Oberliga Niederrhein
Ende des Leidens? Neuss will den Neustart
Regionalliga-Absteiger startet mit umgebautem Team und frischer Zuversicht. Ein Grund: Nächste Woche kann er die Halle Hammfeld wieder voll nutzen.

Ansprache: Trainer Julian Fanenbruck (Mitte) und der Sportliche Leiter Josip Jurisic (Dritter von rechts) hoffen mit der Mannschaft, dass sie in ihren Auszeiten künftig wieder mehr erfreuliche Puzzleteile aufarbeiten können. (Foto: Ralf van Thriel)

Wer in dieser Stadt etwas mit dem Handball zu tun hat, bringt in der Regel nicht nur ein hohes Maß an Leidenschaft für seinen Sport mit. Er muss zumindest in der jüngeren Vergangenheit auch ziemlich leidensfähig sein.  Und irgendwie kämpft der Neusser HV zurzeit immer noch mit alten Lasten – auf der Suche nach einem Schlusspunkt einerseits und einem Neuanfang andererseits. Das unglückselige Kapitel der Vereinsgeschichte, als der NHV ein Teil der letztlich krachend gescheiterten Rhein Vikings inklusive Abstieg aus der 2. Bundesliga nach der Serie 2018/2019 und finanziell bedingtem Rückzug aus der 3. Bundesliga im Januar 2020 war, lässt sich offensichtlich nicht ohne Weiteres vom Tisch wischen. Der erste Versuch, in der Regionalliga wieder mehr Boden unter die Füße zu bekommen, scheiterte coronabedingt mit dem damaligen Trainer Gilbert Lansen nach drei Spieltagen und drei Niederlagen bereits Anfang Oktober 2020, weil die Saison 2020/2021 erst unter- und später abgebrochen wurde. Ein Jahr darauf wanderte der siebte Platz mit 25:27 Zählern aufs Konto, ehe die Saison 2022/2023 nicht nur weitere personelle Änderungen auf und neben der Platte brachte, sondern vor allem den totalen Frust. Nach dem 29:26 vom dritten Spieltag beim Aufsteiger Bergischer HC gelang den Neussern kein einziger Sieg mehr. Folge: Mit 5:47 Zählern aus 26 Partien musste der NHV abgeschlagen die Regionalliga verlassen und den Weg in die Oberliga Niederrhein gehen. Trainer Julian Fanenbruck, vorher Co-Trainer und bereits im Laufe der fordernden vergangenen Saison auf den Chefstuhl gerückt, hat dabei nie die Lust verloren. Er weiß, dass jetzt erneut ein hartes Stück Arbeit wartet, blickt jedoch trotz erneuter starker Veränderungen im Kader zuversichtlich nach vorne: „Wir müssen noch mal neu aufbauen. Wir arbeiten darauf hin, dass wir wieder mehr gewinnen.“ Nach Angst oder Pessimismus klingt das nicht – eher nach dem Spaß daran, die Ärmel aufzukrempeln und die Vergangenheit endgültig in die Mottenkiste zu verbannen.

Aus dem bisherigen Kader sind einige tragende Kräfte nicht mehr an Bord. Daniel Küpper Ventura und Dustin Franz spielen jetzt für den TV  Korschenbroich, während sich Daniel Zwarg und Justin Kauwetter zum OSC Rheinhausen veränderten. Ebenfalls in der Regionalliga bleibt Keeper Robin Schroif, der künftig für den HC Weiden zwischen den Pfosten steht. Niko Merten wechselte zum neuen Klassen-Konkurrenten Mettmann-Sport in die Oberliga und Torhüter Moritz Wiese will sich beim TuS 82 Opladen in der 3. Liga einer neuen sportlichen Herausforderung stellen. Ganz klar: In der Summe heißt das einfach, dass den Neussern eine komplette Mannschaft abhandengekommen ist. Ermutigende Zeichen waren für die Verantwortlichen dafür andere personelle Nachrichten – wie jene, dass ein Führungsspieler wie Tim Dicks (25) ebenso geblieben ist wie Marco Bauer (31). Der sportlich prominenteste Neuzugang ist David Jurisic – ein Ur-Neusser, der als Siebenjähriger beim NHV mit dem Handball begann, sich später in die U-19-Nationalmannschaft Kroatiens spielte und anschließend Erfahrung in der 2. Bundesliga und in der 3. Liga sammelte. Über den Wilhelmshavener HV, den VfL Eintracht Hagen und den ASV Hamm-Westfalen führte sein Weg nun zurück zu den Anfängen. Seine Zusage soll für die Neusser eine Art Signalwirkung haben.

Ein ganz anderes Signal geht von einer Personalie aus, die mindestens genauso in die Kategorie ungewöhnlich gehört. Dass dabei im Kader der Neusser inzwischen ein weiterer Handballer für den rechten Rückraum steht, ist weniger spektakulär – dafür aber sein Name: Anthony Pistolesi. Der 49 Jahre alte Franzose, der in Nizza geboren wurde, hat in seiner Karriere (einst als Profi) zahlreiche Stationen erlebt und er bringt daraus einen großen Schatz an Kenntnissen über den Handball mit. Neben Stationen in Frankreich, Spanien, Belgien und Luxemburg hielt sich Pistolesi handballerisch überwiegend in Deutschland auf – unter anderem in Magdeburg, Dessau und Stralsund sowie später beim Leichlinger TV, bei der SG Ratingen, bei der Unitas Haan und zuletzt bei der HSG Vennikel/Rumeln/Kaldenhausen in der Verbandsliga. Für die Neusser und ihren namhaften Neuzugang ist die Angelegenheit offensichtlich mehr als ein bloßer Marketingscherz. Pistolesi trainiert voll mit und sein Coach bescheinigt ihm in gleichem Maße Einsatz wie Teamgeist. „Er entwickelt viel Ehrgeiz“, betont Fanenbruck, der nicht nur die immer noch vorhandenen sportlichen Fähigkeiten des Routiniers schätzt: „Er gibt sehr viel an die jungen Leute weiter.“ Vielleicht ist es genau das, was den Neussern in den kommenden Wochen und Monaten besonders helfen wird auf dem Weg zurück zu mehr Erfolg. Der älteste NHV-Spieler wäre Pistolesi im Übrigen sowieso nicht: Dieser „Titel“ gehört dem Teamkollegen Robert Bosnjak (52), der gleichfalls auf Fanenbrucks offizieller Kaderliste zu finden ist.

Was den Neussern als Verein allgemein neue Zuversicht verleiht: Die Zeit des Dauer-Theaters um die Heimspielstätte Hammfeld mit wechselnden Sperrungen oder dem Verbot der Harz-Nutzung scheint gerade mit größeren Schritten dem Ende entgegenzugehen. Die vergangenen Wochen waren zwar wiederum einigermaßen mühselig, weil die Spieler in der zur Verfügung stehenden Ausweichhalle im Training ebenfalls nicht zu Haftmittel greifen durften, doch eine entscheidende Besserung ist in Sicht: Die notwenigen Instandsetzungs-, Umbau- und Sanierungsmaßnahmen im Hammfeld sind so weit fortgeschritten, dass der NHV in der kommenden Woche am 8. August in seine handballerische Heimat zurückkehren kann – ohne Einschränkung. Die Neusser sind glücklich darüber und Fanenbruck ist wie die anderen Verantwortlichen dankbar, dass sich die Lage hier richtig entspannt hat: „Der Kontakt zur Stadt Neuss und dem Rhein-Kreis ist mittlerweile wieder deutlich besser.“ Möglicherweise hilft das den Handballern ja dabei, eine doch belastende Serie zu stoppen: Der bislang letzte Meisterschafts-Heimsieg (33:23 gegen TV Rheinbach) stammt vom 14. Mai 2022 und ist damit fast 15 Monate alt. In der Saison 2022/2023 gingen jedenfalls alle 13 Heimspiele mit 0:26 Punkten verloren. Es versteht sich von selbst, dass der NHV daran einiges oder sogar alles ändern will.

Auf ein konkretes Ziel oder eine feste Position für die neue Saison mag/kann sich Fanenbruck vorläufig nicht festlegen – alleine deshalb, weil sich erst das Potenzial der eigenen umgebauten Mannschaft herausstellen muss. „Es wäre absolut vermessen, wenn wir sagen würden, dass wir wieder hochgehen“, sagt Fanenbruck in realistischer Einschätzung der Dinge, „unser Wunsch wäre das obere Drittel.“ Dass der Weg dorthin schwierig ausfallen wird, wissen die Neusser, die am 29. August mit der verlegten Partie bei der HSG Hiesfeld/Aldenrade etwas verspätet in die Oberliga-Saison starten – und so immerhin am Wochenende 25. bis 27. August einen großen Teil der Konkurrenz noch beobachten können. Nach Hiesfeld folgt am 2. September direkt das Duell mit dem Vorjahresdritten DJK Adler Königshof, ehe es am 9. September zum TSV Kaldenkirchen geht (Elfter). Im Anschluss ans Heimspiel am 16. September gegen Handball Oppum (Zwölfter) geht es am 23. September gegen Mettmann-Sport (Vierter) und am 1. Oktober zur Unitas Haan (Zweiter). Es gilt die Wette, dass die Neusser noch vor der Meisterschafts-Unterbrechung (Herbst-Schulferien) ziemlich genau einschätzen können, mit was sie beim nächsten Unternehmen Neustart echt rechnen dürfen/müssen. Gelitten haben sie im vergangenen Jahr wohl tatsächlich genug.