25. November 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Hin und wieder taucht die Frage auf, was denn unter dem besten Handballer-Alter zu verstehen sei. Zu jung darf der Kandidat nicht sein, weil ihm dann vielleicht jenes Maß an Erfahrung fehlt, das sich erst mit den Jahren einstellt. Zu alt darf er aber auch nicht sein, weil dann die körperliche Leistungsfähigkeit überschritten sein könnte. Wie wäre es mit Mitte bis Ende 20? Warum nicht. In Wirklichkeit müssen wir doch nur ins Oberbergische schauen, wo ein Österreicher gerade seinen dritten (oder vierten?) Frühling erlebt. Da legen wir uns einfach fest: 36 Jahre müssen es sein. Janko Bozovic zeigt beim Zweitliga-Tabellenführer VfL gerade besonders eindrucksvoll, dass 36 vielleicht das neue 25 ist. Seine Formel könnte auch lauten: „Für immer jung.“ Dass die Gummersbacher mit 20:4 Punkten auf Platz eins stehen, haben sie einer auf viele Schultern verteilten Teamleistung zu verdanken – und der oft genug herausragenden Form ihres erfahrenen Linkshänders, der mit 74 Treffern die Nummer fünf in der Torschützenliste der 2. Bundesliga ist und die interne des VfL vor Linksaußen Hakon Styrmisson (57) anführt. Wir könnten Bozovic einen neuen Titel vorschlagen: „Daddy Cool.“ Daddy, weil er theoretisch der Vater des einen oder anderen jüngeren Spielers aus dem Gummersbacher Kader sein könnte: Ole Pregler, Julius Fanger und Mathis Häseler sind erst 19. Cool, weil er im Spiel oft eine an eisige Kälte erinnernde Ruhe ausstrahlt. Manche Gegenspieler werden deshalb zusammenzucken, wenn sie von Jankos Plänen hören: „Ich fühle mich noch ziemlich jung, ich will noch ein paar Jahre spielen.“
Wann immer Janko Bozovic zum Siebenmeter an die Linie tritt und womöglich von einer lauten bis sehr lauten Halle begleitet wird, dürfen sich die Gummersbacher eigentlich zurücklehnen: Der da vorne macht das schon (meistens jedenfalls). Wenn wenn ein Spiel auf der Kippe steht, fällt dem Linkshänder ebenfalls oft genug eine passende Lösung ein – wie unter anderem, aber nicht nur am 17. Oktober im Spiel bei seinem früheren Verein TV Emsdetten. Der VfL, klarer Favorit, liegt in der 49. Minute mit 15:19 hinten, ehe er sich heranrobbt. Nach dem 22:22 (57.) fällt zuerst kein weiteres Tor, ehe die Gummersbacher ihre letzte Auszeit nehmen. Am Ende erkennt Bozovic die Situation, geht den weiten Weg von seiner angestammten rechten Seite nach links und vollendet acht Sekunden vor der Schluss-Sirene zum entscheidenden 23:22. Die lange drohende Niederlage ist auf den letzten Drücker zu einem Erfolg geworden.
Natürlich sind solche Szenen für den Handballer Bozovic eine Genugtuung, weil sie seinen Wert für Gummersbach unterstreichen. Trotzdem geht er als echter Teamplayer durch, der sich gerne in den Dienst der anderen stellt – und zur Not über 60 Minuten draußen bleibt, damit andere (jüngere) ihre notwendige Praxis sammeln können. „Für mich ist wichtig, immer das Beste zu geben und der Mannschaft zu helfen“, sagt der Wahl-Gummersbacher, der in Montenegro geboren wurde und mit den Eltern als Dreijähriger nach Österreich kam – dessen Staatsbürgerschaft die Familie annahm. Der kleine und später etwas größere Janko (2,03 Meter) hatte ein perfektes handballerisches Vorbild – denn seine Mutter Stanka war ebenfalls Handballerin aus Leidenschaft und österreichische Nationalspielerin. Trotzdem hatte Janko, dessen Vater sein Geld einst als Fußball-Profi verdiente, vergleichsweise sehr lange nichts mit einer eigenen Handball-Karriere zu tun. Erst als 16-Jähriger beschloss er, umzusatteln: „Ich habe bis zu meinem 17. Lebensjahr Tennis gespielt.“ Diesen weitreichenden Entschluss wird keiner bereut haben – der Spieler nicht, die Familie nicht, der jeweilige Verein nicht.
Das Potenzial von Bozovic führte ihn über Wien (2001 bis 2006) und Norwegen nach Spanien, ehe er 2007 zu den Füchsen Berlin nach Deutschland kam, sich dort jedoch nicht durchsetzen konnte. Zweimal stand der Rückraumspieler später beim TV Emsdetten unter Vertrag (2011 bis 2014, 2018 bis 2019), mit dem er auch in der 1. Bundesliga unterwegs war. Vor zweieinhalb Jahren kam das Gummersbacher Angebot – das der weit herumgekommene Profi weder ablehnen konnte noch wollte. „Der VfL ist einer der ganz großen Vereine. Es ist mir eine Ehre, für ihn zu spielen“, sagt Janko Bozovic, der ebenso gerne dem Ruf des österreichischen Handball-Verbandes folgt. Dass er vor ein paar Monaten für die vergangenen EM-Qualifikation und die Weltmeisterschaft absagen musste (Einriss der Achillessehne), ärgert ihn bis heute, zumal die Verletzung wohl einer der Gründe dafür war, dass die vergangene Saison nicht nach Wunsch lief. Der VfL verpasste den Aufstieg in die Bundesliga knapp und Bozovic fand seine persönliche Ausbeute unter dem Strich nicht begeisternd.
Der Plan für die kommenden Wochen und Monate ist damit klar: „Es ist mein großes Ziel, mit dem VfL in die Bundesliga aufzusteigen. Und ich bin mir sicher, dass wir es schaffen können.“ Einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zurück in die höchste deutsche Klasse könnte Gummersbach (20:4 Punkte) am Samstagabend ab 19.30 Uhr überwinden, denn er tritt zum Spitzenspiel beim Zweiten HSG Nordhorn-Lingen an (18:6). Einfache Rechnung: Gewinnt das Team von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson, setzt es sich vorerst ein Stück von einem der wohl härtesten Konkurrenten im Kampf um den Aufstieg ab. Auch nicht schwierig: Verliert Gummersbach, rücken die anderen auf – neben Nordhorn vielleicht der TV Hüttenberg oder der VfL Eintracht Hagen (beide 17:7) und der ASV Hamm-Westfalen (16:6). Bozovic weiß, dass der auswärts bisher selten meisterliche VfL eine klare Steigerung braucht, gerade im Vergleich zum jüngsten 36:40 in Hagen: „Wir müssen viel aggressiver spielen.“ Wie das geht, hat der VfL bisher vorwiegend in eigener Halle gezeigt – zuletzt beim 29:23 über TuSEM Essen (mit zehn Bozovic-Toren) und beim 37:23 über den chancenlosen EHV Aue. Der Ausreißer nach oben in einem Auswärtsspiel war das 31:26 vom 12. November in Hamm. Vielleicht taugt dieser Auftritt (mit neun Bozovic-Toren) aus Gummersbacher Sicht sogar als Blaupause für die höchste Anforderungen stellende Aufgabe in Nordhorn-Lingen.
Beim Blick über das Ende dieser Saison hinaus wünscht sich Janko Bozovic vor allen Dingen, dass der VfL wieder in der Bundesliga auf die Top-Klubs wie THW Kiel, SG Flensburg-Handewitt oder SC Magdeburg trifft. Ob das Ganze mit dem Spieler Janko Bozovic stattfindet, der sich mit seine Familie im Oberbergischen sehr wohlfühlt? Um die Antwort werden sich die Beteiligten demnächst kümmern (müssen), weil der aktuelle Vertrag des 36-Jährigen im Sommer 2022 ausläuft. Für die Zeit nach der Handballer-Karriere, deren Ende allerdings zurzeit keineswegs in Sicht ist, gibt es im Hause Bozovic ebenfalls die eine oder andere Idee. Trainer? Da sieht sich Janko Bozovic eher nicht – ohne es kategorisch auszuschließen. Bis zu einer Entscheidung bleibt ja sowieso ausreichend Zeit. Und ausreichend Arbeit. Vielleicht bekommt der jüngste 36-Jährige der 2. Bundesliga schon am Samstag wieder die Gelegenheit, an die Siebenmeter-Linie zu gehen oder dem Team mit einfachen Toren aus dem Rückraum zu helfen. Eiskalt in der heißen Atmosphäre von Nordhorn: Das könnte zu Janko Bozovic passen.
Im Schatten des Zweitliga-Krachers zwischen der HSG Nordhorn-Lingen und dem VfL Gummersbach droht in den Hintergrund zu geraten, dass der mit vier Siegen und 8:0 Zählern in die Saison gestartete Bundesliga-Absteiger TuSEM Essen gegen den VfL Lübeck-Schwartau (Elfter/10:12 Punkte) ebenfalls vor einer wichtigen Aufgabe steht. Die vergangenen drei Niederlagen beim VfL Gummersbach (23:29), gegen den VfL Eintracht Hagen (28:29) und gegen die HSG Nordhorn-Lingen (24:33) haben Trainer Jamal Naji selbstredend überhaupt nicht gefallen, aber der Coach glaubt fest an die Lernfähigkeit seiner Mannschaft: „Sie ist unheimlich selbstreflektiert.“ Soll in der Übersetzung heißen, dass die Essener allgemein keine Aushilfs-Erklärungen wie möglicherweise immer wieder auftauchende personelle Probleme suchen, sondern lieber mit der Analyse der eigenen Leistung beginnen und daraus die nötigen Schlüsse ziehen. Tabellarische Tatsache ist auf der anderen Seite, dass der TuSEM mit aktuell 13:9 Zählern von Platz sieben aus nur dann den Anschluss nach oben hält, wenn er jetzt wieder zwei Zähler aufs Konto überweisen kann. Mit 15:9 Punkten ließe sich das herausfordernde Dezember-Programm mit weiteren sieben Aufgaben bis zum Abschluss des Jahres am 26. Dezember gegen den HC Empor Rostock deutlich gelassener angehen.
Die Essener Gedanken, ob Rang sieben besonders zufriedenstellend ist, hätten sie beim TSV Bayer Dormagen gerne – weil das Team von Trainer Dusko Bilanovic nach fünf Niederlagen in Folge bei 4:14 Zählern und auf Rang 19 (Vorletzter) steht. „Wir sind voll im Abstiegskampf angekommen“, betont Bilanovic ein, der die Mannschaft gleichzeitig in Schutz nimmt: „An der Einstellung der Spieler liegt es nicht, sie wollen.“ In erster Linie kommen die Dormagener nicht vom Fleck, weil ihnen eine nicht enden wollende personelle Pechsträhne zu schaffen macht. So stand zuletzt ein völlig neues Torhüter-Duo auf dem Spielbericht: Joonas Klama, kurzfristig ausgeliehen vom Bergischen HC, und Matthias Broy aus der eigenen zweiten Mannschaft. Fest steht, dass die beiden keine Schuld an der enttäuschenden 26:36-Pleite beim TV Growallstadt traf. Fest steht ebenso, dass die sonstigen Keeper Martin Juzbasic (krank) und Ole Christian Simonsen (verletzt) gegen den Zwölften TV Emsdetten (9:13) ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. Jetzt sind auch noch Ian Hüter und André Meuser angeschlagen, auf die der TSV Bayer im Grunde nicht verzichten kann. Da bleibt bis zum Anpfiff immerhin das Prinzip Hoffnung – und den Gastgebern wenig anderes übrig, als kämpferisch alles in die Waagschale zu werfen. Am Ende würden sie ausnahmsweise sogar mal das nehmen, was in die Kategorie „dreckiger Sieg“ aus der Kategorie besonders glücklich gehört.