11. November 2022 | Zurück zur Artikelübersicht » |
VfL Gummersbach – SG Flensburg-Handewitt 31:29 (13:15). Vielleicht haben sich die Vereine der 1. Bundesliga entschlossen, das Verrückte zur neuen Normalität zu erheben. Nach den erstaunlichen Ergebnissen vom vergangenen Wochenende mit den Niederlagen der Prominenz aus THW Kiel (32:33 gegen TBV Lemgo), Füchse Berlin (27:32 beim TSV GWD Minden) und Rhein-Neckar Löwen (37:40 beim HSV Hamburg) war das Oberbergische am Donnerstagabend das Epi-Zentrum eines weiteren handballerischen Erbebens – weil der Aufsteiger Gummersbach die großen Flensburger, die als klarer Favorit gelten mussten, in einer aus Sicht der Gastgeber spektakulären zweiten Halbzeit niederrangen. Was beim 18:21 (39.), 19:22 (42.), 20:23 (44.) oder 21:24 (45.) noch ein aussichtsloses Unterfangen zu sein schien, war wenig später der Beginn eines triumph-ähnlichen Finales, in dem spätestes mit dem vierten Gummersbacher Tor hintereinander zur 25:24-Führung (48.) durch Lukas Blohme zum ersten Mal das Dach von der offiziell mit 4132 Zuchauern ausverkauften Schwalbe-Arena zu fliegen drohte. Erstaunlich: Gummersbach ließ nur beim 25:25 (50.) wieder den Ausgleich zu, hatte auf der Zielgeraden immer eine Antwort auf alle bisweilen hilflos wirkenden Versuche der Gäste und durfte sich später von seinen zunehmend euphorisierten Fans feiern lassen. Das kölsche Liedgut der Kultgruppe Brings kurz nach der Schluss-Sirene passte perfekt dazu: „Besoffe vör Glück.“ Nach dem spektakulären Erfolg stehen zwei Dinge fest: Es ist ein absurder Gedanke, dass die auf Platz acht und 13:9 Punkte verbesserten Gummersbacher irgendwie in den direkten Kampf gegen den Abstieg verwickelt werden könnten – und es ist ein absurder Gedanke, dass die zuletzt im Grunde wieder ziemlich erfolgreichen Flensburger, die nun bei 15:7 Zählern und Rang sechs gar nicht weit vor den Gummersbachern zu finden sind, in dieser Verfassung eine Gefahr für die Titel-Konkurrenz sein können.
Vor allem der Start in den Abend hatte sehr wenig von einem Handball-Fest und die Gummersbacher waren sowohl auf der Bank als auch auf der Tribüne und im Umfeld oft genug intensiv damit beschäftigt, jede Entscheidungen der Schiedsrichter zu kommentieren – in der Regel lautstark und bisweilen ziemlich niveaulos. Insbesondere die frühen Zeitstrafen gegen Ellidi Vidarsson (4./9.) und Tom Kiesler (14./20.) sorgten für reichlichst Aufregung – die den VfL jedoch keinen Zentimeter nach vorne brachte. Am Ende konnte sowieso keine Rede davon sein, dass die Schiedsrichter eines der beiden Teams nennenswert benachteiligt hätten: Fünf Zeitstrafen gab es gegen den VfL, vier gegen die SG sowie vier Siebenmeter für Gummersbach und keinen einzigen für die Gäste aus Schleswig-Holstein, die ohne ihren verletzten Regisseur Jim Gottfridsson angetreten waren und dann im Laufe der ersten Halbzeit zwei weitere Stützen verloren: Nationalmannschafts-Kapitän Johannes Golla humpelte von der Platte und versuchte es erst in der Schlussphase noch einmal, während Rückraumspieler Magnus Rød, am Anfang das auffälligste Problem der VfL- Abwehr (drei Tore bis zum 4:4 in der siebten Minute), zwar behandelt wurde, aber nicht mehr zurückkam.
Der Favorit sah über weite Strecken der ersten Halbzeit und in der zweiten lange so aus, als könne er die Angelegenheit relativ ungefährdet kontrollieren und bei Bedarf jederzeit eine ausreichende Antwort abrufen. Nach dem frühen 1:0 (2.) von Emil Jacobsen legte die SG immer vor – 7:5 (13.), 10:8 (18.), 12:9 (21.), 14:11 (27.), 15:13 (30.). Dass die Flensburger bereits hier unter anderem in Überzahl nicht nur gute Lösungen fanden, hätte bereits ein Hinweis auf die spätere Entwicklung sein können, bei der Gummersbach gleichzeitig für seinen Mut belohnt wurde – Mut besonders deshalb, weil die mit jeweils zwei Zeitstrafen belasteten Vidarsson und Kiesler früh genug zurückkehrten, um vor Keeper Tibor Ivanisevic eine leidenschaftliche arbeitende Abwehr zu organisieren. Dort lag schließlich der Schlüssel zum Sieg, besonders gut zu erkennen am 29:26 (55.) von Lukas Blohme: Ivanisevic hält, drei Sekunden darauf landet das Spielgerät zum Tempogegenstoß beim Rechtsaußen, Tor. Blohme mit dem 30:27 (57.) und Dominik Mappes mit dem 31:28 (58.) setzten kurz darauf den Schlusspunkt unter einen letztlich ebenso verdienten wie unerwarteten Gummersbacher Erfolg.
Trainer Gudon Valur Sigurdsson war stolz auf das Geleistete: „Ich könnte kaum glücklicher sein. Wir haben heute fast ein Topspiel gesehen. Um eine Mannschaft wie Flensburg zu schlagen, braucht man es, dass auch sie nicht ihren besten Tag haben. Wir haben insbesondere in der ersten Halbzeit gesehen, welche Qualität auf der anderen Seite steht. Mich freut es für die Jungs, denn sie arbeiten hart, das betone ich immer wieder. Ich habe großen Respekt vor meinen Jungs, denn so ein Sieg ist nicht selbstverständlich.“ Kollege Maik Machulla wirkte logischerweise sehr viel nachdenklicher. „Es ist schwer, etwas zu sagen, nachdem wir hier zwei Punkte verloren haben“, sagte der SG-Coach, „es war von beiden Mannschaften ein intensives Spiel mit einem harten Kampf. Es gab viele Höhen auf unserer Seite, aber eben auch bei Gummersbach. In den entscheidenden Momenten haben wir das Spiel komplett aus der Hand gegeben. Jetzt folgt eine lange Heimfahrt, auf der wir uns viele Gedanken machen müssen, denn diese Niederlage tut uns extrem weh.“
Besonders viel Zeit bleibt den Gummersbachern nicht, um den Erfolg zu genießen – weil es bereits am Sonntag mit der Aufgabe beim Bergischen HC (Platz 14/6:14 Punkte) weitergeht. „Jetzt müssen wir uns schnell erholen“, betont Sigurdsson, „wir sollten mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben.“ Außerdem darauf er davon ausgehen, dass BHC-Coach Jamal Naji, zusammen mit seinem Co-Trainer Peer Pütz aufmerksamer Beobachter in der Schwalbe-Arena, alle frischen Eindrücke auf die letzte Vorbereitung einfließen lässt, um möglichst weiteren Boden im Kampf um den Klassenerhalt unter die Füße zu bekommen. Insgesamt verspricht das ein heißer Nachmittag zu werden.
VfL Gummersbach: Norsten, Ivanisevic – Vidarsson (4), Kodrin (1), Köster (4), Blohme (7), Schroven (2), Schluroff (1), Mappes (6/2), Pregler, Styrmisson (2), Kiesler, Stüber, Jansen (3), Zeman (1).