U 18/U19  in den Mittelpunkt. Dafür haben der DHB und Bundestrainer Martin Heuberger eine intensive Vorbereitung geplant, damit beim Turnier vom 10. bis 22. August in Kroatien die Form stimmt. Heißt im Übrigen: Laurenz Kluth wird selbst dann weiter  im Einsatz sein, wenn die Großen des Handballs mit ihrem Olympia-Turnier bereits durch sind, das am 24. Juli beginnt und am 7. August endet. Laurenz macht nicht gerade den Eindruck, dass ihm sein echt großes Pensum Angst und Schrecken einjagt. Im Gegenteil. Außerdem will er ja zeigen, dass es auch andere als die üblichen Wege gibt. Und sollte Kluth eines Tages in Dänemark auf seine eigene Art so etwas geworden sein wie der deutsche Jim Gottfridsson, hätte er alles richtig gemacht. Einen Traum erfüllt er sich jetzt schon.