1, Bundesliga
VfL freut sich auf die Zebras, BHC kämpft um vier Punkte
Gummersbacher sind ausgeruht - und bei gestressten Kielern trotzdem Außenseiter. Fürs Team von Trainer Jamal Naji ist Göppingen ein wichtiges November-Finale.

Isländische Freude: Das 31:29 kürzlich gegen Flensburg war für Trainer Gudjon Valur Sigurdsson und ganz Gummersbach ein Festtag. Der Sieg tat damals im Übrigen auch den Kielern gut. Geschenke für den VfL werden sie jetzt aber kaum verteilen. (Foto: Thomas Schmidt)

Normalerweise liegt die Chance des VfL Gummersbach ja darin, dass er keine hat – oder höchstens eine geringe. Schließlich geht es am Sonntag in die Wunderino-Arena des großen THW Kiel, der seit vielen Jahren Maßstäbe im deutschen Handball setzt – wie einst der VfL, der früher ebenfalls mal das Maß aller Dinge war, ehe er den Abwärtssog am Ende der Saison 2018/2019 nicht mehr aufhalten konnte und die höchste deutsche Klasse verlassen musste. Mit der euphorisch gefeierten Rückkehr aus der 2. Bundesliga in die 1. Bundesliga vor knapp einem halben Jahr ging dann nach drei Jahren die Leidenszeit im Oberbergischen zu Ende, wo sie sich selbst gerne als „Heimat des Handballs“ bezeichnen und deshalb die Zugehörigkeit zum Kreis der aktuell besten Klubs als natürliche Angelegenheit sehen. Und der bisherige Verlauf der Saison 2022/2023 lässt auch nur den Schluss zu, dass die Gummersbacher gekommen sind, um zu bleiben. Rang acht und 14:10 Punkte im ersten Jahr nach der Rückkehr sind eine starke Bilanz und der Abstand zu den beiden Abstiegsplätzen ist komfortabel: Der Vorletzte TSV GWD Minden (6:22) liegt acht Punkte zurück, das zunehmend den Anschluss verlierende Schlusslicht ASV Hamm-Westfalen (2:26) sogar zwölf. Deshalb kann das Team von VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson die Dienstreise nach Schleswig-Holstein durchaus als Genießertour sehen – nicht aus touristischen Gesichtspunkten, sondern aus rein sportlichen. Die Partie wird die Gummersbacher unabhängig vom Ergebnis in ihrer Entwicklung weiterbringen. Und natürlich ist zugleich der Traum erlaubt, dass etwas Ähnliches gelingen könnte wie am 10. November mit dem 31:29 über die SG Flensburg-Handewitt – dessen Niederlage damals unter anderen die Kieler nicht ungern sahen. Die Füchse Berlin (25:3), Kiel (22:4), Rhein-Neckar Löwen (21:7), Flensburg (18:8) und Titelverteidiger Magdeburg (17:5) bilden den Kreis der fünf Top-Teams, aus dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der nächste Deutsche Meister stammen wird.

Dass die Kieler den VfL etwa unterschätzen, glaubt beim Außenseiter selbst keiner. Das, was in die Kategorie der groben Ausrutscher gehört, hat die mit Mannschaft von Trainer Filip Jicha bereits vor einigen Wochen mit der 32:33-Heimpleite gegen den TBV Lemgo hinter sich gebracht. Seitdem gab es in der Bundesliga wieder vier Siege in Folge und darunter zuletzt den 34:33-Krimi in Magdeburg. Zur Dauerbelastung auf höchstem Niveau gehörte dann am Donnerstagabend der Einsatz in der Champions League (noch Vorrunde), in dem die Kieler sehr viel investieren mussten – und letztlich ein 30:30 gegen den amtierenden Titelträger FC Barcelona zu erzielten. Ob die kraftraubende Partie der „Zebras“ den ausgeruhten Gummersbachern hilft, die in den vergangenen zwei Wochen ohne Punktspiel-Einsatz ein paar Blessuren behandeln/beheben und die Akkus aufladen konnten, wird sich am Sonntag ab 14 Uhr zeigen. Unabhängig davon freuen sich Team und Trainer auf die bevorstehende Dienstreise – wie zum Beispiel Keeper Tibor Ivanisevic: „Kiel ist eine der besten Mannschaften der Welt.“ Heißt in der Übersetzung: Solche Duelle gibt es nicht oft und sie haben den Reiz des Besonderen. Sehr anspruchsvoll wird allerdings anschließend auch der weitere Jahres-Endspurt mit den Spielen am 1. Dezember gegen die Rhein-Neckar Löwen, am 8. Dezember beim HC Erlangen, am 15. Dezember gegen den TSV Hannover-Burgdorf, am 18. Dezember gegen die Füchse Berlin und am 27. Dezember gegen den HSV Hamburg. Zwischen Berlin und Hamburg steht zudem das Achtelfinale des DHB-Pokals auf dem Programm, in dem Gummersbach am 21. Dezember beim Bundesliga-Schlusslicht ASV Hamm-Westfalen ausnahmsweise der Favorit sein wird.

Auf die Tradition und Erfolge der Kieler oder Gummersbacher kann der Bergische HC nicht zurückgreifen, weil es ihn in dieser Form als Nachfolger der SG Solingen ohnehin erst seit 2006 gibt und er nicht gar durchgängig in der 1. Bundesliga unterwegs war. Das ist erst seit dem Beginn der Serie 2018/2019 wieder der Fall und im fünften Jahr danach geht es für den BHC weiter „nur“ darum, eine feste Position im gesicherten Mittelfeld zu ergattern und sich dort zu etablieren. Der Weg zu diesem Ziel schien nach dem Wechsel auf dem Trainerstuhl von Sebastian Hinze (jetzt Rhein-Neckar Löwen) zu Jamal Naji (vorher TuSEM Essen) schwieriger als erwartet zu werden, denn auf die 4:4 Punkte aus den ersten vier Spielen folgten fünf Niederlagen hintereinander – ohne dass Naji die Ruhe verlor. Weil er trotz allem ganz gut rechnen kann, stand seine Forderung nach dem unglücklichen 27:29 am 29. Oktober bei den Füchsen Berlin für die folgenden Aufgaben trotzdem schnell fest:  „Jetzt kommt ein sehr wichtiger Monat für uns mit vier wichtigen Spielen. Da müssen wir unsere Punkte holen, da zählt es. Wir müssen dieses Gefühl mitnehmen, dass wir da mithalten können, dass wir uns von Spiel zu Spiel entwickeln.“ Knapp vier Wochen und drei Partien später blickt der BHC auf diese Bilanz zurück – 24:23 im Krimi gegen die HSG Wetzlar (Zwölfter/9:19 Punkte), 30:30 im Drama gegen den Neunten VfL Gummersbach (14:10), 31:27 beim Letzten ASV Hamm-Westfalen (2:26). Die Welt sieht nach diesen 5:1 Zählern mit dem zwölften Platz und 9:15 Punkten wieder angenehmer aus.

Ob sie bald sogar viel freundlicher aussieht, hängt vor allem vom November-Finale am Sonntag und dem Heimspiel gegen Frisch Auf Göppingen ab. Dabei würde der BHC ein gut fünf Wochen altes Ergebnis gerne noch einmal nehmen: Am 20. Oktober gewann die Mannschaft von Trainer Jamal Naji in der zweiten Runde des DHB-Pokals mit 32:26 gegen Frisch Auf – was für Naji aber kein direkter Maßstab mehr ist, weil den Göppingern damals unter anderem ihr Stammkeeper Daniel Rebmann fehlte (ab der kommenden Saison beim VfL Gummersbach). Nicht nur den Pokal, sondern auch die Meisterschaft hatte sich der Fünfte der vergangenen Saison, der in dieser Serie in der European League unterwegs ist und am Dienstag in Montpellier mit 27:35 verlor, trotzdem anders vorgestellt: Rang 17 und 7:19 Punkte reichen zurzeit nur zum ersten der drei Abstiegsplätze und das jüngste 26:29 gegen den Vorletzten Minden ließ die Göppinger Sorgen weiter wachsen. In der Summe ergibt sich daraus, dass die Gastgeber fast vor einem „Vier-Punkte-Spiel“ stehen. Gewinnen sie, legen sie eine größere Distanz zwischen sich und Frisch Auf. Verlieren sie, ist der Gegner wieder dran – was die Gastgeber nachvollziehbar verhindern wollen. Der Rest des Jahres 2022 hat es anschließend ebenfalls in sich: Es warten die Spiele beim MT Melsungen (Siebter/4. Dezember), gegen die SG Flensburg-Handewitt (Vierter/11. Dezember), beim SC DHfK Leipzig (Elfter/18. Dezember) und beim TSV Hannover-Burgdorf (Neunter/27. Dezember). Und kurz vor Weihnachten steht wie nebenbei das Achtelfinale des DHB-Pokals beim Deutschen Meister SC Magdeburg auf dem Programm. Naji fasst es treffend zusammen: „Der Dezember wird hart.“