DHB-Pokal
Final-Four-Bilanz: Über späthe Träume und kreative Könner
Das Finale zwischen den Rhein-Neckar Löwen und dem SC Magdeburg war der perfekte Höhepunkt. Auch außersportlich war eine Menge los.

Läuft bei Juri Knorr: Der Nationalspieler holte mit den Rhein-Neckar Löwen den DHB-Pokal und er war der beste Turnierspieler. (Foto: Sascha Klahn)

Es ist der Ort, an dem Träume in Erfüllung gehen und sogar Märchen wahr werden. Wir sind in der Lanxess-Arena zu Köln, wir sind im Finale des Final-Four-Turniers, das am Ende den Sieger im DHB-Pokal hervorbringt. Dabei erfindet mal wieder die Wirklichkeit die besten Geschichten – die sich so gar keiner ausdenken kann. Im Mittelpunkt steht erstens: Sebastian Hinze, jener Handball-Trainer aus dem Bergischen und aus Leidenschaft, der vor einem Jahr nach einer gefühlten Ewigkeit beim Bergischen HC zu den Rhein-Neckar Löwen wechselte, um dort in der noch etwas größeren Handball-Welt sein Glück zu suchen. Im Mittelpunkt steht zweitens: Torhüter David Späth (20), der als eins der größten Talente auf seiner Position gilt, sogar über Deutschland hinaus. Trotzdem ist Späth eigentlich die Nummer drei – hinter dem deutschen Nationalkeeper Joel Birlehm (25) und dem Schweden Mikael Appelgren (33). Sechs Sekunden vor dem Ende der 60 Minuten steht es 27:27 und Gisli Kristjansson holt für den Deutschen Meister SC Magdeburg einen Siebenmeter heraus. Dazu tritt Kay Smits an, der für die Magdeburger erst eine Minute vorher den Ausgleichstreffer erzielt hat, einer der herausragenden Spieler der vergangenen Bundesliga-Wochen ist und als gewöhnlich sehr sicherer Siebenmeterschütze gilt. Löwen-Trainer Hinze entschließt sich trotzdem, jetzt keinen seiner beiden prominenten Torhüter zwischen die Pfosten zu stellen – und er pokert. Wenig später steht fest, dass es ein Griff ins Glück geworden ist: Späth wehrt diesen Siebenmeter ab und zeigt danach vor allem auch in der ersten Halbzeit der Verlängerung spektakuläre Paraden. Unter anderem wehrt er beim Stande von 29:27 einen Strafwurf von Matthias Musche (64.) ab, ehe er kurz darauf den Wurf des frei vor ihm auftauchenden Daniel Pettersson hält (65.) und so reichlich Anteil daran hat, dass die Löwen mit einer 30:27-Führung in die zweite Halbzeit der Verlängerung gehen.

So sehen Sieger aus: Die Rhein-Neckar Löwen gingen in einem Regen aus Konfetti und Jubel fast unter. (Foto: Sascha Klahn)

Dort hätte sich Hinzes Mannschaft die spätere Zitterpartie ziemlich locker ersparen können, wenn nicht Uwe Gensheimer zweimal von der Siebenmeterlinie vergeben hätte: Vor allem jener Versuch beim Stande von 31:29 hatte Matchball-Charakter, denn drei Tore Rückstand hätte Magdeburg in den verbleibenden 82 Sekunden eher nicht mehr aufgeholt. So aber erzielt Lucas Meister am Anfang der letzten Minute den 30:31-Anschluss (70.) und bei bereits abgelaufener Spielzeit gibt es einen weiteren Siebenmeter für Magdeburg – den Smits diesmal gegen Späth zum 31:31 verwandelt. Weil der jüngste Löwen-Schlussmann im Siebenmeterwerfen weniger Erfolg hat als vorher, entschließt sich Hinze erneut auf einem Wechsel für den Posten zwischen den Pfosten: Und es wird kurz darauf wieder ein Griff ins Glück. Beim Stande von 35:34 verpasst Magdeburg den Ausgleich – weil Joel Birlehm den Versuch von Kristjansson an den Pfosten lenkt. Anschließend ist Albin Lagergren an der Reihe und nach seinem 36:34 brechen bei den Löwen alle Dämme. Richtig fassen kann es keiner, weder beim Verlierer noch beim großen Sieger. David Späth, der nach einem Kreuzbandriss erst seit November 2022 wieder auf der Platte steht, fasst seine innere Stimmung so zusammen: „Das ist ein Mega-Gefühl, davon träumst du als Junge.“ Bei Sebastian Hinze klingt es nicht viel anders: „Ich bin stolz nach diesem verdammt geilen Handballspiel.“

Das Finale entschädigte tatsächlich für zuvor eher sehr überschaubar spannende Partien im Final Four. Das erste Halbfinale zwischen den Löwen und der SG Flensburg-Handewitt (38:31) war über weite Strecken viel zu einseitig, weil die Flensburger keinerlei Mittel fanden und nicht annährend an ihre starken Leistung aus den Wochen zuvor anknüpfen konnten. Anschließend hatten die Magdeburger das zweite Halbfinale (33:31) gegen den TBV Lemgo-Lippe über weite Strecken ebenfalls im Griff – obwohl der TBV bis zuletzt ein leidenschaftlich kämpfender Außenseiter blieb, der sich nichts vorzuwerfen hatte. Und das Spiel um den dritten Platz konnte ebenfalls kein Krimi werden, weil die SG aus dem „höchsten Norden“ Deutschlands die Angelegenheit diesmal von Beginn an im Griff hatte.

Rund ums rein Sportliche, das mit einem Steigerungslauf ins atemberaubende Finale endete, gab es an den beiden Kölner Tagen noch andere bemerkenswerte/auffällige Beobachtungen/Erlebnisse, die uns aufgefallen sind. Wir versuchen im Folgenden eine Art „Rangliste“ der besten drei und der drei weniger guten Themen – immer zu verstehen als persönliche Einordnung. Das kann gerne jeder anders sehen und einer wird es sogar ganz bestimmt.

 

Was gut war:

Erstens: Der Handball konnte in der Lanxess-Arena mal wieder beste Werbung für sich betreiben und erneut nachweisen, warum er eine derart hohe Anziehungskraft hat. Theoretisch waren die Fans der vier beteiligten Klubs ja in verschiedenen Ecken der Halle platziert, aber in anderen Bereichen saßen zum Beispiel gelbe Löwen und grüne Magdeburger nur ein paar Zentimeter auseinander. Zu irgendeiner Form von Auseinandersetzung kam es dabei (natürlich) nicht. Das war auch draußen vor der Arena so: Niemand mit dem „falschen“ Trikot brauchte Sorge zu haben, dafür angefeindet zu werden. Vermutlich ist es das, was dem Handball den Ruf des „familiären“ Charakters eingebracht hat.

Zweitens: Fast nirgendwo in Deutschland gibt es die Gelegenheit, Weltklasse-Handballer in einer derartigen Konzentration an einem Punkt zu erleben. Was da lediglich mithalten kann, ist das Final Four in der Champions League, das am 17./18. Juni stattfindet- übrigens wieder in Köln, das nun auch national das Maß aller Dinge im Handball ist. Der Umzug aus dem Norden ins Rheinland muss den bisher damit verwöhnten Hamburgern sehr wehtun.

Tragische Figur: Magdeburgs Gisli Kristjansson vergab einen entscheidenden Siebenmeter. (Foto: Sascha Klahn)

Drittens: Das Turnier zeigte erneut, dass es im durchgeplanten Sport, der immer mehr Daten und Zahlen sammelt, um Leistungen bis in den letzten Winkel zu messen, doch noch jene Spieler gibt, die sich eher selten in ein festes Schema pressen lassen. Der SC Magdeburg hat so einen in Gisli Kristjansson, bei den Rhein-Neckar Löwen ist es Juri Knorr, der individuelle Qualität, das Auge für die Mitspieler und kreative Lösungen auf überragende Weise miteinander verknüpft. Insofern war die Bestimmung Knorrs zum Spieler des Turniers folgerichtig.

 

Was nicht so gut war:

Erstens: Jemand hatte das Spiel um den dritten Platz als „Sinnlos-Spiel“ bezeichnet. Dem ist im Grunde wenig hinzuzufügen, zumal es ja in den vergangenen mehr als zehn Jahren ohne ging. Gleichzeitig hatten die Entscheidenden im Deutschen Handball-Bund und in der HBL bereits vor einiger Zeit beschlossen, das Finale um den Deutschen Amateur-Pokal von der Profi-Veranstaltung abzukoppeln. Unser Tipp: Man möge dieses Finale in den großen Rahmen zurückholen und dort wieder als Vorspiel zum Endspiel des Final Four installieren. Das wäre die richtige Verbindung zwischen Amateur-Basis und Berufshandball. Gleichzeitig könnten extrem belastete Bundesligisten, die auch international unterwegs sind, ein paar Körner sparen.

Zweitens: Bei allem Verständnis dafür, in einer großen Halle ein Plus an Stimmung erzeugen zu wollen: Niemand braucht einen Marktschreier, der wechselweise die Gemütslage der Fans abfragt oder einfach wissen will, so wie gerade sind. Das ließ sich anhand der Farbgebung der Trikots ohnehin relativ einfach nachvollziehen und völlig Handball-Unkundige waren vermutlich sowieso nicht da. Schließlich war die allgemeine Lautstärke so hoch, dass selbst die Fans in den Logen in der Spielpause nur selten ihr eigenes Wort verstehen konnte. Lärmend laut gleich gut? Die Rechnung geht nicht auf. Bei einem Konzert von AC/DC geht es harmloser zu.

Drittens: Dass Trainer nicht wie Salzsäulen an der Seitenlinie stehen müssen/sollen, versteht sich von selbst. Handball lebt von Emotionen, auch auf, vor und neben der Bank. Was Magdeburgs Bennert Wiegert allerdings während eines Spiels anstellt, ist vor allem ein schlechtes Beispiel. Und es nervt total, wenn von Beginn an jede Entscheidung, jeder einzelne Pfiff der Unparteiischen laut- und gestenstark kritisiert wird – noch dazu in einer Art, die herzlich wenig Respekt vor den Spielleitern zeigt. Und ja: Es gab beim Final Four falsche Entscheidungen, durch die der SC in diesem Moment einen Nachteil erlitt – wie andere Mannschaften auch. Zum Vergleich: Ein Fehler passierte ganz am Ende auch dem Magdeburger Ausnahmespieler Kristjansson, der mit seinem Siebenmeter direkt an der Niederlage beteiligt war. Dass ihn deswegen jemand beschimpft oder gar den Kopf abgerissen hätte, ließ sich nicht beobachten.