1. Bundesliga
Ganz einfach: Gummersbach fällt im Stresstest durch
VfL führt in Melsungen zur Pause mit 14:10 und in der zweiten Hälfte mit 17:13, verliert aber anschließend komplett den Überblick und am Ende verdient mit 22:28.

Finsterer Blick: Stepan Zeman (66) bekam die letzte Viertelstunde des für Gummersbach betrüblichen Abends nach seiner Roten Karte nicht mehr auf der Platte mit. Ellidi Vidarsson (4) und Tom Kiesler (30) waren bis zum Schluss dabei, aber ebenfalls ziemlich machtlos. (Foto: Thomas Schmidt)

MT Melsungen – VfL Gummersbach 28:22 (10:14). Natürlich fiel der Erfolg der Hausherren am Ende zu deutlich aus, denn Gummersbach war sicher in der Addition beider Halbzeiten keine sechs Tore schlechter. Grundsätzlich ging die Niederlage des Aufsteigers aber in Ordnung – was sich bis zur 41. Minute und einer 17:13-Führung nicht mal im Ansatz abzuzeichnen schien. Keine 180 Sekunden darauf hatte Melsungen allerdings durch drei Treffer hintereinander zum 16:17 (42.) verkürzt – und in der direkt folgenden Auszeit sollte sich VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson, mit der Erfahrung einer langen Spieler-Karriere auf Weltklasse-Niveau ausgestattet, gründlich irren: „Alles ist in Ordnung. Wir sind immer noch in Führung und wir gewinnen dieses Spiel.“ Erstens: Es war schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr alles in Ordnung. Zweitens: Gummersbach war auch nicht mehr lange in Führung. Und drittens: Im Schluss-Abschnitt kamen die Gäste nach dem 20:21 (51.) auch nicht mehr für einen Sieg in Frage. Meldungen, gestützt auf den herausragenden Keeper Nebosja Simic (16 Paraden/47 Prozent aller Würfe auf seinen Kasten abgewehrt) und den am Ende nicht zu bremsenden Rückraumspieler André Gomes (sechs Treffer) konnte sich mit einem finalen 8:1-Lauf gegen zerfallende Gummersbacher fast in einen Rausch spielen. Der VfL bleibt dennoch mit 11:9 Punkten vorerst Achter – was für einen Aufsteiger grundsätzlich eine gute Bilanz ist. Auf der anderen Seite ist der ganz große Schwung der ersten fünf Partien mit 8:2 Zählern abhandengekommen und die 3:7 aus den folgenden fünf Spielen belegen eindeutig, dass Sigurdssons Team endgültig im raueren Alltag angekommen ist.

Die später zunehmend torarme Begegnung schienen zunächst Blohme-Festspiele zu werden, denn der Rechtsaußen erzielte bis zum 3:1 (8.) alle drei Gummersbacher Treffer. Weil die Abwehr vor dem guten Torhüter Tibor Ivanisevic kompromisslos arbeitete, blieb der VfL in der von beiden Seiten mit vielen Fehlern durchsetzten Partie übers 7:4 (19.) und 8:5 (20.) sicher vorne, ehe sich bis dahin oft hilf- und ideenlose Hausherren mit dem 8:9 (23.) erstmals nennenswert anmeldeten. Die Gäste, hier sehr souverän und vor allem entschlossen, antworteten ziemlich unbeeindruckt – 12:8 (27.), 13:9 (28.), 14:10 (30.). Neben Blohme waren mittlerweile längst auch Julian Köster und Kreisläufer Ellidi Vidarsson (alle drei Tore) kaum zu kontrollieren. Und Linksaußen Hakon Styrmisson demonstrierte seine Qualitäten als Mann für die einfachen Tore nach Tempogegenstößen. Styrmisson (sechs Treffer), Blohme (fünf) und Vidarsson (vier) waren an diesem Abend insgesamt sowieso die besten Werfer des VfL, der das hohe Risiko der Gastgeber mit dem siebten Feldspieler oft bestrafen konnte.

Dass die zweite Halbzeit für Gummersbach ausgesprochen unglücklich lief, zeigten unter anderem zwei Szenen in jener Phase, als der Abend zu kippen begann – und im Mittelpunkt stand der nicht zuletzt für die Abwehr zentral wichtige Kreisläufer Stepan Zeman. Beim Stande von 17:17 lief der 25-Jährige vorne regelwidrig durch den Kreis – technischer Fehler, Ballverlust in der 45. Minute. Genau 30 Sekunden darauf griff Zeman, aus der frühen Phase des Spiels (5./14.) bereits mit zwei Zeitstrafen belastet, zu energisch gegen Gomes ein – dritte Zeitstrafe, Rote Karte (46.). Die alleine konnte allerdings keine vernünftige Erklärung dafür sein, warum der VfL defensiv immer löchriger wirkte und offensiv immer ratloser. Nach dem 20:24 (54.) verkürzte Jonas Stüber auf 21:24 (55.), doch spätestens mit den Melsunger Toren zum 25:21 (56.) und 26:21 (57.) war die Sache gelaufen und Tom Jansens 22:26 (58.) höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf der anderen Seite dachte Melsungen (Zehnter/10:10 Punkte), einmal richtig auf den Geschmack gekommen, nicht an Schonung: Gomes und Florian Drosten erhöhten in der Schlussminute noch auf 28:22.

Beinahe sprachlos wirkten hinterher fast alle Gummersbacher. Kapitän Julian Köster brachte die Vorstellung des VfL trotzdem ganz passend auf den Punkt: „Das haben wir uns selbst zuzuschreiben. Wir dürfen uns nicht so präsentieren wie in der zweiten Halbzeit.“ Die ging nach der Vier-Tore-Führung in der Pause tatsächlich mit 8:18 verloren – was nichts anderes als ein Desaster ist. Welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen, wird Gegenstand intensiver Erörterungen sein müssen, weil der Bundesliga-Rückkehrer in den nächsten Wochen vor ein paar Herkules-Aufgaben steht: Los geht es in einer Woche am 10. November in der Schwalbe-Arena gegen die SG Flensburg-Handewitt (aktuell Dritter), weiter am 13. November beim Bergischen HC (hat auf Rang 14 gar nichts zu verschenken) und am 27. November beim Rekordmeister THW Kiel (Vierter). Und den Dezember eröffnen die Gummersbacher am 1. mit dem Heimspiel gegen die Rhein-Neckar Löwen (Zweiter). Das ist an sich ein tolles Programm mit einer Menge Potenzial für vier Handballfeste – und zwei davon könnten sogar in der Schwalbe-Arena steigen. Falls die Gummersbacher wieder ihren alten Schwung und die alte Leichtigkeit finden.

VfL Gummersbach: Norsten, Ivanisevic – Vidarsson (4), Kodrin, Köster (3), Blohme (5), Schroven, Schluroff, Mappes, Pregler (1), Styrmisson (6/2), Kiesler, Stüber (1), Jansen (2), Zeman.