27. Juli 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es waren Momente des Glücks an jenem 4. Mai. Und nach dem 27:25 im packenden Spitzenspiel der Oberliga Niederrhein gegen den Titelrivalen Borussia Mönchengladbach brachen beim Bergischen HC II viele Dämme. Der Rest des Abends wurde dann zur emotionalen Feier – weil feststand, dass der größte Konkurrent entscheidend abgehängt war. Einer, der am meisten mitgenommen wirkte: Trainer Mirko Bernau (47), der erst eine halbwegs ruhige Ecke in der Halle an der Wittkuller Straße suchen musste und dort das Geschehen in Worte zu fassen versuchte. Dass der BHC zehn Tage später mit dem 35:17 über den TV Lobberich den letzten fehlenden Schritt zur Meisterschaft hinter sich brachte, passte den Solingern anschließend auch ganz gut ins Bild – weil sie dadurch das aus dem März stammende 26:27 in Lobberich tilgen konnten. Neben dieser durchaus sehr überraschenden Niederlage gab der BHC II nur zwei Mal weitere Punkte ab: Im November gab es das ebenfalls spannende 27:29 in Mönchengladbach und zum Abschluss das für beide Seiten unbedeutende 37:37 beim LTV Wuppertal. Bernau, der im Projekt BHC II natürlich mehr als nur der Coach der Mannschaft ist, sieht es als Team-Erfolg, wie weit alle gemeinsam in den vergangenen Jahren gekommen sind. „Es macht Spaß, zu sehen, wie sich die Mannschaft entwickelt hat und wie sich die komplette Abteilung entwickelt“, betont der einstige Rechtsaußen, der seit 2018 im Verein zu Hause ist, „ich fühle mich pudelwohl hier.“
Als der frühere Erst- und Zweitligaspieler (TSV Bayer Dormagen, HSG Wetzlar, HSG Düsseldorf, TuSEM Essen), der auch 23 Partien für die deutsche Nationalmannschaft bestritt, im Sommer vor vier Jahren zur Zweiten des BHC kam, befanden sich deren Aktien gerade in einem krassen Sinkflug. Die Mannschaft hatte eben den Abstieg aus der Regionalliga Nordrhein hinter sich und das nächste sportliche Drama vor sich: Da reichte 2018/2019 der 33:27-Erfolg zum Abschluss bei Mettmann-Sport wegen des erhöhten Abstiegs nicht zum Klassenerhalt – und der BHC II musste als Viertletzter ebenfalls in die Verbandsliga runter, während der punktgleiche TV Lobberich (beide 21:33 Zähler) drinbleiben durfte. Der Schock saß tief, könnte aber in der Rückschau als heilsam durchgehen. Tatsächlich leitete Bernau, der eng mit dem Sportlichen Leiter Christoph Rath zusammenarbeitet, die Wende ein – hin zu einem wichtigen Puzzleteil im gesamten Verein. Als die Saison 2019/2020 nach 19 Spieltagen abgebrochen wurde, lag der BHC aufgrund besonderer Pandemieregeln vor den Bergischen Panthern II (beide 30:6 Punkte), dem Kettwiger TV (30:8) und der SG Überruhr (30:8). In der Oberliga-Serie 2020/2021 war anschließend bereits nach sechs Runden Feierabend, doch es deutete sich längst der spätere Zweikampf mit der Borussia Mönchengladbach an: Als der Abbruch kam, standen die beiden Top-Teams mit jeweils 12:0 Zählern weit vor der Konkurrenz – was diesmal keinem half, weil es weder einen Aufsteiger noch Absteiger gab.
Einer der Bausteine für den Erfolg und die Rückkehr in die Regionalliga: Die Mischung in der Mannschaft liegt irgendwo an der Grenze zur Perfektion. Aushängeschilder in Sachen Qualität und Erfahrung sind Rückraumspieler Kristian Nippes (34), einst Kapitän des Bundesliga-Teams, und Rechtsaußen Nils Artmann (31), der von 2014 bis 2017 schon einmal für den BHC unterwegs war und über die Station Rhein Vikings nach Solingen zurückkehrte – um dort beim Wieder-Aufbau der Zweiten mitzumachen. Für Bernau liegt es auf der Hand, die Routine der beiden zu nutzen: „Ich bin nicht der Allwissende.“ Altersmäßige Gegenpole sind Spieler wie Keeper Marcel Johann, Aron Exner oder Ben Büscher, die alle dem Jahrgang 2001 angehören. Sie profitieren davon, was Nippes und Artmann ganz oben erlebt haben – zumal beide gerne bereit sind, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und ihr Wissen weiterzugeben. In der Addition aller Einzelteile steht eins für Bernau zweifelsfrei fest: „Handball ist ein Mannschaftssport. Es ist toll, wie unser Teamspirit gewachsen ist.“
Was das für die kommende Saison bedeutet? Vorerst wenig, jedenfalls gibt es keine Garantie, dass der Aufzug seine Fahrt nach oben ungehindert fortsetzen kann. Ganz weit am Horizont steht vielleicht die Vision, mit der BHC-Zweiten erneut eine Etage nach oben zu klettern: „Die zweite Mannschaft eines etablierten Bundesligisten gehört in die 3. Liga“, findet Bernau, der den Kontakt zum Profibereich als gut einschätzt – was sich gerade beim entscheidenden Sieg über Mönchengladbach gezeigt habe. Da konnte er in Alexander Weck auf einen Rückraumspieler zurückgreifen, der längst zum Stammpersonal der Bundesliga-Mannschaft gehört und sich sofort zur Aushilfe „unten“ zur Verfügung stellte. Der Plan ging auf, denn Weck – mit vielen Spielern des Oberliga-Teams aus früheren Jahren eng verbunden – steuerte vier nicht unwichtige Treffer bei und gab den Hausherren zusätzlichen Halt. „Wir haben freie Hand, die Abteilung zu entwickeln“, sagt Bernau. Zu beachten sind dabei – kein Wunder – Budgetgrenzen, die in Absprache festgelegt werden. Zum Team neben/hinter dem Team gehören neben dem Chefcoach unter anderem Torwart-Trainer Michael Wupper, Betreuer Markus Büdenbender und Physiotherapeutin Tanja Berblinger. Sie alle werden in den kommenden Wochen und Monaten viel zu tun haben.
Aus dem Kader der vergangenen Serie stehen vier Spieler nicht mehr zur Verfügung: Torhüter Tobias Joest, Lennard Austrup (beide zurück zu Unitas Haan), Jonas Leppich (TuS 82 Opladen) und Tim Gamradt (hört nach Bernaus Stand der Dinge auf). Der Weggang von Leppich traf die Verantwortlichen in diesem Zusammenhang nicht unvorbereitet, aber hart – obwohl sie ihm gleichzeitig den Sprung in die 3. Liga gönnen und zutrauen. Für die nun freie Stelle auf der Kreisläufer-Position glaubten sie gleichzeitig, durch die Verpflichtung von Lennart Mentges eine passende Lösung gefunden zu haben: „Wir sind glücklich darüber.“ Mentges (23/zuletzt Interaktiv.Handball) hätte gemeinsam mit Neuzugang Thomas Bahn (früher ebenfalls Interaktiv, zuletzt SG Schalksmühle-Halver Dragons) oder mit Ivo Santos zum Beispiel einen starken Innenblock abgeben können, liegt nun jedoch erst mal auf Eis: Im Training erlitt er einen Fingerbruch, sodass Bernau personell umplanen muss – in einem Aufgebot, das ohnehin als relativ klein gilt. „Wir haben einen richtig guten Kader“, findet der Chefcoach, der bereits vor dem Mentges-Pech fest vorhatte, den einen oder anderen Spieler aus dem eigenen Nachwuchs vermehrt dazuzunehmen. „Wir haben ja sehr viele gute Jugendliche“, betont Bernau. Insgesamt legt er sich für die kommende Saison sowieso fest – jedoch nicht auf eine konkrete Position: „Wir gehen das mit ganz viel Demut an.“
Ganz persönlich wollte sich Mirko Bernau im Übrigen selbst ein weiteres Betätigungsfeld aufbrummen: Er hat jetzt die Ausbildung zum Erwerb der Trainer-A-Lizenz aufgenommen, die ihn ein Jahr lang fordern wird. Zum Pflichtprogramm gehört, dass die „Lehrlinge“ bei Profi-Klubs hospitieren – was allerdings nicht der eigene vor der Haustür sein darf. Aufnahme fand Bernau letztlich bei der von Ben Matschke geführten HSG Wetzlar, sodass er künftig öfter rund 180 Kilometer (eine Strecke) pendeln muss. Wenn alles nach Wunsch läuft, darf nicht nur Bernau im kommenden Jahr zweimal feiern: Zuerst Mitte Mai nach dem letzten Spieltag den Klassenerhalt und nicht viel später die A-Lizenz. Erstens: Es wartet ein happiges Programm auf die Zweite des BHC und ihren Trainer. Zweitens: Vielleicht warten wieder Momente des Glücks.