Oberliga Mittelrhein
Cool im Hexenkessel: Refrath ist Regionalligist
Die HSG gewinnt das "Finale" in der Meisterrunde über eine tolle Mannschaftsleistung mit 33:30 beim TSV Bayer Dormagen II und steigt auf.

Bereit zum Abheben: Mannschaft und die vielen Fans der Refrather waren nach dem Sieg in Dormagen bereit für eine lange Nacht. (Foto: Michael Jäger)

TSV Bayer Dormagen II – HSG Refrath/Hand 30:33 (15:14). Es ist nach den Regeln erlaubt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden es die meisten genauso tun, wenn sich ihnen diese Möglichkeit dazu bietet. Also machten die Dormagener nicht wenig Gebrauch von der Chance, sich zusätzlich noch einmal aus dem Zweitliga-Kader zu verstärken. Nachdem sie ihr Aufgebot am vergangenen Mittwoch im vorletzten Saisonspiel der Meisterrunde gegen den Pulheimer SC bereits mit dem erst vor ein paar Wochen nachverpflichteten belarussischen Nationalspieler Artur Karvatski aufgestockt hatten, griffen sie fürs im Kampf um den Aufstieg in die Regionalliga entscheidenden Gipfeltreffen gegen den Spitzenreiter erneut ins Zweitliga-Regal – und schrieben Aron Seesing und Tim Mast auf den Spielberichtsbogen. Beide hatten erst am Freitagabend in der 2. Bundesliga mit den Dormagenern bei TuSEM Essen einen 29:25-Sieg geholt – und dabei nicht nur Nebenrollen eingenommen. Ob diese Art von Maßnahmen den Beliebtheitsgrad steigert oder als Stützung eines ansonsten nicht aufstiegstauglichen Konstrukts viel Sinn ergibt, ist bestimmt eine andere Frage. Doch darum ging es ja am Samstagabend ohnehin nicht, sondern zuerst um den Aufstieg in die Regionalliga – den beide unbedingt wollten. Dass es dabei im Duell zwischen den mit 23:3 Punkten angereisten Refrathern und den bei 22:4 Zählern stehenden Dormagenern auf Kleinigkeiten ankommen würde, war wiederum keine große Überraschung. Weil aber der HSG in den entscheidenden Szenen die richtigen Mittel und die passenden Ideen zur Verfügung standen, fiel ganz Refrath am Ende der packenden 60 Minuten in einen Ausnahmezustand: Der Sieg beförderte das Team von Trainer Christopher Braun in die Regionalliga – und als das mit der Schluss-Sirene feststand, dürften im knapp 40 Kilometer entfernten Bergisch Gladbach vorübergehend die Wände gewackelt haben. Für die Refrather, die auf der Zielgeraden der Partie in der von Fans beider Seiten in einen Hexenkessel verwandelten Halle cool blieben, ging ein Traum in Erfüllung. Braun sah kurz ins Weite und fand ein paar Worte: „Wir haben zum richtigen Zeitpunkt unsere beste Saisonleistung gezeigt. Wahnsinn, was die Jungs geleistet und wie sie das gemacht haben.“ In der Tabelle sah Rang eins mit 25:3 Punkten gegenüber 22:6 des TSV Bayer sogar halbwegs deutlich aus.

Beide Seiten zeigten von der ersten Sekunde an, dass sie auf einem vergleichbaren Niveau unterwegs waren – Dormagen mit der womöglich im Bundesliga-Training erworbenen größeren individuellen Qualität über den ganzen Kader, Refrath mit den Vorzügen, die eine als perfekt funktionierende Einheit auftretende Mannschaft auszeichnet. Und so gab es direkt einen jederzeit offenen Kampf, in dem sich keiner seiner Sache zu irgendeinem Zeitpunkt sicher sein durfte. Dormagens 5:3 (7.), 8:5 (14.) oder 10:8 (16.) beantwortete die HSG mit dem 12:12 (28.) und das 13:15 (30.) am Ende der ersten Halbzeit mit dem 15:15 (33.). Anschließend sahen die Gastgeber lange wie der kommende Sieger aus – 18:16 (36.), 20:18 (38.), 22:20 (.42.), 26:24 (47.). Dabei kam das Beste zumindest aus der Sicht der Gäste erst, während die Dormagener nach der 26:25-Führung (48.) zunächst die Rote Karte gegen Maximilian Eugler (50./dritte Zeitstrafe) verarbeiten mussten. Folge: Refrath nutzte die Überzahl durch Lennart Niehaus zum 26:26 (52.), ehe Kreisläufer Michael Wittig mit dem 27:26 (54.) die erste Gäste-Führung seit dem 1:0 (2.) von Niehaus erzielte.

Überhaupt Niehaus: Der 23 Jahre alte Linkshänder wurde letztlich das, was unter der Bezeichnung „Matchwinner“ geführt wird – und er löste damit den auf der Gegenseite über weite Strecken herausragenden Sören Steinhaus ab (zehn Tore), der erst mit der späteren Umstellung der Refrather Deckung nicht mehr so dominierend zur Geltung kam. Genau umgekehrt sah es bei Niehaus aus: Vom 21:22 (42.) bis zum 32:29 (60.) steuerte er sieben seiner unter dem Strich zwölf Tore bei – also präzise dann, als ihn sein kämpferisch beeindruckend starkes Team am meisten brauchte. Die wichtigsten Stationen auf dem Weg zum größten Erfolg in der Geschichte der HSG waren sein 26:26 (52.), das 28:26 (57.), das 29:26 (57.), das 31:29 (59.) und jenes alles entscheidende 32:29 (60.). Dass der jederzeit anspielbereite Kreisläufer Wittig vier Sekunden vor dem Ende das 33:30 hinterherlegte, war kein Zufall: Auch ihn bekamen die Dormagener zunehmend gar nicht mehr in den Griff. Ganz nebenbei: Unter dem Strich gewannen Stephan Vatter und Oliver Kierdorf den Torhüter-Vergleich für die HSG.

Auch eine wichtige Szene: Dormagens Fynn Johannmeyer (links/rechts Lucas Rehfus) sieht nach einem Foul an Refraths Jonathan Benninghaus die Rote Karte. (Foto: Michael Jäger)

Peer Pütz, Trainer des Dormagener Zweitliga-Teams, der zusammen mit André Nicklas den erkrankt fehlenden Chefcoach David Röhrig vertrat, erkannte wesentliche Ursachen für die Niederlage: „Wir haben in der Abwehr nicht so gut gespielt und die zwei Roten Karten haben es noch schwieriger gemacht.“ Dass die engere Bewachung gegen Sören Steinhaus ein Baustein für den Sieg der HSG war, lag für ihn ebenfalls auf der Hand. „Refrath ist eben auch eine unheimlich eingespielte Mannschaft. Wir haben versucht, dem die für uns bestmögliche Aufstellung entgegenzusetzen“, sagte Pütz – für den der Meister bei aller eigenen Enttäuschung ein würdiger Aufsteiger ist: „Auf jeden Fall.“ HSG-Kapitän Jonathan Benninghaus fasste das große Finale in einem einzigen Wort zusammen: „Unfassbar.“ Für ihn, der im Juni 32 wird, wäre es jetzt eigentlich der richtige Moment fürs Ende der Karriere. Er schwankt: „Ich weiß es noch nicht.“ Was sie dafür in Refrath in diesem Augenblick ganz genau wussten: „Jetzt geht es rund. Wir machen die Nacht zum Tage.“ Den Worten dürften Taten gefolgt sein.

TSV Bayer Dormagen II: Dahmen, Broy – Rehfus, Eugler (3), Schreibelmayer (1), Hinrichs (3), Johannmeyer, Leitz (4), Träger (1), Karvatski (6), Seesing, Steinhaus (10/3), Mast (2), Stein.

HSG Refrath/Hand: Vatter, Kierdorf – Schrage, Schallenberg, Natzke (1), Faust, Funke (6), Niehaus (12/2), Wendler (2), Benninghaus (2), Gelbke (2), Wittig (8), Merz.