Harz beiseite
Leuchtende Augen und Medaillen von Heiner Brand
Für das Team von "max-camp" ging bei den "Special Olympics Landesspielen NRW" in Bonn ein Traum in Erfüllung.

Daumen hoch: Mehr Sieg geht nicht als das, was die „max-camp“-Mannschaft in Bonn erreichte. (Foto: Katrin Küllenberg)

Das hätten sie sich vor einem halben Jahr vielleicht kaum vorstellen können. Aber der Hang zum Träumen war es ja auf der anderen Seite, der in Solingen diese Idee überhaupt erst einstehen ließ – die inklusive und verbindende Kraft des Handballs zu nutzen. In der Sporthalle der Grundschule Wiener Straße beginnt an der Neuenhofer Straße unter der Regie von „max-camp“ ein Abenteuer, dessen Ausgang keiner so ganz genau vorhersehen mag. Der Titel des Projekts: „Handball inklusiv“. Die Macher um max-camp-Gründer Max Ramota, den ehemaligen Profi, und Markus Sonnenberg, den Inklusionsbeauftragten des Vereins und Drittliga-Spieler beim TuS 82 Opladen, bringen Leidenschaft für den Handball mit und die Leidenschaft, so viel wie möglich davon an junge Menschen weiterzugeben. Die wiederum bringen genauso viel Leidenschaft für den Handball mit – und ganz offensichtlich auch die Leidenschaft für den Wettkampf. Noch am selben Tag im März erzählen sie alle von einem neuen Traum: „Wir nehmen im September in Bonn an den Special Olympics Landesspielen NRW teil.“ Jetzt ist September. Und der Traum ist in Erfüllung gegangen. Das Ereignis wird, wie jene Geburtsstunde einer inklusiven Mannschaft ein halbes Jahr zuvor, keiner vergessen, der dabei war. Das gilt dann im Übrigen auch für Max Ramota, den wir kurz danach bei einem Bundesliga-Heimspiel des Bergischen HC treffen. „Ich kriege jetzt noch eine Gänsehaut“, sagt der gebürtige Kölner und Wahl-Solinger.

Anschieber: Simon Plücker, geschoben von Lilly Hartkopf, ist hier auf dem Weg zum Torwurf – und er kann sich auch auf „gegnerische“ Hilfe verlassen. Eine starke Aktion! (Foto: Katrin Küllenberg)

Wer weiß die Antwort? Jörn Walpurges, Alexander Konopka, Markus Sonnenberg, Jakob Murawski, Luca Waldöstl, Marlon Blum, Elias Blum, Jonah Lindemann und Amalia Tsiamitas (von links) hatten sich viel zu erzählen. (Foto: Katrin Küllenberg)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ramota stand vor seinem Engagement als Spieler bei der damaligen SG Solingen beim Traditionsklub VfL Gummersbach unter Vertrag. Trainer dort in dieser Zeit: Heiner Brand, Handball-Legende als Kreisläufer und hartnäckiger Abwehrspieler sowie später als Trainer der deutschen Weltmeister-Mannschaft von 2007. Ihm zu Ehren haben sie in Gummersbach das Gelände vor der Schwalbe-Arena als „Heiner-Brand-Platz“ getauft. Dann stand eben dieser Heiner, den diesmal niemand „Herr Brand“ nannte, tatsächlich in der Halle Ringstraße, die sonst den Regionalligisten TSV Bonn rrh. beherbergt, und überreichte den Teilnehmern ihre Goldmedaillen. Dass er sich die Zeit nicht nehmen „musste“, sondern das aus voller Überzeugung getan hat, hängt mit dem 23. März 1979 zusammen, als die Gummersbacher in Tatabanya (Ungarn) ein Europapokalspiel bestreiten und Joachim Deckarm dort nach dem Zusammenstoß mit einem ungarischen Spieler beim folgenden Sturz auf den harten Hallenboden ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt und monatelang im Koma lag. Deckarm hat sich mit unfassbarer Energie ins Leben zurückgekämpft und ist trotzdem sowohl auf einen Rollstuhl als auch auf weitere umfangreiche Hilfe angewiesen. Selbstredend steht Brand immer noch an der Seite seines Freundes – und deshalb war es für ihn keine Frage, ob er nach Bonn kommen würde oder nicht.

Wir sind ein Team! Zusammenhalt war eine feste Größe für die „max-camp“-Mannschaft. (Foto: Katrin Küllenberg)

Was Brand dort sah, war eine ebenso gut organisierte wie bewegende Veranstaltung – und der Handball zum ersten Mal dabei, aber vermutlich nicht zum letzten Mal. Eine Feststellung: Von der Atmosphäre könnten/sollten sich wohl viele etwas abschauen, die „professionelles“ Arbeiten für sich beanspruchen. „Das war richtig gelungen. Wir haben uns von Anfang an wohlgefühlt“, sagt Markus Sonnenberg, „der Umgang untereinander war toll. Alle sind respektvoll miteinander umgegangen und haben die Tore der anderen mitgefeiert.“ Auf eine eigene Art sehr anspruchsvoll war das Turnier ganz nebenbei für die Schiedsrichter, die sonst streng auf die Einhaltung der Regeln zu achten haben und jetzt eine hohe Prise an Fingerspitzengefühl brauchten. Schrittfehler oder sonstige Verstöße kamen, wie bei den „normalen“ Handballern, durchaus vor. Und die Kollegen an der Pfeife sahen oft genug darüber hinweg oder in eine andere Richtung. Sie waren großzügig und an den richtigen Stellen konsequent – perfekte Spielleiter eben. Darüberhinaus gab es ganz viel Ähnlichkeit mit den beim Handball üblichen Ritualen vom gemeinsamen Aufwärmen bis hin zum Abklatschen mit dem Gegner, der in den meisten Fällen kein richtiger Gegner war, sondern ein Partner beim gemeinsam ausgeübten Sport. Der Respekt vor dem anderen stand über allem.

Allein im Tor? Hinter Elias Blum steht noch mal ganz genau, um was es in Bonn ging. (Foto: Katrin Küllenberg)

Was trotzdem nicht anders sein konnte und erst recht nicht die Fans auf der Tribüne erstaunt haben dürfte: An sportlichem Ehrgeiz fehlte es ebenfalls nicht. Im Gegenteil. „Wir hatten eine große Delegation Eltern dabei“, erzählt Sonnenberg, „20 waren es bestimmt.“ Sie sahen zusammen in der Summe der Ergebnisse insgesamt mehr Niederlagen als Siege – was in der Bundesliga oder Regionalliga exakt dieselben Gefühle auslöst wie beim inklusiven Handball: „Als wir am Anfang zweimal verloren haben, war natürlich ein bisschen Frust da.“ Die Enttäuschung war aber erstens schnell vorbei, weil es später durchaus das eine oder andere Erfolgserlebnis gab. Und zweitens gab es durch die Bank im Team von max-camp sowieso nur Gewinner, weil sich die Mannschaft alleine durch ihre Teilnahme selbst belohnte und sogar jeder einen Treffer erzielte. Immer nur trainieren? Markus Sonnenberg als noch aktiver Drittliga-Spieler weiß, dass das nicht über einen längeren Zeitraum funktioniert: „Du brauchst ein Ziel, zu dem du hinkommen kannst. Trainierst du nur, geht die Laune in den Keller.“ Seit dem Ende der Sommerferien trainiert die größer gewordene Gruppe regelmäßig einmal pro Woche mit durchschnittlich 15 jungen Spielerinnen und Spielern in unterschiedlichem Alter und mit verschiedenen Beeinträchtigungen. Und wen wundert es? Der nächste Traum ist längst da.

Rein oder nicht rein? Die Richtung stimmte auf jeden Fall beim Wurf von Bjarne Fischer. Luke Jörgens, Luca Waldöstl und Martha Frohn sind auch gespannt. (Foto: Katrin Küllenberg)

„Wir würden uns sehr wünschen, dass wir mal ein eigenes Turnier veranstalten“, sagt Sonnenberg, der sich zudem ein Freundschaftsspiel sehr gut vorstellen kann: „Vielleicht gegen eine D-Jugend oder eine Jugend aus der Region.“ Das fände er bereichernd für alle Seiten – und vermutlich wird es eines Tages so weit sein. Sonnenberg weiß gleichzeitig längst, dass ihm und dem gesamten Team die Arbeit nicht ausgehen wird, weil mehr Interesse am Sport auch mehr Trainer braucht – bei einem Schlüssel von einem Trainer und höchstens fünf Kindern, um die er/sie sich kümmert. Eine Frage werden sie sich in Solingen dabei nicht mehr stellen: Wollen wir überhaupt in einen Wettkampf gehen? „Die Kinder haben eine klare Antwort gegeben“, betont Sonnenberg, der jedoch nicht nur den Ehrgeiz sah – sondern hinterher viele leuchtende Augen. Das vor allem hätten sie sich vor einem halben Jahr vielleicht kaum vorstellen können. Und ein besseres Kompliment gibt es dann kaum für die Erfinder. Sie hatten den Mut, das Projekt anzustoßen. Und viele hatten den Mut, einfach mitzumachen. Handball ist schon ein cooler Sport.