2. Bundesliga
Essen stellt sich um: „Wir brauchen ein neues Mindset“
Auf TuSEM wartet nach dem Abstieg eine veränderte Aufgabenstellung - und Trainer Jamal Naji steht unter besonderer Beobachtung, weil er 2022 zum Bergischen HC wechselt.

Gespannt: Essens Trainer Jamals Naji weiß, dass die Saison in der 2. Bundesliga besondere Anforderungen an alle Beteiligten stellt. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist nicht mehr der Neue, sie sind nicht mehr die Neuen. Soll heißen: Jamal Naji, vor einem Jahr im Ruhrgebiet angetreten, und der damals in die Bundesliga aufgestiegene Traditionsklub TuSEM Essen haben jetzt keinen Bonus mehr in Rücken, keinen Vorschuss für einen, der sich (wage-) mutig und mit Leidenschaft in ein Abenteuer stürzen wollte – bei dem es nie eine Garantie auf ein Happy End gab. Deshalb traf es die Beteiligten nicht völlig vorbereitet, dass ihnen das große Lob für forsches Auftreten unter dem Strich doch nicht viel brachte, jedenfalls nicht den insgeheim erhofften Klassenerhalt. Klar: Essen hat eine Menge an Erfahrungen gewonnen und sich weiterentwickelt. Auch klar: Die Konkurrenz eine Etage tiefer wird keinerlei Rücksicht darauf nehmen, dass der TuSEM zum Beispiel gegen den THW Kiel oder die SG Flensburg-Handewitt sehr gut ausgesehen hat. Jamal Naji erwartet eher den maximal möglichen Widerstand: „Die 2. Liga ist körperlich sehr intensiv.“ Deshalb setzt er ein Umdenken als unverzichtbare Bedingung voraus: „Unser Mindset muss sich ändern.“ Der Begriff, den er gerne auf seine Mannschaft anwendet, meint (vereinfacht) eine Denkweise oder eine innere Überzeugung – und die Arbeit daran stand beim Trainingslager kürzlich in Wilhelmshaven ganz oben auf der Liste der zu erledigenden Dinge. Wie weit die Essener in diesem Punkt gekommen sind, werden sie direkt zum Saisonstart am 11. September beim EHV Aue zeigen können – der in der vergangenen Serie immerhin Fünfter war.

Vielleicht geben bereits die ersten fünf Wochen mit sechs Aufgaben im Paket einen entscheidenden Hinweis darauf, was für TuSEM möglich ist. Nach Aue warten die Partien gegen den ASV Hamm-Westfalen (17. September), beim HC Elbflorenz Dresden (26. September), gegen den HSC Coburg (1. Oktober), bei der SG BBM Bietigheim (9. Oktober) und gegen die Eulen Ludwigshafen (15. Oktober). „Wir haben ein toughes Auftakt-Programm“, urteilt Naji, der die genannten Spiele nicht aus übergroßer Vorsicht als hart bezeichnet. Hamm etwa hat immer relativ hohe Ansprüche und Dresden war 2020/2021 als Vierter der erste Verfolger des Spitzentrios aus HSV Hamburg, TuS N-Lübbecke und VfL Gummersbach. Coburg und Ludwigshafen sind Mit-Absteiger aus der Bundesliga – und Bietigheim hat die spanische Handball-Legende Iker Romero höchstwahrscheinlich nicht als Trainer nach Baden-Württemberg geholt, um sich mit Mittelmaß zu begnügen.

Im Kader der Essener gab es überschaubare Veränderungen – darunter allerdings einen Abgang, der besonders stark schmerzt. Kreisläufer Tim Zechel war in der Bundesliga eine der wichtigsten Stützen des Teams, sowohl vorne als auch hinten im Deckungszentrum. Die beiden neuen Kreisläufer Markus Dangers (HSG Konstanz) und Tom Bergner (Bergischer HC/mit Zweitspielrecht ausgestattet) treten gemeinsam mit dem bisherigen Zechel-Vertreter Tolga Durmaz in ziemlich große Fußspuren. Als echter Abwehrstratege gilt der Schweizer Viktor Glatthard – der ebenfalls zu jener begehrten Sorte Kreisläufer gehört, die über exzellente defensive Qualtäten verfügen. Naji ist vom 27 Jahre alten Zugang, der zuletzt beim norwegischen Erstligisten Haslum BK unter Vertrag stand, begeistert: „Er bringt uns in der Abwehr richtig weiter und ist schon super integriert.“ 

Wir schaffen das! Der „Alt-Essener“ Malte Seidel und Neuzugang Viktor Glatthard verstehen sich offensichtlich schon bestens. (Foto: Thomas Schmidt)

Für Jamal Naji wird die bevorstehende Saison auf jeden Fall eine besondere: Es ist seine zweite und bereits die letzte in Essen, denn seit einigen Wochen steht sein Wechsel zum Bundesligisten Bergischer HC fest – der sich die Dienste des 35-Jährigen zum 1. Juli 2022 sicherte. Weil alle Beteiligten eine Art Schweigegelübde abgelegt haben, lehnen sie weitere Kommentare/Aussagen dazu fast kategorisch ab. BHC-Geschäftsführer Jörg Föste legt immerhin dar, dass der Verein die Personalie für extrem wertvoll hält. „Wir sind sehr glücklich, diesen hochveranlagten Trainer in unserem Team begrüßen zu dürfen“, erklärt Föste. Und es ist relativ fest davon auszugehen, dass Jamal Naji ebenfalls nicht völlig  unglücklich sein dürfte. Ganz fest geht er im Übrigen davon aus, dass die bevorstehenden Monate für ihn eine Herausforderung der besonderen Art werden – weil Essen nirgendwo mehr der Außenseiter sein wird, sondern einer der Mit-Favoriten im Kampf um den Aufstieg. Naji ist nicht blauäugig und er weiß, was passiert, falls es nicht ganz so gut laufen sollte: „Du wirst als Trainer angreifbar.“ Die viel bessere Variante hält er jedoch für deutlich plausibler, weil er seiner Mannschaft vertraut: „Ich will, dass Umfeld und Fans so positiv von uns reden wie in der letzten Saison. Ich will, dass wir mutig sind. Wenn alle ihr Möglichstes gegeben haben und der Gegner dann besser ist, werden wir das neidlos anerkennen.“ Essen ist gewarnt, weil nichts ein Selbstläufer wird. Deshalb sollten die anderen ebenfalls gewarnt sein. Mit TuSEM ist zu rechnen.