1. Bundesliga
Kalt, kälter, Kiel: Warum Sigurdsson trotzdem stolz war auf Gummersbach
VfL-Trainer war trotz 26:30-Niederlage gegen den neuen Tabellenführer begeistert von seinem Team - und auch THW-Coach Filip Jicha beeindruckt.

Bis zur Schmerzgrenze: Auch Gummersbachs Kapitän Julian Köster (mit Ball) ging im Angriff gegen die Kieler Abwehr mit Hendrik Pekeler (Nummer 61), Petter Overby (11) und Domagoj Duvnjak (4) an seine Reserven – und darüber hinaus. (Foto: Thomas Wirczikowski)

VfL Gummersbach – THW Kiel 26:30 (10:12). Ob der Kieler an sich mit einer hohen Portion Humor ausgestattet ist? Vermutlich nicht mehr oder weniger als Menschen aus anderen Gegenden. Dieser THW hatte an diesem Sonntagnachmittag in der mit 4132 Zuschauern erneut ausverkauften Schwalbe-Arena unter dem Strich allerdings nur wenig Sinn fürs Komische mitgebracht – weil er den Hausherren durch einen gerade in den entscheidenden Phasen entschlossen-humorlosen Auftritt die erhoffte Überraschungs-Party verdarb. Am Ende setzte sich der Favorit dank individueller Klasse und einer extrem großen Position Cleverness durch, obwohl er eine für seine Verhältnisse bescheidende Leistung ablieferte. Der Sieg in Gummersbach brachte dem Rekordmeister, der jetzt bei 40:8 Zählern steht, sogar den Sprung zurück an die Tabellenspitze – und wer Derartiges selbst dann schafft, wenn er seine Fähigkeiten höchstens teilweise auf die Platte bringt, hat ganz sicher das Zeug, erneut Deutscher Meister zu werden. Daraus ergibt sich, dass die Niederlage für sich genommen keinen Schaden anrichten kann/wird bei den Gummersbachern: Der Aufsteiger, der auf Rang zwölf mit 22:28 Punkten ausgestattet ist und sicher die Klasse halten wird, hat andere Ansprüche. Selbst gegen diese Kieler hätte in der Summe auf allen Positionen alles passen müssen – was nicht der Fall war.

Einer der gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Kontrahenten lag in der Besetzung zentraler Positionen. Beispiel: Der THW konnte es sich leisten, in der Startformation ohne seinen Top-Spieler Sander Sagosen zu beginnen. Trainer Filip Jicha hatte das Luxusproblem so gelöst, dass er Domagoj Duvnjak beginnen ließ – den inzwischen 34 Jahre alten Kroaten, der die Lust am Handball noch wie am Anfang seiner Karriere auf die Platte bringt und das in Gummersbach bestätigte. Der VfL wiederum konnte es sich nicht im Ansatz leisten, seinen höchstbelasteten Kapitän Julian Köster auch nur eine Minute ohne Not herauszunehmen und ihm auf der Bank eine Art Verschnaufpause zu gönnen – die der 23 Jahre alte Nationalspieler hin und wieder offensichtlich dringend gebraucht hätte. So rieb er sich sowohl defensiv als auch offensiv auf gegen Kontrahenten auf höchstem Niveau. Bei zwei sehenswerten Treffern zeigte Köster, was er im Angriff zu leisten vermag. In vielen anderen Situationen sowohl in der Abwehr als auch im Angriff ging allerdings viel daneben. So machte sich diesmal doppelt und dreifach bemerkbar, dass die Hausherren weiter nicht auf Spielmacher Dominik Mappes zurückgreifen konnten, der inzwischen seit zwei Monaten fehlt (Rippenverletzung). Das ist definitiv einer der Gründe dafür, warum Gummersbach im Kalenderjahr 2023 inzwischen bei 4:10 Punkten angekommen ist. 

Der Auftakt gegen Kiel deutete auf eine außergewöhnliche Partie hin und im Mittelpunkt stand Tom Kiesler: Der Abwehrspezialist, der sich höchst selten in die Angriffe einschalten kann/darf, eroberte sehr aufmerksam das Spielgerät und machte sich einfach selbst auf den Weg zum Tempogegenstoß  – 1:0 (3.). Das Außergewöhnliche blieb anschließend, weil die Gummersbacher die Aktionen der Gäste mit höchstem Einsatz und voller Leidenschaft bekämpften – was THW-Coach Jicha bereits beim Stande von 2:5 (12.) zu einer frühen ersten Auszeit veranlasste. Eine grundlegende Veränderung trat aber zunächst nicht ein, zumal sich VfL-Keeper Tibor Ivanisevic von seiner besten Seite zeigte und in dieser ersten Halbzeit selbst das Duell mit seinem prominenten Kollegen Niklas Landin auf der anderen Seite für sich entschied. Verdient setzten sich die Hausherren vom 5:3 (14.) auf 8:3 (18.) ab und alles deutete auf einen tollen Nachmittag für Gummersbach hin. Wie ihnen nun jedoch die Partie komplett aus den Händen glitt, wird vielleicht ein ungeklärtes Rätsel bleiben. Tatsache sicher: Kiel begann am Geschehen teilzunehmen, während der VfL fortan vor allen Dingen Fehler produzierte – und nach einem albtraumähnlichen 0:8-Lauf kurz vor der Pause mit 8:11 (30.) im Hintertreffen lag. Und hätte nicht Ivanisevic zwischendurch die eine oder andere tolle Parade eingestreut, wäre es noch schlimmer gekommen.

Hier ist die Wand: In der Summe wies Kiels Keeper Niklas Landin auch in Gummersbach nach, warum er ein Weltklasse-Torhüter ist. Nach dem Treffer von Hakon Styrmisson (beim Wurf) zum 14:14 durfte der VfL trotzdem noch auf ein Happy End hoffen. (Foto: Thomas Wirczikowski)

Kiel legte nach der Pause direkt das 13:10 (31.) vor, erwischte aber insgesamt wiederum einen mäßigen Start – anders als Gummersbach, dass durch Finn Schroven (32.) und zweimal Ellidi Vidarsson (34./36.) zum 13:13 ausglich. Bis zum 15:15 (40.) lagen die Hausherren in der Folge gleichauf und das 16:18 (43.) oder 17:19 (44.) holte er ebenfalls auf – 19:19 (44.). Die erkennbar wenig geschockten Kieler brauchten knapp drei Minuten zur 22:19-Führung (47.), auf die VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson in der nächsten Auszeit eine Antwort suchte. Die hatte er sich so allerdings nicht vorgestellt: Erst scheiterte der freie Lukas Blohme an Niklas Landin (48.), dann fing der THW-Keeper den Ball nach einem Wurf von Schroven (48.) und zum „guten“ Schluss bekam Miro Schluroff nach einem Foul an Magnus Landin eine Zwei-Minuten-Strafe (48.). Persönliche Folge für Schluroff: Weil es seine dritte Zeitstrafe war, sah er gleichzeitig die Rote Karte (wie zuvor bereits in der 45. Minute der Teamkollege Vidarsson). Allgemeine Folge für Gummersbach: Niclas Ekberg verwandelte den fälligen Siebenmeter zum 23:19 (48.) für die Kieler, die fortan nicht mehr ernsthaft in Bedrängnis gerieten – 26:22 (53.), 28:24 (56.), 29:25 (58.), 30:26 (60.). Stichwort Siebenmeter: Der THW erlaubte es sich, gleich fünf Strafwürfe zu verwandeln (alleine drei Ekberg), und er gewann trotzdem. Wenigstens in diesem Punkt lag Gummersbach vorne: „Nur“ zwei Versuche vom Siebenmeterstrich gingen ins Leere.

Gummersbachs Coach Sigurdsson konnte/wollte seiner Mannschaft später nichts vorwerfen: „Ich bin unglaublich stolz auf meine Mannschaft, was wir geleistet haben und wie wir gedeckt haben. Das hat unser Niveau noch einmal übertroffen, weil es einfach Kiel war. Am Anfang war Tibor überragend, da hat er alles, was durchgekommen ist, gehalten. Man muss aber auch realistisch sein und sehen, dass Kiel mehr verwirft als sonst. Was die Jungs geleistet haben, ist nicht selbstverständlich. Schlussendlich hat der THW verdient gewonnen.“ THW-Coach Jicha, der sich kurz vor Schluss in hektischen Sekunden noch eine Zeitstrafe (60.) eingehandelt hatte, weil er sich wohl durch einen Zuschauer beleidigt sah und darauf erregt reagierte, bestätigte Sigurdssons Lob: „Ich möchte den VfL beglückwünschen. Es war unser erster Besuch nach dem Wiederaufstieg. Der VfL und Goggi leisten unfassbare Arbeit und jeden Spitzenkandidaten hatten sie mindestens am Rande einer Niederlage.“ Dass er über den Sprung an die Tabellenspitze zehn Spieltage vor dem Saisonende glücklich war, ließ sich nachvollziehen. Nach einem Übermaß an Euphorie klang das aber wiederum nicht – eher nach coolem Kiel, das nun am kommenden Sonntag gegen den amtierenden Meister SC Magdeburg (Dritter/38:10 Punkte) vor dem nächsten Kracher-Spiel steht – wie auch die Gummersbacher, die dann bei den Rhein-Neckar Löwen (Fünfter/37:13) antreten.

VfL Gummersbach: Norsten, Ivanisevic – Ohl, Vidarsson (4), Kodrin (2), Köster (2), Blohme (5/2), Schroven (2/1), Häseler (2), Schluroff (1), Pregler (4), Styrmisson (1), Kiesler (1), Stüber, Jansen, Zeman (2).

 

FRISCH AUF! Göppingen – Bergischer HC 37:28 (14:13). Vielleicht war es irgendwie logisch, dass dieser Dämpfer kommen würde. Vier Spiele in Folge hatten die Bergischen Löwen in dieser Saison schließlich noch nicht gewonnen. Und nach dem erfolgreichen März mit Siegen gegen den TSV GWD Minden (34:32), bei der HSG Wetzlar (28:22) und gegen den ASV Hamm-Westfalen (34:24) riss die Serie nun auch im vierten Anlauf. Besonders ärgerlich für den BHC: Mit einem weiteren Erfolg hätte die Mannschaft von Trainer Jamal Naji sogar den siebten Tabellenplatz angepeilt. Da steht weiterhin der HSV Hamburg (26:22 Punkte) und er führt ein breites Mittelfeld an, in dem die Bergischen als Siebter (24:24) spannende Wochen vor sich haben. Am Donnerstag kommt der aktuelle Deutsche Meister SC Magdeburg ins Rheinland, am Sonntag dann Hamburg. Nach den beiden Partien, die in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf angepfiffen werden, dürfte etwas klarer sein, ob der BHC in der Endabrechnung wirklich für einen Platz in der oberen Tabellenhälfte in Frage kommt.

Djibril M’Bengue eröffnete die Begegnung in Baden-Württemberg mit seinem 1:0 für die Gäste (1.), die kurz darauf direkt das nächste Mal jubeln durften: Christopher Rudeck im BHC-Tor parierte einen Strafwurf (2.) von Göppingens Marcel Schiller – nur der Anfang einer starken Leistung des Keepers im ersten Durchgang. Vor allem Rudecks Paraden sorgten dafür, dass sich die Gäste vorne den einen oder anderen Fehler erlauben konnten, ohne zu deutlich in Rückstand zu geraten. Bis zum 5:5 (12.) bewegten sich die Teams auf Augenhöhe, ab dem 5:7 (14.) lief der BHC dann meistens einem Zwei-Tore-Rückstand hinterher. Insbesondere der starke Göppinger Kreisläufer Kresimir Kozina war oft nur mit unfairen Mitteln zu stoppen. Davon profitierte wiederum Nationalspieler Schiller, der nach dem Fehlwurf direkt zu Beginn bei seinen weiteren fünf Versuchen vom Strich erfolgreich war.

Bis zum 17:18 (38.) durch Lukas Stutzke blieben die Gäste in Reichweite, doch anschließend gerieten sie über das 17:20 (40.), 19:23 (43.) und 22:28 (50.) immer weiter ins Hintertreffen. In der Abwehr wirkte Najis Team streckenweise hilflos – und das nicht erst, als Jaka Malus für Göppingen das 29:23 per Kempa-Trick erzielte (51.). Zwischen den BHC-Pfosten stand für Rudeck längst Peter Johannesson, der allerdings genau wie sein Kollege im zweiten Durchgang kein Glück hatte. In der offiziellen HBL-Statistik tauchte am Ende keine einzige Parade für den Schweden auf. Coach Naji verordnete seinem Team in den letzten zehn Minuten mit einer offensiveren Deckung noch einmal mehr Risiko. Ergebnis: Durch die schnelleren Abschlüsse vorne fingen sich die Gäste den einen oder anderen Gegenstoß, sodass die Niederlage am Ende richtig deutlich wurde. „Es war eine bittere Niederlage für uns“, fand Trainer Naji treffend. Geschäftsführer Jörg Föste war ebenfalls mäßig begeistert: „Leidenschaftlicher und cleverer: Die Deckung hat heute für Göppingen den Ausschlag gegeben. Unser Überzahlspiel hat ebenso wenig gepasst. Alles in allem ein gehöriger Dämpfer, der in den beiden folgenden Heimspielen nach Korrektur ruft.“

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Persson (1), Scholtes (1), Giesselmann (1), Weck (1), Gunnarsson (1/1), Ladefoged (5), Babak (2), Szücs, Gutbrod, Schmitz (1), Arnesson (5/2), Nikolaisen (1), M’Bengue (2), Stutzke (7).