23. Mai 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Der vergangene Donnerstag war ein schöner Tag. Gut 700 Zuschauer in der proppevollen Vogteihalle zu Kerken, deren Dach nach dem 36:34 des Tabellenführers TV Aldekerk im Gipfeltreffen der Regionalliga gegen Interaktiv.Handball wegzufliegen drohte – weil die Aldekerker unten auf der Platte völlig losgelöst die Meisterschaft und den Aufstieg in die 3. Liga feierten. In offizieller Mission dabei: Stefan Butgereit, da noch Vizepräsident des Verbandes Niederrhein, und Peter Monschau, der für die Regionalliga zuständige Staffelleiter. Auch der vergangene Samstag war für Butgereit ein schöner Tag, persönlich vielleicht sogar noch schöner als jener zuvor. Da stand in Essen der Verbandstag des HVN auf dem Programm – mit Wahlen als zentralem Punkt. Das Ergebnis war frustrierend für Michael Girbes, den einstigen Vorsitzenden der Technischen Kommission, und gleichzeitig ein Triumph für Stefan Butgereit, der nun nicht mehr Vize ist, sondern Präsident: Er bekam 41 der 48 abgegebenen Stimmen, Girbes nur sechs (eine Enthaltung). Ungefähr 24 Stunden später hatte der neue HVN-Präsident dann den ersten richtigen Ärger auf dem Tisch. Überbringer der Nachricht war Peter Monschau, beim Verbandstag gleichzeitig mit ebenfalls überwältigender Mehrheit zum neuen TK-Vorsitzenden gewählt: Auf seinem Schreibtisch war tatsächlich eine Meldung des Leichlinger TV für die kommende Regionalliga gelandet – jenes LTV, der sich vor ein paar Monaten aus der 3. Liga zurückgezogen hatte, jenes LTV, der eigentlich in einer unteren Klasse weitermachen wollte. Was auf den ersten Blick bloß befremdlich wirkt, hat in der Realität eher einen Tornado ausgelöst – der zuerst den Regionalligisten OSC Rheinhausen ohne Vorwarnung und wie aus dem Nichts traf. Die Rheinhausener, am späten Samstagabend wie alle noch der Auffassung, als Drittletzter gerettet zu sein, sind nun nach Verbands-Mitteilung der dritte Absteiger neben der HSG Siebengebirge und dem TV Rheinbach. Das kann der OSC kaum fassen, aber die Auswirkungen gehen viel tiefer und sie ziehen sich unter anderem in die Verbandsligen, deren Spiele um einen zusätzlichen Aufsteiger kurzfristig entfallen. Tatsächlich geht es aber weder um das konkrete Schicksal der Rheinhausener oder eines anderen um seine Chancen gebrachten Vereins. Es geht um den Handball. Der ist nämlich gerade dabei, seine vermeintlich heile Welt mit den verbindenden Faktoren Respekt, Zusammenhalt und familiäre Atmosphäre einzureißen und sich selbst den größten möglichen Schaden zuzufügen.
Was in der ganzen Angelegenheit nichts anderes als Fassungslosigkeit hervorrufen kann, ist das dreiste Vorgehen der Leichlinger, die offensichtlich nicht die geringste Absicht haben, in der kommenden Saison in der Regionalliga anzutreten – und daraus nicht mal ein Geheimnis machen, sondern es durch Abteilungsleiter Ralf Meier öffentlich bestätigen. Tatsache und allgemein bekannt war/ist, dass es weder eine Mannschaft noch einen Trainer gibt. Und seine einstige Spielstätte „Am Hammer“ hat der LTV vor einem Jahr in der Flutkatastrophe verloren – was eines der Mosaiksteinchen im Rückzug war. Im Spielbetrieb war der Verein zuletzt durch die zweite Mannschaft, die ihre Heimspiele in der 1. Kreisklasse im Hallen-Notquartier „Toscana Sport“ absolvierte. Das Leichlinger Kalkül: Ziehen sie die für die Regionalliga gemeldete Mannschaft nach Meldeschluss, aber vor der nächsten Saison ebenfalls zurück, stehen sie erneut als Absteiger fest, hätten dann jedoch die Option, in der Saison 2023/2024 nur eine weitere Klasse tiefer weitermachen zu können. Ob es dann dazu kommen wird, ist wieder eine andere Frage und völlig offen. Auf solche Gedanken muss man erst einmal kommen. Unter dem Strich ist das alles nicht nur fragwürdig: Es ist zynisch, es ist egomanisch, es ist schädlich für den Handball.
Im Übrigen zeigt nicht nur der Fall Leichlingen, dass die Welt des Handballs hier und da Risse hat – die er besser kitten sollte. Wie war das mit den Absteigern aus der Oberliga Mittelrhein? Da durfte sich der Abstiegsrunden-Vierte ASV SR Aachen im Vertrauen auf die Durchführungs-Bestimmungen darauf verlassen, den Klassenerhalt geschafft zu haben – bis ihn der Verband durch eine lapidare E-Mail-Nachricht aus allen Träumen riss: Der im Sommer 2020 aus der Regionalliga zurückgezogene TV Jahn Köln-Wahn gelte als Absteiger von dort für die inzwischen beendete Serie 2021/2022 – und habe deshalb einen Platz für die Oberliga, den der Verband den Kölnern tatsächlich für 2022/2023 garantiert hatte. Deshalb seien in der Oberliga nicht nur vier Klubs zum Gang in die Verbandsliga gezwungen, sondern auf einmal fünf. Unterschied zu Rheinhausen/Leichlingen: Die Wahner sind in diesem Fall unschuldig. Den Schwarzen Peter hat der Handball-Verband Mittelrhein, der sich nicht zum ersten Mal ein Kommunikationsdesaster erlaubte. Wie wäre es, wenn sich die HVN-Führung mit der HVM-Spitze mal zu gemeinsamen Konsultationen träfe? Man kennt sich doch über das gemeinsame Dach-Konstrukt Handball-Nordrhein – wo der Mittelrhein-Präsident Lutz Rohmer als Vorsitzender und sein für den Spielbetrieb zuständige Vize Karl-Walter Marx als Spielwart ebenso vertreten sind wie Stefan Butgereit, der dort als Rechtswart zum Vorstand gehört. Vierter Mann im Nordrhein-Vorstand als Zweiter Vorsitzender und Schatzmeister: Frank Steinhaus, Butgereits Kollege am Niederrhein, dort in der Funktion als Vizepräsident Finanzen.
Die personellen Überschneidungen sind insofern spannend, weil ja der Verband Mittelrhein und der Verband Niederrhein mit Wirkung zum 31. Dezember 2022 zum neuen Verband Nordrhein zusammengehen wollen. Ähnlich spannend ist, was Stefan Butgereit vor dem Verbandstag am Niederrhein als Kernaussage zu seiner Kandidatur äußerte: „Es geht nicht um Stefan Butgereit, sondern um den Handball.“ Was er meinte: „Es geht nicht um Personen, sondern um den Handball.“ Was er gemeint haben muss: „Es geht nicht darum, rücksichtlos eigene Interessen durchzuboxen. Es geht um den Handball.“ Damit ist doch eigentlich alles gesagt.