Oberliga Mittelrhein
Gipfel mit Rollentausch: Jetzt ist Dormagen II der Gejagte
TSV Bayer II erwartet den entthronten Ex-Tabellenführer SSV Nümbrecht zum Spitzenspiel.

Der mit dem festen Blick: Sören Steinhaus ist 19 Jahre jung – und als U 21-Nationalspieler längst ein fester Bestandteil des Dormagener Zweitliga-Kaders. Als Verstärkung der Oberliga-Mannschaft erzielte er zuletzt 14 Tore. (Foto: Thomas Schmidt)

Falls das wirklich ein fester Trend ist, müsste der Sieger fürs Spitzenspiel in der Oberliga Mittelrhein schon ausgemacht sein. Hier steht schließlich der TSV Bayer Dormagen II, der am vergangenen Wochenende zum ersten Mal die Tabellenführung übernahm – was einerseits die Folge des 37:36 im Krimi gegen den Longericher SC II war und andererseits sehr viel mit der 26:40-Niederlage des vorherigen Spitzenreiters SSV Nümbrecht beim TV Palmersheim zu tun hatte. Dort stehen jene Nümbrechter, die nach den ersten 13 Spielen mit makellosen 26:0 Punkten ausgestattet waren und  nun zum dritten Mal hintereinander ohne Sieg blieben (1:5 Punkte). Kurz vor Weihnachten hatte das Team von Trainer Manuel Seinsche mit dem 29:29 gegen den MTV Köln und dem 27:29 beim ASV SR Aachen erstmals etwas Zählbares abgebeben. Dormagens Oberliga-Team blickt insgesamt auf zwei Unentschieden (33:33 beim TV Rheinbach, 31:31 bei der HSG Siebengebirge) zurück – und eben auf jenes 22:32 vom 1. September 2022 in Nümbrecht. Die folgenden 26:2 Zähler aus 14 Partien ohne Niederlage beförderten die Mannschaft um Trainer Martin Berger inzwischen auf den ersten Platz: Der TSV Bayer (28:4) führt jetzt knapp vor dem SSV (27:5) und das Gipfeltreffen am Sonntag im Dormagener Sportcenter verspricht spannend zu werden. Kein Wunder: Eine Favoritentolle lehnen beide Seiten ab. Sie freuen sich allerdings gemeinsam aufs direkte Duell – und beide haben auch ein gemeinsames Ziel: Sie wollen zeigen, dass sie nicht aus Zufall so weit oben stehen.

Bei den Dormagenern sind die Schmerzen aus dem September weiter präsent. „Wir haben die Erinnerung noch sehr gut im Kopf, als uns Nümbrecht völlig verdient mit zehn Toren auswärts besiegt und da ja eine herausragende Leistung geliefert hat. Wir müssen schauen, dass das so nicht noch mal passiert. Seitdem ist viel bei uns passiert und wir wollen einfach zeigen, dass die richtigen Dinge passiert sind.“ Eins der Haupt-Themen: Berger muss immer wieder die Balance zwischen der A-Jugend und der Oberliga-Mannschaft hinbekommen, in der ja zahlreiche Bayer-Talente parallel aktiv sind. Das war unter anderem am vergangenen Wochenende ziemlich herausfordernd, weil da der Dormagener Nachwuchs in der Bundesliga-Meisterrunde zunächst beim Bergischen HC anzutreten hatte (34:31) und sich anschließend viele Spieler ohne Pause auf den Weg Rückweg machten, um das Oberliga-Duell mit dem Longericher SC II zu bestreiten. „Wir haben den Fokus auf beide Mannschaften, wir haben den Fokus für die Entwicklung unserer Jungs“, betont Berger, „gegen Longerich war es schon so, dass wir da drei gesunde Rückraumspieler auf der Platte hatten und wir hatten gerade so am Ende das Quäntchen Glück. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nümbrecht eine Antwort hat auf den Fehlstart gegen Palmersheim. Entsprechend nehme ich die Niederlage von Nümbrecht jetzt gar nicht als so tragisch wahr.“ In der Übersetzung heißt das: „Ich bleibe dabei, die Liga wird nicht am Sonntag entschieden und es ist noch ein extrem langer Weg.“ Beim Erfolg über die Longericher profitierte Dormagen im Übrigen ungeachtet anderer personeller Baustellen davon, dass derzeit die 2. Bundesliga wegen der Weltmeisterschaft in Schweden und Polen pausiert. So war der Einsatz des fest zum Zweitliga-Kader von Trainer Matthias Flohr zählenden Sören Steinhaus möglich, der letztlich mit seinen 14 Treffern die entscheidenden Beiträge lieferte. 

Im Oberbergischen brauchte SSV-Trainer Seinsche nach der Pleite in Palmersheim nicht besonders intensiv in die Analyse zu gehen. „Wir haben uns da von der ersten Minute an selber das Leben schwer gemacht“, findet Seinsche im Rückblick, „Palmersheim wollte den Sieg einfach mehr und war galliger. Wir haben alles probiert, aber so viele Geschenke verteilt. Es hat an diesem Tag einfach nicht funktioniert und das hatte nichts mit unserer Verletztenmisere zu tun. Ich hoffe, dass so etwas nicht so schnell wiederkommt.“ Aus dem Resultat zieht er nicht zuletzt diesen Schluss, den der Kollege Berger so kaum unterschreiben wird: „Wir sind nicht mehr der Favorit, das ist absolut Dormagen.“ Eins der möglichen Rezepte müsse es sein, sich wieder an die eigenen Stärken zu erinnern und dem Gegner zum Beispiel durch eine stabile Deckung möglichst viele Rätsel aufzugeben. Und defensiv setzt Nümbrecht trotz der hohen Niederlage sowieso immer noch einen Spitzenwert: Der Durchschnitt liegt jetzt bei 26,33 Gegentreffern pro Spiel, vorher waren es sogar nur 23,66. Dormagen kommt auf einen Wert von 29,60, trifft dafür aber selbst wesentlich häufiger – 33,68:30,40.

Den Ausgang des Top-Duells werden wohl diejenigen mit besonderem Interesse verfolgen, die direkt hinter der Spitze folgen – wie der Dritte HSG Siebengebirge, der nach zehn Spielen hintereinander ohne Niederlage bei 24:8 Punkten angekommen ist und in der Rückrunde noch in Nümbrecht (25. Februar) sowie in Dormagen (14. Mai) antritt. Bayer-Coach Berger richtet seinen Blick lieber nicht so weit nach vorne, sondern zuerst auf den nächsten Sonntag: „Wir haben die Möglichkeit, etwas aus dem Hinspiel zu korrigieren. Ich glaube und hoffe, dass meine Jungs darauf richtig Bock haben.“ Letzteres setzt für seine Nümbrechter auch Seinsche voraus, der den Gastgebern ansonsten sehr gerne das Beste gönnt: „Ich bin ein absoluter Fan der Dormagener. Da spielen viele toll ausgebildete junge Leute.“ Noch toller fände er es, wenn sich der SSV erneut durchsetzen könnte. „Dazu brauchen wir wieder ein Spiel, in dem wir wieder über unsere Grenzen hinausgehen“, vermutet Seinsche. Irgendwie scheinen sie in Nümbrecht ohnehin von ihrer eigenen Entwicklung überrascht zu sein – nachdem der SSV 2021/2022 als Achter der Normalrunde mit 14:16 Punkten soeben einen Platz in der Meisterrunde ergattert hatte. „Wir sind nach der vergangenen Saison ganz demütig“, sagt Seinsche. Dass der Tabellenzweite die Punkte freiwillig oder ohne Kampf in Dormagen abliefert, ist damit nicht gemeint.