09. August 2023 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Ehen für die Ewigkeit haben auch im Handball eher Seltenheitswert. In diesem Fall hielt sie genau drei Jahre, obwohl sich beide Seiten mehr davon versprochen hatten. Und Alexander Zapf war im Sommer 2020 nicht etwa von den Bergischen Panthern zurück zu seinem alten Verein HG Remscheid gekommen, um dort die Dinge vor sich hintreiben zu lassen. Es sollte nach der ersten von der Corona-Pandemie beeinflussten und vorzeitig abgebrochenen Saison mit dem Verzicht auf Absteiger (was die Rettung der HGR im Jahr eins nach dem Aufstieg war) deutlich nach vorne gehen. Die Maxime damals: „Wir brauchen die Gier nach Erfolg und den Willen nach Erfolg.“ Die Bilanz danach: Ein eher wertloser Rang zwei mit 6:0 Punkten in 2020/2021, weil die Serie nach drei Spieltagen abrupt beendet wurde, Rang fünf mit 30:22 Zählern in der Saison 2021/2022 und Platz fünf mit 29:23 Punkten in der Saison 2022/2023. Die endete am 13. Mai 2023 mit einer 33:34-Niederlage gegen den Meister und künftigen Drittligisten Interaktiv.Handball. Gleichzeitig war es die Abschieds-Vorstellung von Alexander Zapf, der noch im Sommer 2021 entschlossen erklärt hatte, im Verein mehr als „nur“ Trainer sein zu wollen, sondern auch Motor des Handballs im Bergischen. Motor des Handballs will Zapf (33) weiter sein: Allerdings stand in jenem Mai bereits seit ein paar Monaten fest, dass er die HGR verlässt und seinen Wirkungskreis ein paar Kilometer verlegt – und beim VfL Eintracht Hagen künftig für die U 23 des Zweitligisten in der Oberliga Westfalen arbeitet. Längst fest stand da im Übrigen auch die Nachfolgeregelung fest, auf die nicht jeder auf Anhieb gekommen wäre: Neuer Cheftrainer ist Nelson Weisz (31), der zuletzt die junge zweite Mannschaft des Zweitligisten TuSEM Essen aus der Regionalliga Nordrhein in die 3. Liga geführt hatte und dann im März 2022 mitten im Abstiegskampf entlassen wurde. In Remscheid übernimmt Weisz nun die Aufgabe, im ersten Schritt nicht weniger als einen relativ großen Umbruch zu bewältigen. Seine Zusammenfassung für die anspruchsvolle Aufgabe verrät dabei mindestens Ehrgeiz: „Es geht darum, Leistungssport möglich zu machen. Wir wollen in zwei bis drei Jahren die 3. Liga angreifen.“
Dieser Weg wird allerdings angesichts der bevorstehenden Neu-Formation ein durchaus weiter sein – was zunächst mit dem nicht mehr zur Verfügung stehenden Personal zu tun hat, ohne das die HG Remscheid in den vergangenen Jahren kaum zu denken war. Nicht mehr an Bord sind Torhüter Tobias Geske, der auch kein Sportlicher Leiter mehr ist, Rückraumspieler Philipp Hinkelmann, Kreisläufer Dominic Luciano, Linksaußen Pascal Hermann und Rechtsaußen Achim Jansen. Hinzugekommen sind ebenfalls erfahrene Kräfte wie Keeper Max Conzen (30), der zuletzt für den benachbarten Drittligisten Bergische Panther zwischen den Pfosten stand, Dimitry Stukalin, der Drittliga-Erfahrung für den Rückraum etwa von der Ahlener SG mitbringt, und junge Leute wie Rückraumspieler Ole Vetterlein (21) vom Niederrhein-Oberligisten HSV Überruhr und nicht zuletzt Julian Athanasoglou (21). Der Rechtaußen wechselte vor drei Jahren aus der U 19 des VfL Gummersbach über den Zweitligisten VfL Eintracht Hagen zum Drittligisten HSG Krefeld Niederrhein, ehe er nun den Weg ins Bergische fand. In der Summe sieht es danach aus, dass die Remscheider ihre Abgänge nach Quantität und Qualität ersetzen konnten – doch der größte Teil der Arbeit liegt noch vor allen Beteiligten, weil sich viele Dinge neu sortieren und entsprechend einspielen müssen. Fest steht aus der Sicht von Weisz immerhin, dass die HGR in den Keepern Linus Mathes und Max Conzen eine der stärksten Torhüter-Paarungen in der gesamten Regionalliga an den Start bringt. Mehr Luft nach oben als in der Defensive scheint aber vorne da zu sein: Während die Remscheider Abwehr in der Saison 2022/2023 mit 762 Gegentreffern die viertbeste Marke der Klasse erzielte, landete der Angriff mit 783 Toren aus 26 Spielen im Durchschnitt mit 30,11 Treffern pro Partie soeben jenseits der 30er-Marke. Sechs Team waren insgesamt besser, darunter im Achten TuSEM Essen II (814) und im Neunten TSV Bonn rrh. (805) zwei Konkurrenten aus der unteren Tabellenhälfte.
Was bei den Remscheidern eine Konstante bleibt: Ihr Trainer bringt wie der Vorgänger Zapf (am Remscheider Berufskolleg Schule und Verwaltung beschäftigt) intensiv ausgeprägte pädagogische Kenntnisse mit. Dabei gehört Weisz als Lehrer für Sport und Geschichte dem Kollegium der Duisburger Lise-Meitner-Gesamtschule an. Einer der Kollegen dort: Thomas Molsner, der einstige Trainer des Regionalligisten OSC Rheinhausen. Sein oberster Vorgesetzter dort: Klaus Stephan, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtvereins OSC und auch aktuell dessen federführender Abteilungsleiter Handball. Mutmaßlich werden sich die Herren – falls denn zwischen Lehrer- und Klassenzimmer/Sporthalle die Zeit bleibt – auch über ihre gemeinsame Leidenschaft für den Handball austauschen. Zum direkten Duell der beiden Klubs kommt es hierbei erst am 22. Oktober nach der dreiwöchigen Meisterschafts-Unterbrechung durch die Herbst-Schulferien, wenn bereits sechs Spieltage hinter den Regionalligisten liegen. In drei Fällen könnten sich der OSC und die HGR direkt über Gegner austauschen, die sie jeweils bereits hinter sich haben (TSV Bayer Dormagen II, TV Korschenbroich, MTV Rheinwacht Dinslaken). Ein besonderer Termin wartet im Sechser-Starterpaket auf jeden Fall am 17. September auf Nelson Weisz, der ganz „nebenbei“ im Mai 2023 mit Erfolg die Prüfung zum Erwerb der Trainer-A-Lizenz ablegte: Dann tritt er mit den Remscheidern bei TuSEM Essen II an und betritt in der Sporthalle Margaretenhöhe mal wieder seinen alten „Arbeitsplatz“, an dem seine Trainerkarriere begann – in der er sich nun mit der A-Lizenz sogar um Vereine in den höchsten deutschen Ligen kümmern darf. Und beim nicht einfachen Lehrgang hatte er sogar mit Kollegen aus der 1. und 2. Bundesliga zu tun: Peer Pütz etwa ist Co-Trainer beim Bergischen HC in der höchsten Liga, der gebürtige Essener Michael Haaß steht beim Zweitligisten TuS N-Lübbecke an der Seitenlinie.
Dass vor den Remscheidern auf dem Weg in oder durch eine starke Saison eine beträchtliche Herausforderung liegt, zeigte jetzt unter anderem das Vorbereitungs-Turnier des Klassenkonkurrenten Bergischer HC II – weil es dort hinter dem Oberligisten Unitas Haan sowie dem BHC II und der ebenfalls in der Regionalliga angesiedelten SG Langenfeld nur den letzten Platz gab – verbunden mit zahlreichen Baustellen, die sich besonders bei der 11:19-Niederlage zum Auftakt gegen Langenfeld zeigten. Logisch: Ähnliche Fehlerfestivals wird sich die HGR in der Meisterschaft erneut nicht leisten können, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Andererseits weiß Weisz, dass Vorbereitungs-Ergebnisse wegen beschränkter Aussagekraft nur bedingt oder überhaupt keine Prognosen für die Meisterschaft zulassen. An der Intensität der Vorbereitung soll es jedenfalls nicht liegen, falls demnächst das eine oder andere Rad im Getriebe vielleicht noch klemmt: Vier Trainingseinheiten pro Woche stehen zur Verfügung – und Weisz hat vor, sie mit seiner neuen Mannschaft intensiv zu nutzen. „Wir haben ein paar Dinge angepasst“, sagt der HGR-Coach, „wir befinden uns noch in einer Phase des Kennenlernens für beide Seiten. Vieles muss sich auch erst einspielen, wir müssen uns entwickeln. Insgesamt haben wir in Remscheid ganz gute Möglichkeiten.“
Weisz hält, wie nicht wenige Trainer in der Regionalliga, den vergangenen Vizemeister TV Korschenbroich für den beinahe natürlichen Meisterschaftsfavoriten – weil der TVK in der vergangenen Saison zusammen mit dem Aufsteiger und Neu-Drittligisten Interaktiv.Handball tatsächlich in einer eigenen Liga unterwegs war. Daneben erwartet der HGR-Coach eine Menge vom Vorjahresvierten OSC Rheinhausen, der im Mai als Vierter nur knapp vor Remscheid über die Ziellinie kam: „Sie haben sich sehr gut verstärkt.“ Wie die eigenen Aussichten in der Wirklichkeit aussehen könnten, wird sich spätestens in drei Wochen am 26. August zum Auftakt gegen den Klassen-Neuling TSV Bayer Dormagen II zeigen (Aufsteiger aus der Oberliga Mittelrhein). Es folgt am 3. September der Auftritt beim BTB Aachen (zuletzt Elfter), gegen den die damals jeweils favorisierten Remscheider 2022/2023 beide Duelle verloren (27:31 im Heimspiel, 28:29 in Aachen). Anschließend kommen am 9. September die Korschenbroicher nach Remscheid, das danach vor den Herbst-Schulferien drei weitere sehr wahrscheinlich aufschlussreiche Partien absolviert – am 17. September in Essen II (Achter), am 24. September gegen den MTV Rheinwacht Dinslaken (Rang 13) und am 29. September beim Bergischen HC II (Zwölfter). Dass bis auf Korschenbroich alle Gegner in der Serie 2022/2023 in der Abschluss-Tabelle in der unteren Hälfte landeten, scheint auf den ersten Blick für die im Umbau steckenden Remscheider ein Vorteil zu sein. Auf den zweiten Blick lässt sich daraus wenig ableiten – wobei sie die untere Tabellenhälfte und erst recht den Abstiegskampf im Bergischen Land sicher sehr gerne den anderen überlassen. Remscheid will und muss aber zumindest die Basis für die nächsten Jahre schaffen. Die soll gar nicht so viel später ja in der 3. Liga stattfinden. Gleichzeitig ist A-Lizenz-Trainer Nelson Weisz sowieso eher nicht gekommen, um sich mit Mittelmaß zu begnügen.