Oberliga Mittelrhein
Königsdorfer Künstler: Ohne Heimat, mit Leidenschaft
Die junge Mannschaft von Trainer Franziskus Bleck hat seit einem Jahr keine Halle mehr - und trotzdem den Aufstieg geschafft.

Der große Moment: Am 25. April war nach dem 45:29 gegen den TK Nippes der Königsdorfer Aufstieg in die Oberliga unter Dach und Fach – vier Runden vor dem Ende der Saison. (Foto: Heiko Lindenthal)

Wie kommt jemand aus der Nummer raus, dass einerseits der Handball seine Leidenschaft ist und andererseits dafür nur anderthalb Hallenzeiten pro Woche zur Verfügung stehen? Für den TuS Königsdorf war die Antwort klar – und sie hätten dort vermutlich die Frage gar nicht so richtig verstanden. In der Summe aus den 30 Spielen der langen Saison 2022/2023 in der Verbandsliga Mittelrhein sicherte sich die Mannschaft von Trainer Franziskus Bleck, den privat alle der Einfachheit halber Franz nennen, die Vizemeisterschaft – was ihnen gemeinsam mit dem Meister BTB Aachen II den Aufstieg in die Oberliga brachte. Für Bleck ist der Erfolg einerseits was Besonderes und andererseits kein Wunder, denn er hat dafür eine einfache Erklärung: „Kernpunkt ist für mich die Kontinuität.“ Was er hinzufügen könnte, ist die von innen kommende Begeisterung seiner Spieler, die im Stamm seit mehreren Jahren zusammen auf der Platte stehen und deren Kern jene A-Jugendlichen bilden, die sich im Sommer 2020 als Meister der Regionalliga in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga versuchten.

Nach dem Aufstieg aus der Landesliga in die Verbandsliga am Ende der Saison 2019/2020 folgte die aufgrund der Pandemie früh abgebrochene Serie 2020/2021, ehe der TuS im Jahr 2021/2022 bereits eine Klasse höher sein Potenzial andeutete und sich als Erster der Hinrunde für die Meisterrunde qualifizierte – in der er schließlich dem Stolberger SV und dem TV Palmersheim die beiden Oberliga-Tickets überlassen musste. Die Entscheidung war hauchdünn, denn auf Palmersheim mit Spielmacher René Lönenbach fehlten letztlich nur ein Tor beziehungsweise 120 Sekunden. Damals brachte ein Doppelschlag von Clemens Brill das 23:23 (58.), 24:23 (59.), ehe Lönenbach die Palmersheimer durch seine individuelle Klasse mit den Treffern zum 24:24 (59.) und 25:24 (60.) jubeln ließ. Ein Jahr später war es jedoch so weit für den TuS, der mit 47:13 Punkten durch die Saison kam und auf dem Weg zu Rang zwei mit 997 Treffern den deutlich besten Angriff der Klasse stellte. Und den direkten Vergleich mit dem Ersten BTB Aachen (50:10 Zähler) konnten die Königsdorfer sogar für sich entscheiden – durch einen hohen 35:22-Erfolg aus der Hinrunde und die knappe 26:28-Niederlage aus der Rückrunde. Einen ziemlich ungewöhnlichen Wert auf dem Weg durch die Saison nehmen aber auch die beiden Duelle mit dem HSV Frechen ein – sowohl das 31:27 im „Auswärtsspiel“ am 10. Dezember 2022 als auch das 30:36 am 11. Mai 2023 im „Heimspiel“.

Königsdorf fühlt sich zwar dem Namen nach wie ein Handball-Dorf, ist aber ganz unromantisch mit seinen rund 12000 dort lebenden Menschen „nur“ ein Stadtteil von Frechen – und deshalb immer direkt davon betroffen, welche Maßnahmen die Verantwortungsträger der Politik dort treffen und durchführen. So war das dann auch vor mehr als einem Jahr, als die Gerhard-Berger-Halle an der Pfeilstraße in Königsdorf, praktisch die Lebensader der TuS Handballer, in eine Nutzung als Flüchtlingsunterkunft überführt wurde. Guter Rat für die Sportler, die ihre sportliche Heimat damals innerhalb kürzester Zeit räumen mussten, war teuer – und das Ergebnis am Ende nicht mehr als eine Notlösung. Das Paket, das bis heute gilt: Der TuS kam in der Spielstätte des Lokalrivalen HSV Frechen unter und bestritt dort über die gesamte Saison 2022/2023 seine „Heimspiele“ – was selbstredend für beide Seiten eine schwierige Angelegenheit ist. Die von Franziskus Bleck und seiner Mannschaft nutzbaren Kapazitäten sind ganz nebenbei nicht oberliga-tauglich: Die komplette Halle steht den TuS jeweils donnerstags ab 17.30 Uhr zur Verfügung – was eher an den Termin für eine Jugendmannschaft erinnert. Für eine zweite Einheit können die Königsdorfer lediglich ein halbe Halle nutzen – was für eine an der Leistung orientierte Mannschaft noch schwieriger ist als für ein reines Hobbyteam. „Das ist alle sehr suboptimal“, betont Bleck. Was sie im Verein erst richtig ärgert: Die Halle steht inzwischen seit fast vier Monaten wieder leer, wird also als nicht (mehr) als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Das versteht so niemand und immer wieder fällt der Hinweis auf fehlende Transparenz in dieser Angelegenheit.

Der TuS Königsdorf wäre nicht der TuS Königsdorf, wenn es sich davon unterkriegen ließe – was gleichzeitig für alle Männer- und Frauenmannschaften sowie die erfolgreiche Jugend gilt. Trainer Bleck, ein Ur-Königsdorfer, der seine Spieler-Karriere vor einigen Jahren nach einem Kreuzbandriss beenden musste, überträgt deswegen umso mehr Eigenverantwortung an die Spieler – denen er zutraut, läuferische und allgemeine athletische Übungen selbstständig auszuführen. Gemeinsam wollen sie – dazu passend – die kostbaren Ressourcen in der Halle ausschließlich für handballerische Belange und taktische Dinge nutzen. „Die Jungs kriegen das gut hin“, sagt Bleck, der als 1993er-Jahrgang vom Alter her ziemlich nah dran ist an seiner Mannschaft: „Ich bin damals plötzlich Trainer meiner Freunde geworden.“ Genau dieses interne Klima ist gleichzeitig eine der großen Stärken des TuS, der ebenso selbstbewusst wie demütig auf die kommende Saison blickt. „Wir werden nicht 90 Prozent aller Spiele gewinnen. Wir werden lernen müssen, mit Niederlagen umzugehen“, weiß der Coach, „positive Emotionen können wir gut kanalisieren.“ Insgesamt dürfte der Mannschaft nichts anderes als ein weiteres Stück im Reifeprozess bevorstehen.

Alle mal herhören! Trainer Franziskus Bleck hat offensichtlich einen blendenden Draht zu seinen Spielern. (Foto: Maria Schulz)

Ein Stück Erfahrung bekommen die Königsdorfer zur neuen Saison ebenfalls hinzu – wobei Jan Lange vermutlich sowieso als Führungsspieler durchgehen wird. Der 25 Jahre „alte“ Mittelmann war in der jüngeren Vergangenheit der Dreh- und Angelpunkt beim Oberliga-Absteiger TV Jahn Köln-Wahn. Als Referenz bringt er dabei nicht nur viel sportliche Qualität und über 200 Tore in der Saison 2022/2023 mit, sondern auch jene zum TuS passende Leidenschaft und Einstellung. Fast natürlich übernimmt Lange eine weitere Aufgabe beim TuS Königsdorf, denn er wird Co-Trainer bei den Damen und dort zusammen mit Trainer Ole Romberg arbeiten – der wiederum seinerseits als Spieler nach einem Ausflug zum Oberligisten Pulheimer SC nach Königsdorf zurückgekehrt ist. Alle zusammen sind sehr gespannt auf das, was da kommen mag, und sie bleiben zugleich realistisch. „Strukturell ist es unsere wichtigste Aufgabe, dass wir uns für eine der drei Verbandsligen qualifizieren“, erläutert Bleck. Was er meint und sich nicht direkt erschließt, weil die Verbandsgremien offensichtlich in vielen Bereichen nichts so sehr scheuen wie Transparenz: Die bisher getrennt operierenden Verbände Niederrhein und Mittelrhein sollen ja nach seit einiger Zeit kursierenden Plänen demnächst in einem neuen Verband Nordrhein aufgehen. Die bisherigen Oberligen (jeweils eine) hießen ab dann Verbandsligen – die in drei Gruppen an den Start gehen soll. 

Mit einer Utopie beschäftigen sie sich in Königsdorf im Übrigen auch noch und sie hat damit zu tun, dass der TuS immer wieder herausragende junge Talente hervorbringt, die handballerisch das Zeug zu einer Karriere in höheren Klassen haben. Ein Beispiel ist Rückraumspieler Moritz Köster, der aus der A-Jugend über den Zweitligisten TSV Bayer Dormagen den Weg zum Erstligisten VfL Gummersbach fand und in dessen Drittliga-Team zum festen Stamm gehört – mit der Perspektive nach oben. Ein zweites ist Torhüter Elvan Kromberg, der mittlerweile beim Drittligisten Longericher SC zwischen den Pfosten steht. Als dritter Beleg kommt Linkshänder Lennart Niehaus in Frage, der bis zur B-Jugend in Königsdorf unterwegs war, ehe er zur HSG Refrath/Hand wechselte und von dort aus nach dem ersten Jahr des Vereins in der Regionalliga kürzlich ebenfalls zum LSC wechselte. „Dass die drei mal wieder in Königsdorf spielen, ist mein Traum“, betont Franziskus Beck. Dass einer aus diesem Trio keine Lust mehr auf 3. Liga (oder mehr) hat, lässt sich bisher allerdings nicht erkennen.“ Deshalb haben sie in Königsdorf noch einen zweiten Traum. Titel: „Wir dürfen in unsere Halle zurück.“