2. Bundesliga
Dormagen in der zweiten Hälfte wie ein Absteiger
TSV Bayer verliert nach 12:10 zur Pause bis zum 13:22 komplett den Faden und die Partie in Dresden am Ende verdient mit 23:26.

Gefangener: Christian Ole Simonsen, der im Laufe der zweiten Halbzeit den Torhüter-Kollegen Martin Juzbasic zwischen den Pfosten ablöste und einige starke Paraden zeigte, steckt mit den dem TSV Bayer Dormagen im Keller der Tabelle fest. (Foto: Thomas Schmidt)

HC Elbflorenz Dresden – TSV Bayer Dormagen 26:23 (10:12). Die Dormagener hatten – wie immer – angekündigt, dass sie alles geben und das Maximum aus ihren zurzeit vorhandenen Möglichkeiten herausholen wollen. In der Regel pflegtedie Mannschaft von Trainer Dusko Bilanovic ihre Versprechen auch zu halten. Falls aber das gilt, was in der Ballsport-Arena Dresden zwischen der 31. und 48. Minute passierte, wird aus dem Kampf um den Klassenerhalt für den TSV Bayer vor allem eins – nichts. Da wurde aus einer hart erarbeiteten 12:10-Pausenführung gegen schlafmützig und einfallslos wirkende Hausherren ein praktisch uneinholbarer 13:22-Rückstand. Wohl noch nie im Laufe dieser schwierigen Saison wirkte Dormagen derart neben sich: Während Dresden nun beherzt zupackte und fast alle Chancen (die ihnen die Gäste oft schenkten) konsequent nutzte, ging beim TSV gar nichts mehr – kein Druck in der Abwehr, kein Druck im Angriff, keine Gegenwehr. Dass die Partie auf der Zielgeraden wieder ausgeglichener lief und letztlich ein halbwegs erträgliches Resultat heraussprang, war unter dem Strich lediglich etwas Ergebnis-Kosmetik. Die Dormagener sind mit 6:22 Punkten weiter Vorletzter und unverändert sechs Zähler vom rettenden Ufer entfernt (DJK Rimpar Wölfe/12:20). Auf der zweiten Etappe der Dienstreise nach Sachsen ist am Samstag beim Vorletzten EHV Eue (8:24) ein Erfolg fast schon Pflicht. Sollte dort nichts Zählbares herausspringen, wird der TSV Bayer Dormagen mit echter Abstiegsangst im Bus die Heimreise antreten müssen.

Eine Halbzeit lang durfte Bilanovic davon ausgehen, dass sein Team auf dem richtigen Weg war – weil Keeper Martin Juzbasic mit einer Quote abgewehrter Bälle von mehr als 37 Prozent viel Sicherheit gab, weil der Angriff angesichts überschaubarer personeller Ressourcen ruhig aufbaute und zu richtigen Zeitpunkten seine Wirkung entfaltete. Das traf in erster Linie auf Ante Grbavac zu (fünf Treffer vor der Pause), den Dresden kaum kontrollieren konnte, und Benjamin Richter vom Drittligisten Longericher SC bis zum Jahresende zurückgeliehen, gab der Offensive die nötige Struktur. Beim 6:4 (10.) durch Grbavac sah es zum ersten Mal gut aus für Dormagen, das die wilde Phase bis zum 6:7 (12.) und die folgende Flaute auf beiden Seiten mit dem 7:7 (17.) durch Richter beantworten konnte. Nach Richters 9:8 (20.) ließen Aron Seesing (20.) und Jan Reimer (21.) kurz hintereinander frei vor Dresdens Torhüter Max Mohs beste Gelegenheiten aus, doch die Großzügigkeit wurde nicht wirklich teuer – im Gegenteil. Weder beim Stande von 12:9 (27.) von Zurga nach dem Richter-Pass noch beim 12:10 (30.) deutete irgendwas auf das spätere Desaster hin.

Falls Bilanovic sich selbst, das Trainerteam und die Mannschaft bestrafen will, braucht er bloß das Video-Studium der zweiten Halbzeit auf die Tagesordnung zu setzen. Die Anzahl der technischen Fehler, der brotlose Wurfversuche – extrem. Nicht mal der von Christian Ole Simonsen abgewehrte Siebenmeter beim 12:13 (35.) holte Dormagen in die Partie zurück, auch die Auszeit direkt nach dem 12:15 (37.) brachte wenig. Dann kassierte der TSV nach dem 13:17 (42.) schnell zwei weitere Gegentore zum 13:19 (44.) und Bilanovic beantragte seine letzte Auszeit. Die blieb erneut ohne große Wirkung, denn es folgte sofort der nächste Ballverlust – den Elbflorenz nicht zu nutzen wusste. Bis zum 13:22 (48.) dauerte die traurige Vorstellung der Gäste, die in dieser quälend langen Phase wie ein sicherer Absteiger aussahen. Falls es etwas Tröstendes für die Weiterreise nach Aue gab, waren es jetzt diese drei Punkte: Dormagen zerfiel nicht vollständig in seine Einzelteile, die Kooperation zwischen Benjamin Richter und dem nun auf Linksaußen eingesetzten Rückraumspieler Moritz Köster aus der eigenen A-Jugend klappte sehr vernünftig, und die Dormagener ließen hin und wieder aufblitzen, dass doch beachtliches spielerisches Potenzial in ihnen steckt. Beispiel war der von Jakub Sterba per Kempatrick erzielte Treffer zum 14:22 (49.), als alles längst gelaufen war.

Bilanovic redete hinterher natürlich nicht an den Tatsachen vorbei: „Die ersten 17 Minuten der zweiten Halbzeit waren eine Katastrophe. Wir sind lahm aus der Kabine gekommen, das war gar nichts.“ Den Stab komplett über die Mannschaft brechen wollte er auf der anderen Seite allerdings auch nicht: „Kein Vorwurf, die Jungs haben alles versucht. In der ersten Halbzeit haben wir ohne technische Fehler und sehr diszipliniert gespielt. Wir haben sehr aggressiv gedeckt und gezeigt, dass wir aus unseren Möglichkeiten viel machen können und zu was wir in der Lage sind. Ich hatte am Ende das Gefühl, dass wir da etwas mitnehmen können.“ Dass von diesem guten Gefühl rasch nichts mehr übrig war, tat dem Dormagener Coach richtig weh – zumal er mit der Mannschaft zu leiden pflegt. Das Beste am trüben Abend in der gespenstisch leeren Halle (keine Zuschauer zugelassen) steht im Terminkalender: Die für den weiteren Abstiegskampf zentral wichtige Aufgabe in Aue folgt bereits in zwei Tagen, sodass kaum Zeit zum längeren Grübeln bleibt. „Wir müssen Dresden abhaken“, sagt Bilanovic, „das wird wieder ganz schwer, denn die kämpfen auch ums Überleben.“ Das Dormagener Versprechen, nichts unversucht zu lassen, steht wieder. Es müsste bloß über 60 Minuten halten.

TSV Bayer Dormagen: Juzbasic, Klama, Simonsen – Meuser (1), Köster (3), Biernacki (1), Reimer (1/1), Richter (4), Zurga (1), P. Hüter, Sterba (3), Grbavac (6/1), Seesing (3).