Regionalliga Nordrhein
Die Besten im Westen: Gipfeltreffen in Ratingen
Tabellenführer Interaktiv.Handball erwartet den Zweiten TV Korschenbroich. Beide Seiten sind heiß aufs Gipfeltreffen. Und sie haben viel Respekt voreinander.

Der die Lücke sucht: David Klinnert (beim Wurf) und seine Korschenbroicher wollen Ratingens Abwehr so oft wie möglich ausspielen. Interaktiv-Keeper Denis Karic will demgegenüber natürlich durch seine Paraden so viele Gegentreffer wie möglich verhindern. (Foto: Sven Frank)

Es ist auf jeden Fall eins der Spiele, die die Bezeichnung Kracher verdienen. Das hat zunächst mit den nackten Zahlen zu tun, denn der immer noch ungeschlagene Erste Interaktiv.Handball (25:1 Punkte) trifft direkt beim Wiederbeginn der Meisterschaft im Jahr 2023 auf den TV Korschenbroich (20:2 Punkte). Beide Klubs haben vor der Saison offensiv das Erreichen der 3. Liga als Ziel für diese Saison ausgegeben. Beide sind ihrer Rolle bisher vollauf gerecht geworden, denn hinter ihnen haben weder die HG Remscheid noch der OSC Rheinhausen (beide 18:8) oder der HC Gelpe/Strombach (17:9) ernsthafte Aussichten auf die Meisterschaft – und sowieso nie einen Anspruch darauf erhoben. Bereits am ersten Spieltag gab es keinen besonders messbaren Unterschied zwischen den Korschenbroichern und den Ratingern, die damals am 2. September 2022 in der Waldsporthalle knapp mit 25:24 gewannen und dadurch einen bis heute fühlbaren Vorteil einfuhren. Im Grunde läuft der TVK diesem Resultat seit diesem Tag nach und seine zehn Siege hintereinander zeigen auch, dass er längst nicht aufgegeben hat. Trainer Gilbert Lansen glaubt nicht mal, dass die bevorstehende Partie am Samstagabend in der Ratinger Halle an der Gothaer Straße bereits eine endgültige Entscheidung bringt: „Egal, was passiert. Die Saison ist noch lang. Natürlich hat der Gewinner einen kleinen Vorteil.“ Weil die Rechenaufgabe nicht schwierig ist, liegt aber selbst für Lansen auf der Hand, dass der kleine Vorteil im Fall eines Interaktiv-Erfolges für den Tabellenführer doch etwas bis bedeutend größer ausfällt. Alexander Oelze, der als spielender Coach zusammen mit Filip Lazarov das Trainerduo bei Interaktiv bildet, teilt die Auffassung von Lansen, dass die Serie so oder so spannend bleibt: „Das ist noch ein weiter Weg. Und wir haben in der Hinrunde einige Spiele nur knapp gewonnen.“

Vollkommen einig sind sich die Hauptdarsteller zudem im gegenseitigen Respekt – unabhängig von der Frage, wem welche finanziellen Mittel für welche Verpflichtungen zur Verfügung stehen. „Ratingen hat eine Qualität, die es sonst so nicht gibt“, findet Lansen, „sie haben einen starken und breiten Kader mit vielen erfahrenen Spielern.“ Zwei Beispiele für die zum Teil spektakulären Verpflichtungen: Im vergangenen Sommer kam Rückraumspieler Ante Grbavac (29) vom Zweitligisten TSV Bayer Dormagen nach Ratingen und im nächsten Sommer wird Torhüter Sebastian Bliß (32) vom Zweitligisten TuSEM Essen den Kader verstärken. „Jeder Verein hat seine eigene Philosophie“, sagt der TVK-Trainer, dessen Kollege Oelze nicht erst durch intensives Video-Studium zu diesem Urteil über die Korschenbroicher gelangte: „Das ist eine sehr gute Mannschaft. Sie stellen eine gute Abwehr, sie spielen mit viel Tempo und Druck nach vorne und im Positions-Angriff sind sie sehr variabel.“ Bei aller Wertschätzung für den jeweils anderen: Natürlich ist jeder von sich selbst überzeugt und natürlich ist sich jeder für diese anderthalb Stunden selbst der Nächste. „Wir wissen, was wir können“, betont Oelze, „und es macht viel mehr Spaß, vor einer guten Kulisse zu spielen – selbst wenn sie gegen uns ist.“ Im Übrigen tue es der Mannschaft gut, wenn jüngere Leute wie Hendrik Stock (21) oder Jonas Perschke (19) zunehmend mehr Spielanteile bekommen: „Die Erfahrenen und Alten können ja nicht ewig spielen.“ Für sich selbst hat Ex-Profi Oelze (39) in diesem Zusammenhang die Entscheidung getroffen, in der nächsten Serie 2023/2024 noch aktiv auf der Platte zu stehen – was dann aus Ratinger Sicht vorzugsweise und gerne in der 3. Liga sein darf.

Gilbert Lansen bescheinigt seiner  Mannschaft vorab, dass sie mit Leidenschaft und dem unbedingten Willen zum Erfolg ausgestattet ist: „Die Jungs trainieren und arbeiten hart.“ Unabdingbare Bestandteile der Mixtur für einen eigenen Erfolg sind für ihn eine herausragende Leistung des Pakets aus Torhüter und Abwehr – die mit erst 290 Gegentreffern in elf Partien (Durchschnitt 26,36) die beste in der Regionalliga ist. „Unsere Torquote müssen wir verbessern“, sagt Lansen vor allem im Rückblick aufs damalige 24:25. Vorne liegt der TVK inzwischen mit 362 erzielten Toren über der 30er-Marke (Durchschnitt 32,90), doch hier sieht Ratingen besser aus: 446 Tore in 13 Spielen, Durchschnitt 34,30. Dass Interaktiv auf der anderen Seite im Schnitt knapp mehr als 30 Gegentreffer aufweist (30,69/399 insgesamt), könnte eine Chance für Korschenbroich sein – wenn es die Wirksamkeit des Interaktiv-Angriffs um die Top-Torschützen Grbavac (95) und Tomislav Nuic (84) zu begrenzen vermag. Vielleicht entscheiden am Ende aber tatsächlich mal wieder Kleinigkeiten oder Dinge, die sich einfach nicht kalkulieren lassen. Bis dahin könnten sich beide Seiten in ihrem Ausblick erneut abgesprochen haben. „Wir freuen uns sehr auf dieses Spiel“, erklären sie nahezu deckungsgleich. „wir sind heiß drauf.“ Was das alles für die weitere Saison bedeutet, wird am Samstagabend zumindest ein bisschen klarer sein.

Den Wieder-Einstieg in die Saison nach der Pause über Weihnachten und Silvester eröffnen am Freitagabend der Bergische HC II und TuSEM Essen II, zwei seit einer halben Ewigkeit auf den nächsten Sieg wartende Klubs. Bei den Solingern ahnte am 21. Oktober 2022 niemand, dass nach dem 31:28 über die HSG Refrath/Hand eine Durststrecke von 1:13 Punkten folgen sollte – und bei den Essenern keiner, dass nach dem 38:26 vom 1. Oktober 2022 gegen den MTV Rheinwacht Dinslaken eine Serie von 2:14 Zählern ohne doppelten Punktgewinn hinzukommen würde. Logische Konsequenz der anhaltenden Ebbe: Essen ist auf Rang zehn abgerutscht (10:16 Punkte), der BHC auf Platz zwölf (8:18). Beide liegen damit trotzdem noch sieben beziehungsweise fünf Punkte vor den Dinslakenern (3:23) und sechs beziehungsweise acht vor dem Neusser HV (2:22), dem die längste Negativserie aller Regionalligisten zu schaffen macht: Nach dem 29:26 vom 16. September 2022 beim BHC II gab es neun Niederlagen hintereinander, sodass die Mannschaft von Trainer Julian Fanenbruck zum Verlassen des Kellers allmählich wohl ein Wunder braucht – und vermutlich einen Sieg am Samstag gegen den Sechsten SG Langenfeld (15:11). Unter besonderem Zugzwang stehen unten außerdem die Dinslakener gegen die TSV Bonn rrh. (Elfter/9:15), weil sie bei einer weiteren Pleite ebenfalls den Anschluss zu verlieren drohen. Deutlich weiter vorne bestreiten der HC Gelpe/Strombach und der OSC Rheinhausen ein für den Kampf um Platz drei interessantes Duell, während es für die HSG Refrath/Hand (Achter/10:14) und den HC Weiden (Siebter/11:15) vornehmlich darum geht, die Plätze im gesicherten Mittelfeld zu festigen. Was alle verbindet: Mindestens die ganze Regionalliga blickt an diesem Wochenende nach Ratingen. Dort treffen sich die aktuell Besten im Westen.