1. Bundesliga
Festabend: Warum Gummersbach nur gewinnen kann
VfL hat im Duell mit dem Top-Klub aus Schleswig-Holstein wenig zu verlieren. Weil es zuletzt verrückte Resultate gab, ist aber nichts unmöglich.

Wir finden eine Lösung! Trainer Gudjon Valur Sigurdsson und sein „Mastermind“ Dominik Mappes wissen, dass die Gummersbacher für ein ordentliches Ergebnis gegen Flensburg eine ungewöhnlich gute Leistung brauchen – und sie wissen, dass der VfL dazu grundsätzlich auch in der Lage ist. (Foto: Thomas Schmidt)

Worin liegt da die Chance des VfL Gummersbach? Vielleicht darin, dass er eher keine oder nur eine kleine hat? Vielleicht ist aber plötzlich alles ganz anders, weil die Bundesliga gerade besonders verrückte Geschichten jenseits des Normalen oder Kalkulierbaren schreibt. Was noch am ehesten in den Rahmen passt: Am vergangenen Sonntag gewinnt der HSV Hamburg, der sich als Neunter ungefähr auf dem Niveau des Achten Gummersbach durch die Saison bewegt, gegen den Zweiten Rhein Neckar Löwen am Ende einer aufregenden Partie mit 40:37. Es sind die beiden nie zu bremsenden Dänen Casper Mortensen und Jacob Lassen, die den HSV durch jeweils elf Treffer zum Sieg führen. Was etwas mehr Aufsehen erregt: Der TBV Lemgo nimmt am Samstag vom großen THW Kiel einen 33:32-Erfolg mit und verbessert dadurch schlagartig seine Chancen im Kampf um den Klassenerhalt. Und was eigentlich gar nicht passieren darf und so sicher nicht vorgesehen war: Der TSV GWD Minden, zuvor neun Mal hintereinander geschlagen von der Platte gegangen und mit 0:18 Zählern am Ende des Feldes platziert, bezwingt am Sonntag die an der Tabellenspitze stehenden und bis dahin unbesiegten Füchse Berlin mit 32:27. Es sind jene Mindener, die nur anderthalb Wochen vorher in Gummersbach beim 22:26 zumindest in der ersten Halbzeit (7:10) einer von beiden Seiten schwach geführten Partie wie ein kommender Absteiger aussehen. In der Addition aller Faktoren ist die Aufgabe des VfL (Neunter/11:9 Punkte) am Donnerstagabend gegen die SG Flensburg-Handewitt (Dritter/15:5 Punkte) trotzdem vor allem die Chance, an einem ganz großen Handballfest teilzunehmen. Dass die Mannschaft von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson dabei nicht nur staunender Zuschauer sein will, versteht sich von selbst. Schließlich geht es auch darum, mal wieder was fürs eigene Selbstbewusstsein zu tun und für den Rest dieses Jahres mit insgesamt sieben weiteren Aufgaben wieder Fahrt aufzunehmen.

Die heutige SG Flensburg-Handewitt entstand 1990 aus den Handballern des Handewitter SV und TSB Flensburg – also ein Jahr, bevor der VfL zum letzten Mal Deutscher Meister wurde. Die sportliche Geschichte der SG, die erst seit 1992 in der Bundesliga zu Hause ist, hat was Märchenhaftes – unter anderem mit dem Gewinn der Champions League 2014 sowie drei Deutschen Meisterschaften (zuletzt 2018, 2019), vier Erfolgen im DHB-Pokal und drei im Supercup. Star des Teams, strategischer Kopf der Mannschaft und verlängerter Arm seines Trainers Maik Machulla ist normalerweise der schwedische Spielmacher Jim Gottfridsson (30), der seit einigen Jahren als einer der besten Handballer der Welt gilt. Pech für die SG allgemein und den Spieler selbst: Gottfridsson muss zurzeit wegen eines Muskelbündelrisses in der Wade pausieren. Dass die Flensburger nach Rang vier aus der vergangenen Saison diesmal trotzdem wieder für Größeres in Frage kommen, zeigten sie etwa in den spannenden Duellen gegen die Top-Konkurrenten Berlin (31:31), Löwen (27:28) und SC Magdeburg (35:34). Dass die Flensburger gleichzeitig wenigstens hin und wieder für eine aus ihrer Sicht unangenehme Überraschung gut sind, zeigte sich am 9. Oktober (noch mit Gottfridsson) mit dem 21:26 beim TBV Lemgo, der seinerzeit mit 2:10 Punkten aus sechs Spielen in den Abend gegangen war. Möglicherweise entdecken die Gummersbacher ja im Videostudium, wie Lemgos Coach Florian Kehrmann mit seinen Spielern den Favoriten entzaubern konnte.

Einen Erfolg darf von den Gummersbachern dennoch niemand verlangen, allerdings wäre sicher eine Steigerung im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit angebracht. Seit dem fünften Spieltag, als das Konto nach dem 29:24 über den TVB Stuttgart bei 8:2 Punkten stand, sind Euphorie und Schwung erkennbar zurückgegangen – was zuletzt bei MT Melsungen nach einer 14:10-Führung am Ende der ersten Halbzeit aufgrund eines unbrauchbaren zweiten Durchgangs in eine 22:28-Pleite führte. VfL-Kapitän Julian Köster ist aber zuversichtlich, dass sich der Aufsteiger in der vermutlich aus den Nähten platzenden Schalbe-Arena wieder von seiner besseren Seite zeigen wird: „Mit einer vollen Halle ist gegen jede Mannschaft etwas möglich, auch wenn klar ist, dass dafür gegen Flensburg viel stimmen muss. Flensburg ist auf allen Positionen mehrfach top besetzt und von daher immer ein Kandidat für die Meisterschaft.“ Für Rückraumspieler Köster persönlich ist die Partie auch ein Duell mit dem Nationalmannschafts-Kollegen Johannes Golla, der bei den Flensburgern als Kreisläufer ebenfalls in Angriff und Abwehr eine zentrale Rolle einnimmt. Die Herren werden auf jeden Fall häufiger direkten Kontakt haben.

Wer dabei die Oberhand behält? Offensiv hat nach zehn Spielen bislang Golla die Nase mit 45 Toren knapp vorne, weil Köster bei „nur“ 42 Treffern steht. Gummersbach könnte noch Dominik Mappes als bisher besten Werfer anführen (62), was Flensburg mit Emil Jakobsen (65) kontern könnte. Ansonsten haben nicht die Gäste aus Schleswig-Holstein einen dritten Spieler unter den besten 20 Torschützen der 1. Bundesliga, sondern die Gummersbacher: Lukas Blohme steht bei 45 Treffern. Dass der Rechtsaußen wie kein Zweiter im Team von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson von seinen Emotionen lebt, passt im Übrigen besonders gut zu diesem Kracher am Donnerstagabend. Spätestens ab 19.05 Uhr wird das Oberbergische sowieso im Handball-Fieber liegen.