Regionalliga Nordrhein
You´ll never walk alone: 700 Fans singen für Julian Kamp
Das Benefizspiel des OSC Rheinhausen gegen die SG Schalksmühle/Halver Dragons bietet viel Gänsehaut-Momente - und beim 29:31 auch viel Normales.

Alle für einen: Schiedsrichterinnen (Mitte) sowie Spieler aus Rheinhausen (rechts) und Schalksmühle-Halver (links) zeigen das Banner mit dem Gruß für Julian Kamp gemeinsam. (Fot0: Herbert Mölleken)

Es sind bewegende Momente vor dem Anpfiff. Mit Gänsehaut-Garantie. Dass die meisten in der Halle Krefelder Straße alles andere als textsicher sind: Geschenkt. Als es darauf ankommt, stimmen die meisten der vielleicht 700 Zuschauer ein an jener entscheidenden Stelle des Liedes, das Gerry & The Pacemakers vor über 50 Jahren am 2. Oktober 1963 in ihrer eigenen Version auf den Markt brachten – und dann schnell die Welt der Sporthymnen eroberten: „You´ll neve walk alone.“ Der Gruß geht an Julian Kamp, der in seiner Reha-Klinik einige Kilometer weit weg über einen Livestream zuhören kann. Irgendwie ist er aber mittendrin und selbst in der Aufstellung seines OSC Rheinhausen fürs Benefizspiel gegen den Drittligisten SG Schalksmühler-Halver Dragons steht der 24-Jährige. Vor gut zwei Monaten hat er unmittelbar vor der ersten Partie in der Aufstiegsrunde der Regionalligisten zur 3. Liga eine Hirnblutung erlitten – mit zunächst nicht absehbaren Folgen. Bald kommen allerdings einigermaßen ermutigende Nachrichten und zurzeit befindet sich Julian in der nächsten Reha-Phase, die ihm bei der weiteren Verbesserung seines Sprachvermögens helfen und mehr Beweglichkeit auf der rechten Körperseite bringen soll. Auch das ist bewegend: Julians Vater liest einen kurzen Brief seines Sohns vor: „Jetzt spiele ich nicht im Team, sondern alleine. Mein Ziel ist es, irgendwann wieder auf der Platte zu stehen.“

Schlucken muss bei diesen Worten nicht nur, aber besonders heftig OSC-Trainer Thomas Molsner, der Julian Kamp bereits seit vielen Jahren kennt (C-Jugend) und von einer nur für die Mannschaft gedachten Botschaft berichtet, die in der Kabine zu hören gewesen sei. Um was es an diesem Abend geht, zeigen dann kurz vor dem Anpfiff beeindruckend die Gäste aus dem Nordwesten des Sauerlandes: Sie bringen ein eigens für Julian Kamp gefertigtes Dragons-Trikot mit dessen Nummer 68 und einen Scheck mit. 500 Euro haben die Spieler aus ihrer Mannschaftskasse gegeben, weitere 500 legen die Verantwortlichen des Vereins dazu. Der Kassensturz wird erst später erfolgen – weil der Eintritt zum Spiel grundsätzlich frei ist und die bereitgestellten Spendenboxen – umgewidmete „Wahlurnen“ – noch nicht ausgewertet sind. Auch wir beteiligen uns, denn von jedem verkauften Harzhelden-Saisonheft 2021/2022 (hier erhältlich) fließt ein Euro an Julian. Um die genaue Summe macht sich im Übrigen an diesem Abend fast keiner in Rheinhausen viele Gedanken. Es ist die Geste, die zählt. Sie soll Julian Kamp Mut machen, in seinem Kampf nicht aufzugeben – besonders in einer Zeit, in der es vielleicht nicht so gut läuft.

Vorwärtsgang: Yannick Kamp steuerte im Benefizspiel für seinen Zwillingsbruder Julian vier Tore bei. (Foto: Herbert Mölleken)

Gut läuft es unten auf dem Feld für Julians Zwillingsbruder Yannick Kamp, der natürlich zur Startformation der Hausherren gehört, vor der Pause bereits drei Treffer erzielt und später einen vierten anbringt. Das Muster bei allen Toren aus dem ersten Durchgang ähnelt sich: Der neue OSC-Keeper Matthias Puhle wehrt einen Wurf ab und Kamp macht sich auf und davon – 4:5 (9.), 5:6 (12.), 14:17 (29.). Nach dem Wechsel sitzt der Linksaußen zuerst eine Weile draußen, ehe er für die letzten zehn Minuten erneut dabei ist. Ein Lohn: Tempogegenstoß, 25:30 (52.). Nachher ist Yannick Kamp auf der Tribüne bei Freunden ein gefragter Gesprächspartner und er scheint den Abend insgesamt zu genießen. „Es ist unglaublich, wie viel Unterstützung wir bekommen. Das bedeutet uns viel. Dieses Spiel heute hat richtig Spaß gemacht.“ Das gehört zur Botschaft: Die da draußen geben ihr Bestes, um ihrem Bruder/Freund/Mitspieler zu helfen. Es wirkt wie ein Stück Normalität.

Die herrscht auf jeden Fall über die gesamten 60 Minuten, in denen beide Seiten durchaus handballgerecht und rustikal zur Sache gehen. Dass die Rheinhausener fürs Duell mit dem etablierten Drittligisten als klarer Außenseiter gelten, steht sowieso fest – und deshalb überrascht es wenig, dass der OSC am Ende eine 29:31 (15:17)-Niederlage hinnehmen muss. Molsners Mannschaft erzielt einmal die Führung, weil Oliver Brakelmann in der dritten Minute mit einem Tempogegenstoß das 2:1 gelingt. Bis zum 6:7 (13.) bleibt der Regionalligist dran, bevor er sich nach dem 10:17 (25.) durch fünf Treffer hintereinander auf 15:17 (30.) herankämpft und plötzlich wieder in Schlagdistanz liegt. Ganz ähnlich sieht die zweite Halbzeit aus, als beim Stande von 20:27 (42.) oder 23:30 (50.) erneut ein hohes Ergebnis droht – aber erneut tut sich Erstaunliches. Dragons-Trainer Mark Schmetz sieht wenig begeistert, wie sein Team die Zügel ein bisschen zu sehr schleifen lässt und der OSC immer mehr aufschließt. Das 27:30 (55.) von Patrik Ranftler eröffnet eine unerwartet spannende Schlussphase, in der Lasse Bernhardt die Gastgeber sogar auf 28:31 (56.) und 29:31 (58.) heranbringt. Letzter Höhepunkt aus Sicht des Außenseiters: Torhüter Dominik Heesen wehrt einen Drachen-Siebenmeter von Moritz Frenzel ab (59.).

Alle gegen einen: Rheinhausens Rückraumspieler Moritz Krumschmidt hatte in der Regel wenig Platz – aber auch kein Problem damit, immer wieder den „Zweikampf“ zu suchen. (Foto: Herbert Mölleken)

OSC-Trainer Thomas Molsner schwankt nachher in Bezug auf den sportlichen Teil der Veranstaltung zwischen zufrieden und leicht mürrisch. Auf der einen Seite hat er eine leidenschaftlich kämpfende Mannschaft gesehen und auf der anderen Kritikpunkte entdeckt: „Wir haben bis zum Saisonstart einige Baustellen zu bearbeiten.“ Was er nicht nachvollziehen konnte: „Wir haben genau abgesprochen, was wir spielen wollen. Und dann entwickeln manche plötzlich eigene Ideen.“ Das alles wird er seinen Spielern in einer sachlichen Analyse natürlich noch einmal in Ruhe intensiv erläutern. Molsner darf fest davon ausgehen, dass es Julian Kamp genau so haben will. Zum Schluss kehren die Gedanken ohnehin noch einmal zum Spieler zurück, um den es an diesem Abend voller Gänsehaut-Momente geht. „Julian fehlt uns als Mensch, nicht nur als Spieler.“ Dass es die Aufstellungen nur auf einem wie hastig hingekritzelten Blatt Papier der Sorte Einkaufszettel gibt und das Ein-Mann-Kampfgericht sonst nicht durchgehen würde? Geschenkt. 

OSC Rheinhausen: Steffel, Puhle, Heesen – Schwarz, Kolski, Y. Kamp (4), Krumschmidt (3), Kryzun (6/6), Ranftler (5), F. Molsner (2), M. Molsner (1), Bernhardt (2), Rennings (1), J. Kamp, Brakelmann (1), Enders (4), Singh Toor.