2. Bundesliga
Motor träumt von einer vollen Hütte
Zaporizhzhia hat in der European League das Achtelfinale erreicht. Im Juni ziehen die Ukrainer aus Deutschland vielleicht in die Slowakei um.

Noch im Trikot des HC Motor Zaporizhzhia: Ihor Turchenko, der aktuell beste Werfer in der 2. Bundesliga, gehört aber zu den für deutsche Vereine besonders interessanten Spielern. (Foto: Thomas Ellmann)

Es ist noch keine direkte Abschiedsvorstellung, aber es wird bei vielen Beteiligten so etwas wie Wehmut aufkommen – und für die in den vergangenen Monaten in Düsseldorf beheimateten Handballer des ukrainischen Top-Klubs HC Motor Zaporizhzhia wird der 21. März sicher ein emotionaler Höhepunkt werden. Dann trifft die Mannschaft um Trainer Gintaras Savukynas auf den kroatischen Spitzenklub RK Nexe Nasice – im Achtelfinale der European League. Dass sich die Ukrainer angesichts ihrer sehr speziellen Situation und angesichts der zahlreichen großen Herausforderungen in allen Bereichen überhaupt aus der Gruppenphase heraus das Weiterkommen sichern konnten, grenzt für sich genommen schon an ein Wunder. Um für einen zum Anlass wenigstens halbwegs passenden Rahmen zu sorgen, haben sie sich in Düsseldorf unter dem Titel „Home of Solidarity“ ein paar Dinge ausgedacht – vor allem den Verzicht auf den Verkauf von Tickets: Der Eintritt ist (ebenso wie das Parken) frei für die Partie um 18.45 Uhr und der Einlass ins Castello ab 17.45 Uhr möglich. Alle Beteiligten wünschen sich, dass sich daraus eine entsprechende Heimspiel-Atmosphäre ergibt – um die Mannschaft gegen einen starken Gegner sportlich wie moralisch nachhaltig zu unterstützen. Dass die vor gut einem Jahr mit ihren Familien vor dem Krieg aus der Heimat geflüchteten Spieler auch unter neuen personellen Voraussetzungen eine Bereicherung für den Handball in der Region sein können, stellten sie dabei in den vergangenen Monaten auch in der 2. Bundesliga zumindest punktuell immer wieder unter Beweis.

Dort starten die Ukrainer außer Konkurrenz – was einen nicht mal kleinen Haken hervorbringt: Mancher Zweitligist bietet in den Spielen gegen Motor nicht die beste Besetzung auf, weil die Duelle am Ende ja Test- oder Freundschaftsspiele bleiben, deren Ergebnisse nicht für die Meisterschaft gewertet werden. Erstes Beispiel für die Gegensätze: Am 31. August 2022 eröffnen der TSV Bayer Dormagen und Zaporizhzhia in Düsseldorf die Saison in der 2. Bundesliga – und die fast mit dem kompletten Kader angetretenen Dormagener gewinnen mit 33:28. Zweites Beispiel: Am 28. Januar 2023 tritt der TSV Bayer in eigener Halle zur Rückrunden-Partie gegen Motor an – und verliert klar mit 22:28, weil er jeden irgendwie angeschlagenen Spieler schont und eher mit einer verstärkten A-Jugend antritt. Wenn es denn zu berücksichtigende Punkte für Motor gäbe, stünde das Konto des Serienmeisters aus der Ukraine bei 15:29 Zählern, die sich auf der Habenseite aus sieben Siegen und einem Unentschieden zusammensetzen – 27:24 gegen HC Empor Rostock, 32:28 gegen Wölfe Würzburg, 33:27 beim VfL Potsdam, 27:27 beim TV Großwallstadt, 30:23 beim HSC Coburg, 28:22 in Dormagen, 25:22 gegen VfL Lübeck-Schwartau, 31:30 in Rostock.

Die ziemlich unromantische Seite am Gastspiel des HC Motor Zaporizhzhia in der 2. Bundesliga: Die Spieler, die ja durch die Bank als Profis ihr Geld verdienen, stehen mittlerweile seit über einem halben Jahr in einer Art Schaufenster – und viele andere haben sehr, sehr aufmerksam verfolgt, ob dort eine Verstärkung für die nächste Saison zu finden sei. Von Anfang an ein besonders begehrter junger Mann: Ihor Turchenko. Der Rückraumspieler (links) bringt alles mit, was ein erfolgreicher Handballer braucht, denn er ist erst 22 Jahre alt und gleichermaßen spielintelligent wie torgefährlich. Das mit der Torgefahr war dabei praktisch vom ersten Auftritt in Deutschland an nicht zu übersehen – und mit insgesamt 157 Treffern in 22 Partien (Durchschnitt 7,13 pro Partie) steht Turchenko an der Spitze der Torjägerliste für die 2. Bundesliga. Dass sich schnell auch Klubs aus der 1. Bundesliga für den 1,93-Meter-Mann interessierten, kann keinen überraschen – auch nicht die Nachricht, dass Turchenko für die kommende Serie bereits einen festen Verein in der höchsten deutschen Klasse gefunden haben soll.

Motor begann die Gruppenphase in der European League mit vier Niederlagen hintereinander – 27:38 gegen die Füchse Berlin, 31:37 gegen Skanderborg Aarhus Handbold aus Dänemark, 22:26 bei Bidasoa Irun in Spanien, 30:33 gegen RK Eurofarm Pellister aus Nordmazedonien. Nach dem 26:26 bei Aguas Santas Milaneza in Portugal gab es mit dem 30:24 am Anfang der Rückrunde gegen Milaneza den ersten Erfolg. Übers 24:32 in Berlin, das 30:33 in Skanderborg Aarhus und das 33:31 gegen Bidasoa Irun erarbeitete sich Zaporizhzhia sein persönliches Finale und die Chance, doch den fürs Weiterkommen mindestens nötigen Platz vier zu erreichen. Motor stand bei 5:13 Zählern, Pellister bei 6:12 – und hätte so bereits mit einem Unentschieden sein Ziel erreicht. Dazu passend: Das letzte Gruppenspiel war vor 2850 Zuschauern im „Boro Curlevski-Bitola“ ein Krimi und bis kurz vor Schluss jeder Gewinner möglich. Für die von den Gästen euphorisch gefeierte Entscheidung sorgte Kapitän Zakhar Denysov mit seinem späten Treffer zum 27:25 – sechs Sekunden vor der Schluss-Sirene.

Nun hoffen die Ukrainer, das sie ihr Achtelfinal-Hinspiel in Düsseldorf zu einem weiteren Festtag machen können. Einfach werden beide Aufgaben gegen Nasice nicht – im Gegenteil. Der Gegner aus Kroatien, der sich in seinem letzten Gruppenspiel beim Sporting CP Lissabon durchsetzte (34:28) und so die Gruppe C vor den Portugiesen (14:6 Punkte) auf dem ersten Platz beendete (16:4), muss als hohe Hürde gelten. Ganz klar ist aber: Motor wird in den beiden Duellen im Heimspiel und dann am 28. März in Kroatien alles geben – für den persönlichen Erfolg, mindestens genauso für die Menschen in der Heimat Ukraine. Sollte Motor die Hürde Nasice bewältigen, wäre im Viertelfinale im April ein Verein aus der Bundesliga der nächste Gegner – jedenfalls dann, wenn sich Frisch Auf Göppingen in seinen Duellen mit Valur Reykjavik aus Island durchsetzt. Göppingen ist neben Berlin und der SG Flensburg-Handewitt der dritte Verein aus der Bundesliga, der in der European League das Viertelfinale erreicht hat.

Wohin der Weg des HC Motor Zaporizhzhia auf Dauer führt, lässt sich zurzeit kaum abschätzen. Zu Ende geht auf jeden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Zeit als Gaststarter in der 2. Bundesliga der HBL – als Ergebnis einer Mischung aus sportlichen und organisatorischen Gründen: Bei nicht wenigen Partie ist der Wert eben doch übersichtlich und für die kommende Serie soll die 2. Liga wieder auf Klubs gekürzt werden. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann hatte bereits im Februar erklärt, dass eine erneute Eingliederung der Ukrainer in Deutschlands zweithöchste Klasse eher „kein Thema“ sei. Bis zum Ende der Saison 2022/2023 setzt Motor seine Reise durch die Bundesrepublik allerdings fort – beginnend am kommenden Freitag ebenfalls im Castello in Düsseldorf gegen die HSG Nordhorn-Lingen. Läuft alles wie geplant, steht das letzte Heimspiel am 4. Juni gegen den HSC Coburg auf dem Programm, ehe die Zweitliga-Saison 2022/2023 am 7. Juni beim TV Hüttenberg endet. Die Partie an diesem Mittwoch in knapp drei Monaten wird dann wirklich die Abschieds-Vorstellung in der 2. Bundesliga sein und fürs Trainerteam sowie viele Spieler wird sich erneut eine Menge ändern. Viel ist davon die Rede, dass die Männer-Mannschaft des HC Motor Zaporizhzhia für die Serie 2023/2024 nach Michalovce umzieht – also in eine Stadt, die im Osten der Slowakei und damit in der Nähe der Grenze zur Ukraine liegt.