3. Liga
So tickt Essen: Aufsteiger ohne Angst vor großen Namen
TuSEM-Zweite freut sich mit Leidenschaft und Teamgeist auf die höhere Klasse. Ziel kann nur der Klassenerhalt sein.

Willkommen im Klub! Als Nelson Weisz (links) und TuSEM Essen II kürzlich zu einem Testspiel beim TuS 82 Opladen antraten, konnte er von seinem Trainerkollegen Fabrice Voigt schon mal hören, wie sich die 3. Liga anfühlt – in die Opladen vor einem Jahr aufgestiegen war. Demnächst treffen die beiden Vereine wieder aufeinander, diesmal im Kampf um den Klassenerhalt. (Foto: Thomas Ellmann)

Manche werden sich immer noch verwundert die Augen reiben. Vielleicht sogar einige bei den Handballern des Turn- und Sportvereins Essen-Margarethenhöhe selbst. Aber es stimmt tatsächlich: Die zweite Mannschaft mit Trainer Nelson Weisz spielt in der kommenden Saison in der 3. Liga – weil sie sich auf der Zielgeraden der ungewöhnlichen Saison 2020/2021 weder um Prognosen noch um irgendwelche Favoritenrollen kümmerte. Als die Aufstiegsrunde der Regionalligisten in die Nähe des Machbaren rückte, warfen die Essener schnell ihren Hut in den Ring. Weisz‘ Ankündigung: „Wir wollen aufsteigen. Der Verein steht hinter uns.“ Dass die Profis des TuSEM damals im Jahr eins nach dem Aufstieg schon so gut wie sicher als Absteiger feststanden, ließ diese Frage aufkommen: „Was wollen die denn mit einer Mannschaft in der 2. und mit einer in der 3. Bundesliga? Ergibt das Sinn?“ Klare Antwort der Essener: „Natürlich. Davon haben alle etwas.“ Deshalb gehörte Jamal Naji, der Trainer der Ersten, zu den ersten Gratulanten – und dass er im Fördern junger Leute ähnlich tickt wie Nelson Weisz, schadet dem gesamten Konstrukt bestimmt nicht. 

Wie TuSEM II im Aufstiegsfinale die mit einigen namhaften Ex-Profis bestückte SG Ratingen in Einzelteile zerlegte, war sogar beeindruckend. Selbst Naji staunte: „Wir haben es gehofft. Dass sie es so souverän und abgezockt über die Bühne bringen, hätte ich aber nicht gedacht.“ Essen gewann das Duell zweier komplett unterschiedlicher Spiel-Ideen und Spiel-Philosophien, weil es in der Summe seiner Einzelteile einfach deutlich überlegen war. Besonders wertvoll für Nelson Weisz: „Wir haben niemanden extra von oben runtergezogen, wir haben das alleine geschafft.“ Keeper Arne Fuchs (22) etwa hat bereits Einsätze in der Bundesliga hinter sich, war dort aber in den vergangenen Monaten die Nummer drei (hinter Sebastian Bliss und Luka Diedrich) und von vornherein eher als Stammkraft der Zweiten mit Perspektive für mehr eingeplant – wie Nils Homscheid und Jona Reidegeld (18). Wie gut aufeinander abgestimmt die Essener waren, zeigten sie gerade im Rückraum mit Homscheid und Tom Scholten (19) sowie Mathis Stumpf (24) und Alexander Telohe (24). Diese vier zusammen erzielten im Finale gegen Ratingen genau 21 Treffer, die alleine bereits zum Erfolg gereicht hätten (Homscheid 7/4, Scholten 5, Stumpf 5, Telohe 4). Spielwitz, Tempo und Leidenschaft, gepaart mit einer hundertprozentig funktionierenden taktischen Einstellung, feierten einen wirklichen Triumph. Es setzte sich eine Mannschaft durch, die diesen Namen verdiente.

Der TuSEM-Aufstieg beendet eine erneut für alle schwierige Saison – und die Essener wissen selbst, dass sie davon profitiert haben, nicht in einer langen Serie mit 28 oder 30 Spielen gefordert zu sein. „Manche sagen, dass es nie so einfach war, aufzusteigen“, weiß Weisz, „aber ich denke, es war nicht unverdient. Wir sind froh, dass wir es am Ende auch sportlich geschafft haben.“ Ganz aus heiterem Himmel kam der Erfolg im Übrigen sowieso nicht: Der dritte Rang aus 2018/2019, Platz sieben aus der (Teil-) Serie 2019/2020 sowie die Tabellenführung nach den ersten vier Spielen 2020/2021 belegen, dass TuSEM zuletzt immer in die obere Hälfte gehörte und dabei immer besonders für die Ratinger ein sehr unangenehmer Widersacher war. In den vergangenen Jahren holte Essen 9:1 Punkte aus fünf Vergleichen ohne Niederlage mit der SG. Insofern fügte sich das jüngste 27:19 im Aufstiegsfinale nahtlos an die vorherigen Ergebnisse an. Und es drückt besonders klar aus, welche Spiel-Idee und Spiel-Philosophie den größeren Ertrag verspricht. Nelson Weisz fasst es zusammen: „Wir waren eine Mannschaft, wir waren besser vorbereitet. Wir sind von unserem Weg nicht abgewichen, sondern den Weg, Spieler auszubilden und zu entwickeln, weitergegangen.“ 

HH2

In dieser Woche hieß das Motto „kick and grill“, um den Aufstieg auszukosten, doch demnächst geht es mit Volldampf in die Vorbereitung für die 3. Liga. „Wir laufen genauso auf wie zuletzt“, erklärt der TuSEM-Coach, der traditionell nicht mit aufwändigen Transfers rechnen darf. Als positiv werten die Essener, dass sie in der Staffel D zu Hause sind – in einer von sieben neuen Gruppen, auf die 82 Drittligisten zu verteilen waren. Die elf Gegner sind Bergische Panther, HSG Krefeld Niederrhein, Leichlinger TV, Longericher SC, TuS 82 Opladen, VfL Gummersbach II, ESG Gensungen/Felsberg, GSV Eintracht Baunatal, SG Menden Sauerland Wölfe, SG Schalksmühle-Halver Dragons und TuS Volmetal. Und niemand braucht eine besonders stark ausgeprägte prophetische Gabe, um Weisz und seinen Spielern eine extrem schwierige Saison vorherzusagen. Es kann nur um den Klassenerhalt gehen – nicht um einen der beiden ersten Plätze (Aufstiegsrunde) und kaum um eine Position von drei bis sechs (direkter Klassenerhalt). Es spricht alles dafür, dass Essen anschließend in der Abstiegsrunde weiter darum kämpft, ans rettende Ufer zu gelangen. Was für einen der Außenseiter in der 3. Liga spricht: Er bringt Schwung, Euphorie und Teamgeist mit. Und er hat keine Angst vor großen Namen oder Favoriten. Wer das Paket TuSEM II unterschätzt, muss sich hinterher vielleicht verwundert die Augen reiben.