Oberliga Mittelrhein
Eine Wundertüte: Ausgeglichen bis unberechenbar
Die Liga sucht auch nach sechs Runden vergeblich nach einem Titelfavoriten. Der siebte Spieltag bietet jetzt immerhin ein Topspiel - und die Klasse insgesamt viel Spannung.

Manchmal schmerzhaft: Für die HSG Siebengebirge mit Alexander Koch (rechts) und Vibulan Sivanathan (hinten/Nummer 97) läuft die Saison in der Oberliga noch nicht komplett rund. Dem Tabellenzweiten TV Birkesdorf mit Jakob Ernst (links) brachte der Regionalliga-Absteiger allerdings dessen bisher einzige Niederlage bei. (Foto: Thomas Schmidt)

Eigentlich waren sie sich ja schon vor der Saison einig und so richtig wagte bereits im August niemand eine Prognose, wie die Spielzeit in der Oberliga Mittelrhein verlaufen würde. Das Motto lautete bei den meisten: „Wir müssen mal die ersten Wochen abwarten, um zu sehen, wo wir stehen.“ Zur kurzen Herbstpause sind nun sechs von 30 Spieltagen absolviert, also immerhin schon ein Fünftel der Saison. Das Stimmungsbild hat sich aber kaum geändert. Um konkrete Saisonziele drücken sich die meisten Beteiligten elegant herum und als Aufstiegskandidat will sowieso niemand gelten. Kein Wunder: Im Oktober 2022 bietet die Tabelle ein breites Feld vom Zweiten TV Birkesdorf (9:3 Punkte) bis zum Vorletzten Fortuna Köln (2:10). Lediglich der SSV Nümbrecht als Tabellenführer mit seiner weißen Weste (12:0) und der sieglose Letzte Stolberger SV (1:11) stechen ein wenig heraus. Dazwischen suchen die meisten Mannschaften noch nach ihrer Rolle und die meisten wollen einfach nur mit dem Abstiegskampf so wenig wie möglich zu tun haben. Dass dabei nicht einmal völlig klar ist, wie viele Teams den Weg nach unten antreten müssen (hängt von den Ergebnissen der 3. Liga und Regionalliga ab), verleiht der Angelegenheit zusätzlich Spannung. Drei Absteiger werden auf jeden Fall gesucht, wer auf Nummer sicher gehen will, sollte wohl möglichst eher fünf oder sechs Konkurrenten hinter sich lassen.

Einen Titelfavoriten sucht man in der Klasse vergeblich. „Die Oberliga stellt sich noch mal deutlich ausgeglichener dar, als es letzte Saison der Fall war. Wir haben kein ‚Refrath 2.0‘, die die Liga komplett dominieren, sondern einfach ein superbreites Feld der Mannschaften, die um den Aufstieg mitspielen“, findet Luca Feistkorn, Sportvorstand bei den Birkesdorfern, die als Zweiter in ihrem persönlichen Zielkorridor liegen und nun am kommenden Samstag zum Topspiel in Nümbrecht antreten. Der SSV mit seiner maximalen Ausbeute nach sechs Spielen ist für viele die Überraschung der Liga und vor allem das 32:22 am zweiten Spieltag gegen den Vorjahrs-Zweiten TSV Bayer Dormagen II war ein Paukenschlag. Die Dürener werden die Reise ins Oberbergische daher mit dem nötigen Respekt antreten und halten sich mit einer Kampfansage in Richtung Tabellenspitze zurück. Feistkorn: „Das wird für uns auf jeden Fall eine super schwierige Aufgabe. Wir werden versuchen, das Spiel zu genießen.“ Die Erfahrung, die Punkte beim SSV zu lassen, hat Bayer-Trainer Martin Berger bereits gemacht. „Wir verlieren klar und deutlich gegen Nümbrecht, die aber auch anscheinend im Moment verdient Tabellenführer sind. Dementsprechend ist es völlig in Ordnung, da eine Niederlage zu haben“, meint der Coach, der mit der Ausbeute seines Teams (Platz fünf/9:3) ansonsten zufrieden ist: „Wir wollen im oberen Tabellendrittel mitspielen und da unsere Punkte sammeln, dementsprechend ist das erstmal okay.“

Die Klasse dürfte bislang auch deswegen so ausgeglichen sein, weil kaum eine Mannschaft von personellen Ausfällen verschont bleibt. Zwei Partien wurden wegen zu vieler fehlender Spieler sogar abgesagt und gewertet. Die meisten Trainer müssen Woche für Woche umstellen, improvisieren – oder schlimmstenfalls selbst mit auf die Platte. So ging es unter anderem Philipp Jäger, dem Coach des TuS 82 Opladen II, beim 29:20 am sechsten Spieltag beim HC Weiden II. „Viele Mannschaften suchen noch ihre Form und treten oftmals dezimiert an. Am Beispiel von Nümbrecht sieht man, wie eine Mannschaft einen beeindruckenden Lauf hinlegen kann, wenn sie mal in Schwung kommt. Das traue ich anderen Mannschaften, die Startschwierigkeiten hatten, auch zu – zum Beispiel Siebengebirge“, meint Jäger, der mit seinem Team als Achter (6:6 Punkte) gerade in der oberen Tabellenhälfte steht. Begeisterung löst die Bilanz in Opladen nicht aus und dem einen oder anderen Zählern trauert der TuS durchaus hinterher. „Angesichts der Umstände muss man aber sagen, dass es bisher in Ordnung ist. Jeder Spieler gibt, was er kann“, findet Jäger.

Deutlich mehr Sorgen hat da der Weidener Kollege Philipp Havers, der mit dem HC nach zwei Siegen zum Start vier Mal in Folge verlor und mit 4:8 Punkten den Blick nach unten richten muss. „Unser Start hätte mit 4:0 Punkten nicht besser laufen können, zumal ein Sieg gegen Siebengebirge nicht eingeplant war. Das Spiel gegen Longerich hätte dann auch gut für uns laufen können, aber seither läuft unser Angriffsspiel nicht mehr rund. Negatives Highlight war natürlich die Spielabsage in Nümbrecht aufgrund zu vieler personeller Ausfälle. Jetzt stehen gleich mehrere Spiele gegen Teams der unteren Tabellenregion an, in denen wir die Kurve bekommen müssen“, sagt Havers. Nächster Gegner für Weiden ist Fortuna Köln und die Partie am Samstag dann tatsächlich vielleicht ein erstes Schicksalsspiel. Denn auch die Fortuna hat seit Saisonbeginn mit großen personellen Problemen zu kämpfen und hängt deswegen bereits im Tabellenkeller. „Wir können natürlich ganz und gar nicht zufrieden sein. Ich würde fast sagen, dass wir bisher in maximal einem Spiel einen konkurrenzfähigen Kader zusammen hatten“, erklärt Roman Stabauer, der als Mitglied der Abteilungsleitung und selbst als Spieler aktiv ist – in den kommenden Wochen aber zusätzlich mit einem Muskelfaserriss ausfallen wird. Auch als Zuschauer wird er dann vermutlich ähnliche Beobachtungen machen: „Die Liga schätze ich als extrem stark und vor allem unberechenbar ein. Eigentlich weiß man nie, was einen am nächsten Wochenende erwartet.“

Umbau-Maßnahmen: Dietmar Schwolow (rechts) kann als Coach des TV Rheinbach nicht immer auf alle erfahrenen Kräfte wie Tobias Wolff (Nummer 33) und Daniel Engel (4) zurückgreifen. (Foto: Thomas Schmidt)

Eine Überraschung im negativen Sinne war für viele Beteiligte der Saisonstart der beiden Regionalliga-Absteiger TV Rheinbach und HSG Siebengebirge sowie vor allem der des Pulheimer SC. Die Mannschaft um Trainer Kelvin Tacke startete mit vier Pleiten in die Saison, sodass der Coach schon im September den Abstiegskampf ausrief. Nach zwei Erfolgen ist die Bilanz mit 4:8 Zählern nun aber wieder freundlicher und nicht wenige trauen den Hornets zu, einen Lauf zu starten. Tacke ist da zurückhaltender und freut sich erst einmal darüber, dass sein Team für den Moment die Kurve bekommen hat: „Bereits mit dem Start der Vorbereitung zeichnete sich die schwierige Aufgabe ab, da sich bei einem Großteil der Spieler aufgrund ihrer beruflichen Herausforderungen die Prioritäten deutlich verschoben haben und wir dadurch nur unregelmäßige Trainings- und Spielbeteiligung haben. Mitte der zweiten Halbzeit gegen Nümbrecht hat das Team dann gezeigt, wie wir das kompensieren müssen, mit Mentalität, Kampfbereitschaft und Leidenschaft. Das Team hat einen Zehn-Tore-Rückstand aufgeholt und daran in den nächsten beiden Spielen angeknüpft.“ Ähnlich ging es den Rheinbachern, die mit zwei Niederlagen starteten, jetzt aber mit 7:5 Punkten den Kontakt zum oberen Tabellendrittel hergestellt haben. Auch hier ist die Personallage schwierig und das Trainergespann Dietmar Schwolow/Jan Hammann hat längst nicht immer alle Akteure an Bord. „Gerade die jungen Spieler müssen im Moment viel Verantwortung übernehmen, sodass ich mit dem momentanen Tabellenplatz sehr gut leben kann“, meint Schwolow. Siebengebirge hängt den eigenen Ansprüchen mit 6:6 Punkten als Neunter ebenfalls eher hinterher, was Coach Lars Degenhardt aber nur wenig sorgt: „So richtig zufrieden können wir nicht sein, wenn wir auf die reine Punktausbeute schauen. Allerdings haben wir mit Birkesdorf, Pulheim, LSC II und Nümbrecht auch schon gegen vier Teams gespielt, die am Ende oben zu erwarten sind. Teilweise zufrieden bin ich mit der Umstellung unserer Art, Handball zu spielen. Da haben wir im Vergleich zur Vorsaison das eine oder andere verändert, was schon ganz gut greift.“

Während Schlusslicht Stolberg noch auf den ersten Sieg wartet, haben die Mitaufsteiger TV Palmersheim (3:7 Punkte) und TV Jahn Köln-Wahn (5:7) bereits ihre ersten Erfolgserlebnisse gefeiert. „Wir müssen uns noch an die Körperlichkeit gewöhnen. Der Step von der Landesliga in die Verbandsliga ist ’so la la‘, aber der Step von der Verbandsliga in die Oberliga ist schon enorm, was die Physis angeht, die Spielstärke angeht und den Spielwitz angeht. Da werden wir noch ein bisschen Lehrgeld bezahlen müssen“, findet Palmersheims Coach Peter Trimborn. Sein Wahner Kollege Thomas Radermacher sieht die Sache ähnlich: „Schön ist zu sagen, dass die Männer jetzt in der Oberliga angekommen sind. In allen sechs Spielen hatten wir stets das Gefühl, dass wir, wenn wir unsere Leistung abrufen, wirklich in allen sechs Spielen hätten was mitnehmen können.“ Als Vorbild könnten sich die beiden Aufsteiger den ASV SR Aachen nehmen, der nach dem langen Abstiegskampf der Vorsaison bisher eine stabile Runde hinlegt (Siebter/7:5 Punkte). „Wir sind jetzt in unserem zweiten vollen Jahr Oberliga vollends angekommen. Wir haben eine Mannschaft zusammen, die mithalten kann und nicht nur gegen den Abstieg spielen muss“, erklärt Trainer Cornelius Hesse. Sein Blick auf die Liga ist dann wenig überraschend und fasst die herrschende Meinung gut zusammen: „Ich sehe da keinen Top-Favoriten, jeder kann jeden schlagen, je nachdem, wer an Spielern zur Verfügung steht, wer krank ist, wer verletzt ist.“ In diesem Punkt waren sie sich ja im Grunde schon vor der Saison einig.