Oberliga Mittelrhein
Kölner „Wahn-Sinn“: Der TV Jahn ist wieder da
Der Verein zog sich vor zwei Jahren für eine Neu-Ausrichtung aus der Regionalliga zurück und ist jetzt Verbandsligist. Er hat er schriftlich, dass er auf jeden Fall aufsteigen wird.

Da simmer dabei! Torben Rückriem und der TV Jahn Köln-Wahn freuen sich riesig auf die nächste Saison in der Oberliga Mittelrhein. (Foto: Frank Nürnberger)

Es ist eine ungewöhnliche Geschichte, die so nicht überall vorkommen kann. Und sie ist in des Wortes wahrster Bedeutung ein „Wahn-Sinn“, weil sie für den TV Jahn Köln-Wahn sicher Sinn ergibt. Viel Sinn sogar. Denn der einstige Regionalligist, der sich im Frühjahr 2020 für einen personellen Neu-Aufbau mehr oder weniger freiwillig aus der vierthöchsten deutschen Klasse verabschiedete, wird in der Saison 2022/2023 auf jeden Fall zumindest wieder in die Oberliga zurückkehren. Der Verein hat sich vom Verband kürzlich noch einmal schriftlich bestätigen lassen, was vor ungefähr einem Jahr als eine Art „kölsche Lösung“ auf dem Tisch lag. Wahn, das in der Verbandsliga nach wie vor die II hinter dem Namen trägt, geht mit 9:5 Punkten als Dritter der Normalrunde/Hinrunde in der Verbandsliga hinter dem Stolberger SV (10:4) und dem TuS Königsdorf (9:5) in die Aufstiegsrunde. Damit wird erst in den kommenden Wochen final ermittelt, wer die beiden offiziell zum Aufstieg berechtigenden Plätze belegt. Ob es die Wahner sein werden? Möglich. Obwohl die Kölner die beiden bisherigen Spiele gegen die Titelkonkurrenten verloren haben (24:32 gegen Königsdorf, 23:33 in Stolberg). Dabei könnte ihnen gleichgültig sein, wie sich die Dinge demnächst entwickeln. Aber die Wahner haben ihren eigenen Ehrgeiz. Falls es sich ergibt, wollen sie liebend gerne zugreifen und vor den anderen über die Ziellinie kommen.

Das ganze Abenteuer beginnt mit der Saison 2019/2020, die ab März 2020 zunehmend im Zeichen der Corona-Pandemie steht. Der TV Jahn Köln-Wahn verliert am 7. März zu Hause mit 27:30 gegen die HSG Siebengebirge – und ahnt hier vielleicht schon, dass es sein vorerst letzte Spiel in der Regionalliga war. Immerhin: Als die Saison später offiziell abgebrochen wird, steht das damals von Olaf Mast trainierte Team mit 13:25 Punkten als Zwölfter auf einem Nicht-Abstiegsplatz. Was gleichzeitig längst feststeht: Mast und Kapitän Gregor Pohl würden in der neuen Saison nicht mehr an Bord sein. Zum bevorstehenden personellen Umbruch kommen aus der Sicht der Verantwortlichen weitere Themenfelder wie mögliche finanzielle Probleme bei Sponsoren, Einnahmeausfälle durch fehlende Zuschauer sowie vermutlich Mehrkosten durch die Umsetzung der Hygienekonzepte. In der Addition aller einzelnen Bausteine stand der Rückzug für die Wahner als einzige tragfähige Alternative im Raum. „Wir werden auch in Zukunft sportlich ambitioniert und voller Tatendrang arbeiten, wenn auch vorerst in einer vergleichsweise etwas tieferen Liga“, sagte Abteilungsleiter Tobias Carspecken seinerzeit. Gemeint war: Die eigene zweite Mannschaft soll in der Saison darauf in der Verbandsliga unter veränderten Voraussetzungen praktisch als umstrukturierte erste Mannschaft an den Start gehen.

Sprechzeit: Abteilungsleiter Tobias Carspecken sieht sich im Weg bestätigt, den die Wahner vor rund zwei Jahren eingeschlagen haben. (Foto: Frank Nürnberger)

Es gab einen Haken: Weil der Rückzug „oben“ nach dem offiziellen Meldeschluss erfolgte, wäre der TV Jahn in die Regionalliga einsortiert gewesen – und dort direkt der erste Absteiger. Das fanden die Kölner zumindest seltsam, weil ja alle Verbände nach dem Abbruch der Saison 2019/2020 den damit einhergehenden Verzicht auf Absteiger erklärt hatten. „Es folgte eine monatelange Zeit der Unklarheit“, sagt Carspecken. In Gesprächen mit dem Handball-Verband Mitterhein erzielten die Kölner schließlich in einem Fall, der sich wohl in einer Art Grauzone bewegt und in dieser Form vermutlich nie wieder passieren wird, einen Kompromiss. Inhalt: Nach der noch stärker von Corona geprägten Saison 2020/2o21 macht der TV tatsächlich mit seinem dort existierenden Team für 2021/2022 in der Verbandsliga weiter. Im Gegenzug bekommt er die Zusage, dass er für 2022/2023 ein Startrecht in der Oberliga hat: „Mit der Übereinkunft können beide Seiten leben.“

Stolz macht den Verein einmal, dass die alte Zweite, die in Wirklichkeit jetzt die neue Erste ist, zunächst komplett zusammenblieb. Stolz macht den Verein, dass das aktuelle Trainerteam mit Thomas Radermacher (Chefcoach), Benjamin Sprengel (Co-Trainer), Gerrit Kolbe (Torwart-Trainer) und Sebastian Kruszelnicki (Athletik-Trainer) offensichtlich über eine Mannschaft mit viel Charakter verfügt. „Wir spielen ja eigentlich praktisch außer Konkurrenz“, räumt Carspecken ein, „die Jungs spielen aber seit dem ersten Spieltag so, als müssten sie Erster werden. Sie haben trotzdem den Ehrgeiz, die Saison so gut wie möglich abzuschließen. Sie haben ein blau-weißes Herz.“ Stolz macht ihn und seine Mitstreiter außerdem, wie sich der Kader zusammensetzt: „Wir haben zu 85 Prozent Eigengewächse.“ Dass es zuletzt das eine oder andere schwächere Resultat gab, ließ sich mit verletzungsbedingten Ausfällen im Rückraum erklären: Dort fehlt in Marc Rastuttis der Spieler mit der größten Wurfkraft bereits seit Monaten (Schulter), nun kamen Florian Rüll und Benjamin Jäger hinzu. „Wir werden uns in der Meisterrunde durchbeißen müssen“, vermutet der Abteilungsleiter. Auf der anderen Seite gingen das 28:28 beim Letzten TV Rheinbach II und das 27:30 gegen den Elften Polizei SV Köln nicht in die Wertung für die Meisterrunde ein, weil beide Kontrahenten in der Abstiegsrunde weitermachen.

Fürs amtierende Trainerteam war es kürzlich schnell klar, dass es in Wahn mit ihnen weitergehen soll. Radermacher begründete seine Zusage so: „Das gesamte Projekt ist unglaublich spannend und attraktiv. Es bereitet mir riesige Freude, die Entwicklung einer jungen, ambitionierten Mannschaft unter hervorragenden Rahmenbedingungen voranzutreiben. Hier passt einfach alles: Die Mannschaft, das Trainerteam, das Team hinter dem Team, die Abteilungsleitung und die großartige Unterstützung durch unsere Anhänger. Die Mannschaft ist menschlich absolut intakt und zeichnet sich durch einen richtig starken Teamspirit aus. Man spürt überall, wie sehr sich die Jungs mit dem Verein identifizieren, in dem sie handballerisch groß und zu Freunden geworden sind.“ Schon jetzt steht für ihn gleichzeitig fest, dass die Serie 2022/2023 auch ein Abenteuer für die Mannschaft wird: „Wir haben noch sehr viel zu lernen und einen weiten Weg vor uns, der auch schmerzhafte Rückschläge bereithalten wird.“ Was sie sich wünschen würden: Dass zur kommenden Saison ein Spieler zu den Wahnern stoßen möge, der den Rückraum verstärkt. „Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Spieler, den wir mit unserem Weg überzeugen können“, meint Abteilungsleiter Carspecken.

Gemeinsam stark: Trainer Thomas Radermacher (Mitte) ist begeistert darüber, wie gut seine Mannschaft (Nummer 14 Benjamin Jäger, Nummer 3 Michael Siebert) mitzieht und zusammenhält. (Foto: Frank Nürnberger)

Dass Aufstiegs- und Abstiegsrunde auch in der Verbandsliga nun doch schon am kommenden Wochenende beginnen (und nicht, wie im Raum stand, um eine Woche nach hinten verschoben am 12./13. März), bringt für alle Beteiligten einen hohen organisatorischen Aufwand mit sich. Und die Verteilung der Schlüsselzahlen ist aus der Perspektive der meisten wenig zielführend bis komplett unsinnig. So treffen direkt am ersten Spieltag der Meisterrunde die Titelkontrahenten Stolberg und Königsdorf aufeinander. Für den 12. März ist die Partie des TV Jahn Wahn gegen die Stolberger angesetzt, die wiederum am 19. März auf den TV Palmersheim treffen (Dritter der Normalrunde vor den Kölnern) und dann alle Top-Spiele bereits durch haben. Und warum die Klasse nach dem 9. April einer offensichtlich unverrückbaren Tradition folgend noch einmal für drei Wochen pausiert und die beiden letzten Runden erst am 30. April und 7. Mai austrägt? Keiner weiß es, keiner findet es hilfreich oder sinnvoll. Was sie dafür beim TV Jahn umso genauer wissen: Gut, dass wir das etwas gelassener sehen dürfen. „Wahn-Sinn“, dass wir bald wieder in der Oberliga spielen dürfen.