02. Juni 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es gibt da so eine Modellrechnung. Geht sie auf, dürfte beim um den Klassenerhalt kämpfenden TSV Bayer Dormagen am Samstagabend gegen 21 Uhr eine ziemlich grenzenlose Euphorie ausbrechen. Die Mannschaft hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten verdient, dass sie für die Rettung nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen ist. Was trotz des Trainerwechsels Anfang des Jahres vom entlassenen Dusko Bilanovic noch am 30. März nach dem 28:35-Desaster beim Dessau-Roßlauer HV eher nach dem direkten Weg in die 3. Liga aussah, ist zwei Monate später ins Gegenteil verkehrt – und die damals 5:11 Punkte aus den ersten acht Partien mit dem Trainergespann Peer Pütz/David Röhrig sind getilgt. Zuletzt gab es dreimal hintereinander einen in dieser Form nicht selbstverständlichen Erfolg – 31:23 gegen den HC Empor Rostock, 29:25 bei TuSEM Essen, 28:21 gegen den dadurch zum Abstieg verurteilten EHV Aue. Dieser bisher letzte Sieg stellte das Konto in der Amtszeit Pütz/Röhrig sogar ins Positive: Und die dabei erreichten 20:18 Zähler sind sicher keine Absteiger-Bilanz. Dass die Dormagener trotzdem immer noch nicht fest für die 2. Bundesliga 2022/2023 planen können, zeigt erst recht den Wert des Erreichten. Ohne das beachtliche Punktepaket wäre der Zweitligist jetzt in allerhöchster Not oder vielleicht ebenfalls ein feststehender Absteiger – und nun kann er sein Ziel aus eigener Kraft erreichen. Im günstigsten Fall der Fälle sichert sich der TSV Bayer bereits am Samstag durch einen Sieg bei der HSG Nordhorn-Lingen den Klassenerhalt. Das ist als Vorhaben anspruchsvoll, aber nicht ausgeschlossen.
Zur Freude der Konkurrenz hat sich mittlerweile gar nicht mehr heimlich, still und leise der Bundesliga-Absteiger Eulen Ludwigshafen in den engeren Kreis der gefährdeten Teams gespielt. Nach sieben Niederlagen hintereinander ging am Mittwochabend das 31:31 gegen den Dessau-Roßlauer HV fast als Erfolg durch – was ganz und gar nicht zu den einst viel höheren Ambitionen der Eulen passt. Ludwigshafen geht von Rang 15 aus mit 30:42 Punkten (minus 28 Tore) knapp vor Dormagen, das auf Platz 16 bei 29:42 Zählern steht (minus 42), in den Endspurt. Dahinter folgen mit jeweils 28:44 Punkten der TV Großwallstadt (minus 24) und der TuS Ferndorf (minus 32). Aus diesem Vierer-Kreis wird der dritte Absteiger neben dem Vorletzten TV Emsdetten und dem Schlusslicht EHV Aue (beide 23:49) stammen. Teil eins der Dormagener Modellrechnung sieht so aus: Großwallstadt und/oder Ferndorf verlieren – was definitiv nicht unmöglich ist. Der TVG tritt am Freitagabend beim ASV Hamm-Westfalen an, der als Zweiter hinter dem Meister VfL Gummersbach durch einen Sieg über Großwallstadt ebenfalls das Ticket für die 1. Liga lösen würde. Ob sich Hamm diese Gelegenheit entgehen lässt?
Ferndorf tritt am Samstagabend in eigener Halle im Duell der geografischen Nachbarn gegen den VfL Gummersbach an – der normalerweise als Favorit gelten muss. Viel bis alles hängt davon ab, ob die Gummersbacher dort an die Grenze von Einsatz und Leidenschaft gehen können/werden. Bleibt am Ende „nur“ der Beitrag der Dormagener, die in Nordhorn-Lingen antreten – zu einer Partie mit wirklich besonderen Vorzeichen. Die Gastgeber, ebenfalls ein Bundesliga-Absteiger, haben nach ihrem 28:31 vom Mittwochabend im Nachholspiel beim HSC Coburg als Dritter keine realistische Chance mehr auf die Rückkehr in die höchste deutsche Klasse. Und beim Anpfiff des Spiels gegen Dormagen steht das Aus der Gastgeber vielleicht schon endgültig fest, weil Hamm ja bereits 24 Stunden vorher dran ist.
TSV-Coach Pütz hat sich in seiner Amtszeit normalerweise nicht ständig mit der Situation in der Tabelle beschäftigt – sondern eher mit dem, was die Mannschaft direkt selbst zu beeinflussen vermag. Gleichzeitig ist den in ein Stimmungshoch aufgestiegenen Dormagenern natürlich bewusst, um was es jetzt geht: „Vielleicht habe ich gesehen, dass es möglich wäre.“ Gemeint ist eben die Chance darauf, den Klassenerhalt bei optimalem Verlauf vorzeitig hinzubekommen. „Dass es so ist, haben wir uns hart erarbeitet“, sagt Pütz, „und wir werden alles versuchen, das zu nutzen und die Punkte zu holen.“ Gleichzeitig kann Dormagen sowieso nicht davon ausgehen, dass es den Hauch einer Garantie für zwei Punkte in Nordhorn gibt – vielleicht gerade deshalb nicht, weil die HSG inzwischen wenig zu verlieren hat: „Das wird sehr schwierig. Sie sind trotz allem noch Dritter.“ Und daraus ergibt sich dann die Kehrseite der Medaille, dass Dormagen mit einer Niederlage in Nordhorn-Lingen eventuell auf ein Drama-Finale gegen Ferndorf zusteuert. Der größte anzunehmende Albtraum: Drei oder vier Mannschaften gehen mit jeweils 30:44 Punkten in den letzten Spieltag – und am Ende muss das Torverhältnis den dritten Absteiger bestimmen. Das braucht vermutlich keiner.
In erster Linie um die eigenen Ansprüche und das eigene Selbstverständnis geht es beim Siebten TuSEM Essen (39:33 Punkte), der im Kalenderjahr 2022 und besonders in den vergangenen Wochen auf einer Berg- und Talfahrt unterwegs ist. Die insgesamt 18:18 Punkte taugen insgesamt nicht als Basis für große Begeisterung und auf 12:6 Zähler aus den ersten neun Partien folgten ab dem 28:32 am 3. April gegen den VfL Gummersbach schließlich in der Summe enttäuschende 6:12 Punkte – was unter anderem daran lag, dass die Mannschaft des nach der Saison zum Bundesligisten Bergischer HC wechselnden Trainers Jamal Naji zuletzt bloß eins von fünf Heimspielen für sich entscheiden konnte. Allein das verlangt am Freitagabend gegen den Fünften TV Hüttenberg (42:30) nach einer Art Wiedergutmachung. Obwohl den Essenern dazu nicht der komplette Kader zur Verfügung stehen wird, weil einige Spieler verletzt oder krank ausfallen, wünscht sich auch Naji einen rundum überzeugenden Auftritt: „Da es für viele, unter anderem mich, das letzte Heimspiel in Essen ist, möchten wir uns natürlich von den Fans sehr gut verabschieden und unsere beste Version zeigen. Na klar ist unser Anspruch, das zu gewinnen. Danach geht es nach Rostock und auch da wollen wir das bestmögliche Ergebnis rausholen. Das steht und fällt ein Stück weit damit, wie unser Kader aussieht. Aber wir trainieren gut und wir sind frohen Mutes. Wir freuen uns auf die letzten beiden Spiele.“
Für den Bundesliga-Rückkehrer VfL Gummersbach geht es beim TuS Ferndorf ebenfalls darum, noch einmal den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Dass dabei am Samstagabend wie in der Hinrunde erneut ein hoher 42:25-Sieg herausspringt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Ein Grund: Gummersbach hat auswärts zwar ebenfalls die beste Bilanz aller Zweitligisten (22:14 Punkte), aber seine bisher sieben Saison-Niederlagen durchweg in des Gegners Halle kassiert. Darunter waren unnötige Ausrutscher zu finden – wie vor nicht langer Zeit am 25. April das 32:33 beim Dessau-Roßlauer HV oder am 20. Mai das 29:30 beim HC Elbflorenz Dresden. Ferndorf scheint zudem mit Trainer Robert Andersson zu fast allem in der Lage zu sein und wenn es so etwas wie ein Gesetz der Serie gibt, wäre der TuS am Samstag wieder mit zwei Punkten an der Reihe. Seit dem 25:20 vom 22. April bei der HSG Nordhorn-Lingen wechselten sich in acht Spielen Sieg und Niederlage regelmäßig ab – mit dem schmerzhaften 30:32 am vergangenen Samstag gegen die SG BBM Bietigheim als vorläufigem Schlusspunkt. Gummersbach dürfte/sollte auf jeden Fall gewarnt sein.