27. Februar 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Auf den ersten Blick sind sie Nachbarn und die gut 70 Kilometer, die zwischen dem TSV Bayer Dormagen und dem VfL Gummersbach liegen, keine nennenswerte Distanz in einer Klasse, deren Vereine über ganz Deutschland verteilt sind. Auf den zweiten Blick sind die zum Mittelrhein gehörenden Klubs allerdings in sportlich komplett anderen Welten unterwegs: Gummersbach, der Tabellenführer, strebt mit 34:10 Punkten die Rückkehr in die 1. Bundesliga an, während Dormagen, der Tabellenletzte, bei 12:32 Punkten mit dem Abstieg in die 3. Liga rechnen muss. Die Frage, wer da am Freitagabend im direkten Duell im Bayer-Sportcenter als Favorit gilt, beantwortet sich von selbst. Und dann ist sowieso jeder sich selbst der Nächste, denn die eigenen Ziele stehen im Vordergrund. Die Gummersbacher werden alles dafür geben, um ihre hohen Ambitionen zu festigen und eine Blamage – was eine Niederlage sicher wäre – zu vermeiden. Die Dormagener werden alles dafür geben, dass ihnen eine Überraschung gelingt – die sie irgendwann sowieso und nicht nur einmal brauchen, weil der Kampf gegen den Abstieg ohne unerwartete Erfolge kaum zu gewinnen ist. Vorher werden sie beim TSV Bayer allerdings massiv dem Spitzenreiter die Daumen drücken, denn Gummersbach trifft am Rosenmontagabend auf den TV Großwallstadt. Das ist jener Traditionsklub, der zurzeit in der 2. Bundesliga mit 15:29 Punkten und Rang 17 das rettende Ufer markiert. Und natürlich fände es ganz Dormagen gut, wenn der TVG nach dem Auftritt im Oberbergischen mit 15:31 Zählern weitermacht und nicht etwa mit 16:3o oder mit 17:29.
Vorteil für den Tabellenletzten: Die Gummersbacher, die aus ihren bisher elf Heimspielen makellose 22:0 Punkte einfuhren, können und wollen sich einen Ausrutscher nicht leisten. Gewarnt sein müsste die Mannschaft von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson, weil sie vor fast genau einem Jahr am 17. Februar 2021 in der Schwalbe-Arena mit 28:29 gegen Großwallstadt verlor – und damit zwei Punkte, die am Ende im Kampf um die Meisterschaft fehlten. Auf der anderen Seite hat der VfL in der Saison 2021/2022 aus der Hinrunde vom 2. Oktober 2021 einen 32:24-Erfolg beim TVG vorzuweisen. Bester Werfer damals: Linksaußen Hakon Styrmisson, der es auf zehn Treffer brachte und nun ebenso verletzt fehlt (Kreuzbandriss) wie der seinerzeit dreimal erfolgreiche Janko Bozovic (Ellbogen). In seinem wie in anderen Fällen hielten es die Gummersbacher ja für richtig, die Zusammenarbeit nach dieser Saison zu beenden: Mit Bozovic (36) sollen in Timm Schneider (33) und Raul Santos (29) zwei ebenfalls sehr erfahrene Kräfte gehen – und der Verein hielt es für passend, die Trennungen zu einem Zeitpunkt bekanntzumachen, da die Saison in ihr letztes Drittel einzubiegen beginnt. Den Verein verlassen werden zudem Torhüter Diogo Valerio (23) und – besonders überraschend – Fynn Herzig (23), ein klassisches Eigengewächs. Ob die personellen Pläne hilfreich sind oder ob sie dem VfL vielleicht auf die Füße fallen, dürfte sich bald zeigen.
Dass der TSV Bayer Dormagen in dieser Saison viel Glück hat, kann keiner behaupten. Personelle Probleme jeglicher Art hatte im vergangenen Jahr bereits der frühere Trainer Dusko Bilanovic, der dann im Januar 2022 mitten in der Meisterschaftspause (Europameisterschaft) den Stuhl vor die Tür gesetzt bekam. Der vom Co-Trainer zum Chefcoach beförderte Peer Pütz als Kopf eines Trainerteams sah zuerst einen anständigen Auftritt und eine 23:25-Niederlage bei den Eulen Ludwigshafen sowie ein 24:34-Heimdebakel gegen den ASV Hamm-Westfalen. Anschließend überraschte Dormagen mit dem 29:27 bei der SG BBM Bietigheim (erster Auswärtssieg in dieser Saison) und erreichte gegen den HSC Coburg ein 23:23 – was sich nicht begeisternd anfühlte. Drei Tage danach stieg der Stresspegel erneut, weil bei Pütz vor der Fahrt zur Partie bei der DJK Rimpar Wölfe ein positiver Coronatest vorlag. Folge: Der Trainer musste zu Hause bleiben und das Geschehen am Bildschirm erleben – und erleiden, denn die Dormagener verloren hoch mit 22:31 und wirkten vor allen Dingen in der ersten Halbzeit (9:16) von allen guten Geistern verlassen. Die Vorstellung war unter dem Strich nicht zweitliga-tauglich.
Viel Gelegenheit, über alles nachzudenken, bleibt dem erneut ans Ende der Tabelle abgerutschten Team jetzt nicht und Pütz-Vertreter/-Mitstreiter David Röhrig wird wohl in erster Linie so etwas wie Aufbauarbeit leisten müssen. „Es wäre sicher nicht zielführend, draufzuhauen“, sagt Röhrig, „die Jungs sind auch selbstkritisch. Und keiner macht das absichtlich.“ Was seiner Ansicht nach bleibt, begann bereits am Sonntag, weniger als 24 Stunden nach dem Auftritt in Rimpar: Während die Mannschaft zur Regeneration frei hatte, zerlegten Peer Pütz und Röhrig die Eisenacher im Online-Video-Studium so weit wie möglich in einzelne Bestandteile, um ihr Team möglichst gut einstimmen zu können: „Uns bleibt nur die maximal intensive Vorbereitung. Nur das können wir beeinflussen.“ Wunder erwartet David Röhrig nicht, wohl aber eine Steigerung und eine deutliche Reduzierung der Mängelliste. Besonders gravierend und bei Fortsetzung mit einer eindeutigen Konsequenz versehen: „Wir hatten in Rimpar 23 Fehlwürfe. Wenn wir noch 16 Mal so spielen, wird es nicht reichen.“
Es ist unabhängig von allen personellen Problemen oder sonstigen Widrigkeiten eine Tatsache, dass sich Dormagen am Dienstagabend im Nachholspiel (vom zehnten Spieltag) gegen den ThSV Eisenach grundsätzlich keine Niederlage erlauben kann. Die Gäste aus Thüringen, die sich auf Rang 13 mit 19:23 Punkten selbst nicht in einer Komfortzone aufhalten, überraschten kürzlich immerhin mit einem 34:32-Erfolg über den Fünften VfL Eintracht Hagen und sie werden nun nichts zu verschenken haben. Der TSV Bayer braucht trotzdem einen Erfolg, um das Konto in der Zeitrechnung nach Bilanovic wenigstens auf 5:7 Punkte zu stellen. Aktuell sind es nach fünf Partien 3:7 – und bei 3:9 hätte sich an der allgemeinen Lage mal überhaupt nichts geändert. Und dann kommt am Freitag Gummersbach, auf dessen Hilfe die Dormagener zuerst bauen (müssen).