28. Januar 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Die Definition im Duden trifft den Nagel auf den Kopf. Dort stehen für surreal die Erklärungen traumhaft-unwirklich. Auch wundersam und übernatürlich kommen als verwandte Begriffe vor. Alles zusammen ist tatsächlich im Moment die Tabellenspitze in der 3. Liga. Wer vorhergesehen hätte, wie es dort gerade aussieht, und dann rechtzeitig in einem Wettbüro ein paar Euro gesetzt hätte (rein theoretisch natürlich, weil das in der Realität nicht möglich ist), wäre heute ein vermögender Mann oder eine vermögende Frau. Die erste Mannschaft der im Jahr 1923 gegründeten Handball-Abteilung im Turn- und Sportverein von 1882 Opladen stellt gerade die Handball-Welt auf den Kopf, sie ignoriert Vorhersagen und schert sich nicht darum, dass sie da ganz oben vielleicht die viel höheren Pläne anderer zu durchkreuzen in der Lage ist. Im Gegenteil: Die Opladener fühlen sich sauwohl im aktuellen Stand der Dinge, der sie mit 25:5 Punkten nahezu als Sensations-Tabellenführer ausweist – vor der punktgleichen HGS Krefeld Niederrhein, die ebenso wie der Dritte SG Schalksmühle-Halver Dragons (24:4) nicht erst mittelfristig, sondern lieber gestern als heute den Aufstieg in die 2. Liga schaffen will. Opladen kommt mit bescheideneren Mitteln praktisch aus einer anderen Welt in den Bereichen Struktur und Finanzen – aber offensichtlich nicht im Bereich des rein Sportlichen. Deshalb fiebern sie in Opladen dem Samstag entgegen, an dem die Bielerthalle ab 19.30 Uhr aus ihrer Sicht im Idealfall wieder zur „Bielerthölle“ werden soll – damit sich das Gipfeltreffen mit den Krefeldern zu einem Handball-Fest entwickelte.
Daran wären die Eagles ebenfalls sehr gerne beteiligt – wobei ihnen verständlicherweise ein anderes Ergebnis vorschwebt als den Hausherren. HSG-Coach Maik Pallach hat zunächst richtig viel Respekt vor dem TuS 82: „Opladen spielt eine herausragende Runde, sie rufen eine tolle Mannschaftsleistung ab. In jedem Spiel, das ich bisher gesehen habe, kommen sie übers Kollektiv. Es kommt ganz, ganz viel Arbeit auf uns zu. Nichtsdestotrotz gucken wir natürlich auf uns.“ Dabei geht Pallach fest davon aus, dass die ziemlich grausame erste Halbzeit (16:20) vom 33:33 gegen den GSV Eintracht Baunatal eine Ausnahme bleiben wird. „Gerade die zweite Halbzeit zeigt, wie viel Charakter mein Team hat. Der Schwerpunkt ist in dieser Woche eher bei uns und es geht darum, was wir wie besser machen müssen, damit wir am Ende auch in Opladen als Sieger vom Platz gehen. Wir freuen uns alle sehr auf dieses Spiel. Wir freuen uns darauf, dass wir zeigen können, warum wir eigentlich die beste Mannschaft in der Liga sind.“ Damit meint er selbstredend nicht das Feld aller 82 Klubs in sieben Gruppen, sondern in erster Linie den Vergleich mit den anderen in der Gruppe D – aus der sich ebenfalls zwei Teams für die Aufstiegsrunde qualifizieren, in der sich ab dem 27. März insgesamt 14 Mannschaften in zwei Gruppen um die (lediglich zwei) Tickets für die 2. Liga bewerben
Trainer Voigt hätte – wie alle Opladener – jeden für komplett realitätsfern gehalten, der die aktuelle Lage vor der Saison nur im Ansatz für denkbar gehalten hätte. Diese Frage wäre ihm in den Sinn gekommen: „Was rauchst du denn?“ Gleichzeitig ist es auf der anderen Seite selbstverständlich so, dass der TuS 82 den Stand der Dinge in vollen Zügen genießt – und gleichzeitig darauf verzichtet, daraus ganz besondere Ansprüche abzuleiten. „Ich glaube, wir sind im Soll“, sagt Voigt – was auf den ersten Blick eine maßlose Untertreibung ist. Auf den zweiten lässt sich aus der wirklich nicht ganz ernst gemeinten Zurückhaltung zumindest ein Korn Wahrheit ableiten, weil auf den aktuellen Tabellenführer bis zum Ende der Normalrunde ein happiges Programm zukommt. Nach Krefeld warten das Derby bei den Bergischen Panthern (Fünfter/11. Februar) sowie die Spiele gegen den GSV Eintracht Baunatal (Sechster/19. Februar), beim VfL Gummersbach II (Siebter/27. Februar) und bei den SG Schalksmühle-Halver Dragons (5. März). Das ist dann ganz bestimmt die andere Seite der Medaille: Die fünf Aufgaben sind schwierig – im Paket so schwierig, dass die eine oder andere Niederlage passieren kann. Gerade deshalb ist die aktuelle Tabellenführung für den TuS 82 ein Hochgenuss – weil der Vorsprung nach hinten so groß aussieht. Da sagen die 25:5 Punkte vor allem, dass mindestens der rettende Rang sechs bereits unter Dach und Fach ist. Opladen hat den sicheren Klassenerhalt vorzeitig in der Tasche. Auch das ist ein Stück weit surreal.
Zusätzlicher Anreiz für den Außenseiter fürs jetzige Gipfeltreffen ist im Übrigen die 24:30-Niederlage aus der Hinrunde in Krefeld. „Da haben wir Lehrgeld bezahlt“, sagt Voigt im Rückblick, „jetzt wollen wir es besser machen. Unser Ziel ist es immer, ein Heimspiel zu gewinnen und es jedem Gegner schwer zu machen.“ Dass für einen Erfolg so gut wie alle Puzzleteile schnell an den richtigen Platz fallen müssen, ist ihm sowieso klar. Ein bisschen größer sieht er die Aussichten mit einem vollständigen Kader: „Wir sind nicht chancenlos, wenn wir komplett sind.“ Dass eine kompakte Abwehr mit starken Torhütern die Basis bilden soll, ist klar – was Kollege Pallach aus einer Sicht sofort unterschreiben kann. Fazit: Es dürfte ein spannender Abend werden. Im Moment fühlen sich die Opladener fast wie jene Gallier, die sich gegen eine römische Übermacht zur Wehr setzen wollen. Oder wie David, der in den Kampf gegen den unbezwingbar scheinenden Goliath zieht.
Im Schatten des Duells zwischen den Opladenern und den Krefeldern steht eine andere Paarung, die trotzdem ein Spitzenspiel ist – denn der Dritte Schalksmühle trifft auf den Vierten Longericher SC (18:12 Punkte). Dessen imponierende Serie von neun Siegen hintereinander endete zwar vor Kurzem (27:30 gegen den GSV Eintracht Baunatal, 29:34 gegen Opladen) und die Mannschaft von Trainer Chris Stark hat inzwischen doch keine Chance mehr, in den Kampf ganz oben einzugreifen, aber die Kölner wollen ihrem eigenen Selbstverständnis entsprechend den Rest der Saison voll durchziehen und zumindest den vierten Rang ins Ziel bringen. Die Aussichten dafür sind gut, weil es der LSC nach der hohen Hürde Schalksmühle überwiegend mit Kontrahenten zu tun bekommt, die bereits als Teilnehmer an der Abstiegsrunde feststehen. Bei der SG Menden Sauerland Wölfe (Zehnter/19. Februar), beim TuS Volmetal (Neunter/23. Februar), bei der ESG Gensungen/Felsberg (Elfter/5. März) und gegen TuSEM Essen II (Achter/12. März) gibt es wohl ebenfalls keine Geschenke, aber bestimmt ordentliche Aussichten auf den einen oder anderen weiteren Punkt.
Spielfrei sind die Essener, die sich längst auf das Nachsitzen in der Abstiegsrunde eingerichtet haben und deren ursprünglich für Samstag angesetzte Partie beim inzwischen zurückgezogenen Leichlinger TV ausfällt, und die Bergischen Panther. Das Team von Trainer Marcel Mutz tritt erst am 5. Februar in Baunatal an – zu einer Partie, deren Ausgang für die Vergabe der ersten sechs Plätze und damit den direkten Klassenerhalt nicht unwichtig sein wird. Derzeit teilen sich die Panther (besseres Torverhältnis) und der GSV mit jeweils 17:13 Zählern den begehrten Rang sechs, an dem der Siebte VfL Gummersbach II (13:15) ähnlich intensiv interessiert ist. Gewinnt die VfL-Zweite nun – was keine Sensation wäre – gegen den Neunten Volmetal, stünde sie bei 15:15 Zählern und für den Rest der Saison wäre noch mehr Spannung da.