DHB-Pokal
Murks-Modus: So geht der Handball kaputt
HBL hat Regularien für den Pokal über den Haufen geworfen. Betroffen sind auch Interaktiv und HC Gelpe/Strombach. Andere dürfen gar nicht mitmachen.

Keine zwei Wochen her: Am 4. Juni erst feierte Interaktiv.Handball durch sein 35:24 über Gelpe/Strombach verdient den Triumph im Deutschen Amateurpokal. Vielleicht sind die Ratinger ja sogar die letzte Mannschaft, die diesen Titel holen konnte. (Foto: Thomas Wirczikowski)

Wer den Reiz des Pokals in den Keller treiben will, muss es exakt so machen. Und nicht anders. Ob sie aber überhaupt wissen, was sie da tun? Und normalerweise müsste sich dagegen heftigster Widerstand regen mindestens von Lübeck bis Vinnhorst, von Aue bis Coburg und von Ratingen bis Gelpe/Strombach – weil bis zuletzt alle von ganz anderen Voraussetzungen für die Durchführung des DHB-Pokals ausgingen. Tatsache ist, dass sehr viele gerade wie aus allen Wolken fallen, wenn sie die sehr nüchtern-harmlos daherkommende Nachricht lesen, die diesen Titel trägt: „DHB-Pokal 2023/2024: Die Teilnehmer der ersten Runde stehen fest.“ Verbreitet hat sie über seine Kanäle der Handball-Bundesliga e.V., der „ein Zusammenschluss der lizenzierten Vereine und/oder ihrer wirtschaftlichen Träger“ ist. Der Dachverband Deutscher Handball-Bund „DHB“ sei trotz der Eigenständigkeit des Ligaverbandes „weiterhin ein bedeutender und enger Partner“. Das operative (Tages-) Geschäft führe die Handball-Bundesliga GmbH – die nicht nur für die 1. und 2. Bundesliga zuständig ist, sondern eben auch für den DHB-Pokal. Der kommt plötzlich erst nach dem Ende der Saison 2022/2023 mit einem neuen Modus daher – der sich nicht nur minimal, sondern in dem einen oder anderen Punkt fundamental von den bisher bekannten Bestimmungen unterscheidet. Das hat Folgen. Unangenehme sogar – unter anderem für Interaktiv.Handball und den HC Gelpe/Strombach, die sich vor Kurzem durch die Endspiel-Teilnahme beim Final Four der Amateure in Gummersbach die Eintrittskarte für den DHB-Pokal gesichert hatten – und zwar nach dem alten Regelwerk direkt für die zweite Runde. Verbunden damit war der Traum, durch etwas Losglück einen der ganz Großen der Branche zu erwischen wie den Deutschen Meister THW Kiel, den Vizemeister SC Magdeburg, die Füchse Berlin, die SG Flensburg-Handewitt oder die Rhein-Neckar Löwen. Traurige Wahrheit: Daraus wird nichts – weder für Interaktiv, das in die 3. Liga aufgestiegen ist, noch für Gelpe/Strombach, das weiter in der Regionalliga unterwegs sein wird. 

 

Möglicherweise hilft zunächst ein Blick auf den Wortlaut der wesentlichen Aussagen in der HBL-Meldung:

Köln, 12.06.2023 – Mit dem Abschluss der Saison 2022/23 stehen die Teilnehmer an der 1. Runde des DHB-Pokals 2023/24 fest. Insgesamt gehen zum Auftakt zehn Teams aus der 2. HBL sowie zwölf vom DHB gemeldete Mannschaften aus den 3. Ligen sowie dem Amateur-Pokal im Kampf um den DHB-Pokal an den Start.
Die Erstligisten steigen zu einem späteren Zeitpunkt in den Wettbewerb ein. Die Auslosung der 1. Runde findet am 03. Juli 2023 statt, ausgespielt wird der Pokalauftakt am 26./27. August 2023.

Die 22 Teams der 1. Runde im DHB-Pokal 2023/24:

2. Handball-Bundesliga: ASV Hamm-Westfalen, TSV GWD Minden, Dessau-Roßlauer HV, SG BBM Bietigheim, TuS N-Lübbecke, HSG Nordhorn-Lingen, VfL Potsdam, TuSEM Essen, Eulen Ludwigshafen, VfL Eintracht Hagen.

3. Ligen und Amateur-Pokal: TV Emsdetten, HSG Krefeld Niederrhein, HSG Hanau, TuS Ferndorf, HC Oppenweiler/Backnang, TuS Fürstenfeldbruck, Eintracht Hildesheim, MTV Braunschweig, Bergische Panther, TV Gelnhausen, interaktiv.Handball, HC Gelpe/Strombach.

So läuft der DHB-Pokal 2023/24: 

Anders als in den Vorjahren gelten die beiden Absteiger aus der LIQUI MOLY HBL (ASV Hamm-Westfalen und GWD Minden) als Zweitligisten und starten damit auch in der 1. Runde. Die Teilnehmer der 1. Runde werden in 2 Gruppen eingeteilt (Nord und Süd). Die Einteilung wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.

In der 2. Runde (03.-05.Oktober 2023) greifen dann die Erstligisten in den Wettbewerb ein.

Lediglich die drei Erstplatzierten des REWE Final4 2023 (Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen, Finalist SC Magdeburg und die drittplatzierte SG Flensburg-Handewitt) überspringen auch diese Runde und starten im Achtelfinale (12./13. Dezember 2023).
Die acht Teams, die sich dann noch im Wettbewerb befinden, spielen am 03./04. Februar 2024 die vier Teilnehmer am REWE Final4 2024 aus.“

Gelpe/Strombach hatte beim Final Four nicht nur die Gastgeber-Rolle mit einer Menge an von „oben“ verteilten Auflagen übernommen. Die Mannschaft von Trainer Markus Murfuni investierte dann nach einem miserablen Start im Halbfinale gegen den HSV Apolda aus der Mitteldeutschen Oberliga jeden Tropfen Leidenschaft, der noch im Tank war. So rettete Tim Hilger die Hausherren mit seinem 29:29 vier Sekunden vor Schluss in die Verlängerung, die nicht weniger dramatisch lief: Diesmal traf Julian Mayer zwei Sekunden vor dem Ende zum 34:33-Sieg. Es schien ein Tor ins grenzenlose Glück zu sein. Dass Gelpe/Strombach am Tag darauf gegen Interaktiv das Finale klar verlor (24:35), fiel nicht mehr in Gewicht, weil ja beide Finalisten ihr Ticket für den DHB-Pokal bekamen. HC-Trainer Markus Murfuni und andere Gummersbacher begannen vom Top-Los VfL Gummersbach zu träumen und auch Interaktiv hatte dazu eine eigene Geschichte: Der spielende Co-Trainer Alexander Oelze, gebürtiger Magdeburger und dort zugleich handballerisch aufgewachsen, wäre in der letzten Saison seiner aktiven Karriere liebend gerne einmal gegen seinen früheren Verein angetreten, an dem sein Herz noch heute hängt. Daraus wird definitiv nichts. Interaktiv müsste jetzt ja sowieso die erste und die zweite Runde überstehen, weil die Magdeburger (siehe oben) erst in der dritten Runde (Achtelfinale) einsteigen sollen/dürfen.

In der Summe besteht zudem seit einiger Zeit den Eindruck, dass der für den Amateurpokal zuständige DHB den vor acht Jahren eingeführten Amateurpokal mittlerweile als lästiges Anhängsel sieht – den zu bewahren sich nicht lohnt. Die 2020 erfolgte Streichung des Endspiels aus dem Rahmenprogramm des großen Final Four hat den Wettbewerb schon all dessen beraubt, was ihn als Schnittstelle zwischen Amateuren und Profis ausgemacht hat. Die Sieger DHK Flensborg (2015), SG Langenfeld (2016), TuS Spenge (2017/2018) und ATSV Habenhausen (2019) sowie unter anderem auch der Endspiel-Verlierer BTB Aachen (2019) werden wohl gerne bestätigen, dass ihre Final-Begegnungen in Hamburg ein besonderes Erlebnis der unvergesslichen Art waren. Anschließend gab es 2021 pandemiebedingt den nachgeholten Wettbewerb für 2020 – in Illtal (Saarland) zum ersten Mal als Final Four. Ein Unterschied zur Neuzeit: Die Finalisten Langenfeld und SG/VTB Altjührden (22:19) durften sich direkt über Gegner aus der Bundesliga freuen – und beide konnten ihre Heimspiele als Werbeplattform nutzen. Dass die SGL gegen die TSV Hannover-Burgdorf verlor (19:42) und Altjührden gegen den Bergischen HC (18:36), war für beide weniger tragisch.

Blick ins Leere: Paul Roth (Nummer 18) und Malte Meinhardt (23) waren vor Kurzem nach der Endspiel-Niederlage ihres HC Gelpe/Strombach im Amateurpokal erkennbar enttäuscht. Ob die schon geahnt haben, dass ein neuer Modus mehr Frust bringen würde? (Foto: Thomas Wirczikowski)

Was jetzt für Interaktiv und Gelpe/Strombach möglich ist? Bei allem Respekt vor den anderen Teilnehmern der ersten Runde: Das attraktivste Los wäre vermutlich der Zweitligist TuSEM Essen – der erst recht für die Ratinger in direkter Nachbarschaft liegt. Viel hängt darüber hinaus davon ab, wie genau die beiden oben genannten Erstrunden-Gruppen Nord und Süd aussehen werden. Alleine das könnte im Übrigen wieder für Diskussionen sorgen – und viel spricht dafür, dass die HBL-Verantwortlichen eine eigene Definition von Nord und Süd anbieten werden. Beispiel: Gefühlt liegt Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt eher im Norden und der TuS Fürstenfeldbruck aus der Nähe von München unbestritten im Süden. Entfernung: Knapp 500 Kilometer. Nach dieser Rechnung liegt Ratingen, das eindeutig im Westen Deutschlands zu finden ist, noch nördlicher – weil die Distanz nach Fürstenfeldbruck runde 650 Kilometer beträgt. Von Essen nach Fürstenfeldbruck wären ganz nebenbei 670 Kilometer zurückzulegen.

Einer, dem die Sorge um eventuell zu viele zurückzulegende Kilometer nun per Handstreich genommen wurde, ist der VfL Lübeck-Schwartau aus der 2. Bundesliga. Auch da lohnt sich ein Rückblick – hier aufs letzte Saisonspiel vor genau einer Woche gegen TuSEM Essen. Beim Stande von 28:28 geben die Unparteiischen einen Siebenmeter für die Hausherren. Jannik Schrader verwandelt zum 29:28-Endstand. Und ganz Lübeck feiert. Schraders Treffer ist ja zwei Punkte wert und er hievt die Lübecker zum Abschluss einer starken Rückrunde auf den zwölften Tabellenplatz – den alle in der Halle feiern, Offizielle, Spieler, Fans auf der Tribüne. Sie gehen ja nicht von ungefähr davon aus, dass – wie zuletzt – jener Rang zwölf die letzte Eintrittskarte für den DHB-Pokal mit sich bringt. Auch das erweist sich nun nach den frischen Ideen als bitterer Irrtum, denn die Lübecker schauen in die Röhre. Dass es dem auf Platz elf über die Ziellinie gegangenen HSC Coburg genauso geht, sehen sie in Lübeck dabei als ganz, ganz schwachen Trost. Die Hauruck-Aktion der oberen Entscheider begrenzt die Plätze für die Zweitligisten (siehe oben) auf zehn. Daraus ergibt sich eben, dass Lübeck-Schwartau und Coburg raus sind. Ganz raus. Sie sind nicht in der ersten Runde dabei und nicht in der zweiten. Sie dürfen gar nicht mitmachen. VfL-Trainer David Röhrig, im vergangenen Sommer vom TSV Bayer Dormagen aus dem Rheinland nach Schleswig-Holstein gewechselt, zeigt sich überrascht: „Dafür habe ich kein Verständnis.“

Zwei andere, die mutmaßlich ebenfalls mit einem Platz im DHB-Pokal gerechnet hätten, sind die inzwischen ehemaligen Drittligisten EHV Aue und TuS Vinnhorst, die in der Aufstiegsrunde als Erster und Zweiter den Sprung in die 2. Bundesliga geschafft haben. Aue war zuvor Erster der Gruppe Ost in der 3. Liga geworden und Vinnhorst jener in der Gruppe Nord – mit identischen 46:2 Punkten. Daraus folgt, dass es absurder kaum geht: Die beiden mit deutlichem Abstand besten Drittligisten der Serie 2022/2023 werden praktisch dafür bestraft, dass sie besonders erfolgreich waren. Andere dagegen sind mit von der Partie – unter anderem die Meister aus den anderen Gruppen von TV Emsdetten (West) über HC Oppenweiler/Backnang (Süd) bis hin zur HSG Hanau (Süd-West). Auch Vizemeister wie die HSG Krefeld-Niederrhein (West) und TuS Ferndorf (Süd-West) sind dabei. Sie alle sind qualifiziert, weil sie den Aufstieg verpasst haben.

Die letzten Mosaik-Steinchen im umgebauten „Numerus clausus“ für den DHB-Pokal: Es gilt die neu erworbene Klassenzugehörigkeit – und nicht mehr die (wie bisher) der zurückliegenden Saison. Das macht sich für die Aufsteiger HSG Balingen-Weilstetten und ThSV Eisenach insofern bezahlt, weil sie nun erst in der zweiten Runde einsteigen, während die Erstliga-Absteiger TSV GWD Minden und ASV Hamm-Westfalen direkt zum Auftakt mit dran sind. Besonders extravagant an der veränderten Situation: Die Rhein-Neckar Löwen, der SC Magdeburg und die SG Flensburg-Handewitt brauchen als die ersten Drei des vergangenen Final Four erst im Achtelfinale einzusteigen. Soll das etwa die Terminhetze durch eine Saison wirkungsvoll eingrenzen? Damit sind drei weitere Große raus aus der Verlosung. Und sollte etwa einer der Drittligisten oder im Fall eines Wunders einer wie Interaktiv oder HC Gelpe/Strombach die erste Runde überstehen, blieben als Traumlose „nur“ der THW Kiel oder die Füchse Berlin. Vielleicht tritt ja auch ein, was bereits ziemlich ernsthaft diskutiert werden soll: Der Amateurpokal findet gar nicht mehr statt. Anführen werden sie dafür ein zurückgehendes Interesse – was die Verantwortlichen durch die Loslösung aus dem großen Handball allerdings selbst mit zu verantworten haben. Wenn sie es trotzdem durchziehen, stellt sich diese Frage: Wissen sie überhaupt, was sie da tun? So geht doch der Handball kaputt.