1. Bundesliga
Najis Lehren: Weniger kann mehr sein
Trainer des Bergischen HC freut sich sehr auf die neue Serie. VfL Gummersbach will die gute vergangene Saison bestätigen.

Erklär mal: Spielmacher Linus Arnesson ist auch in der kommenden Saison federführend dafür zuständig, beim Bergischen HC die Ideen von Trainer Jamal Naji umzusetzen. (Foto: Michael Jäger)

Er ist einer, der fast die Gelassenheit des Alters ausstrahlt – nicht in erster Linie jene an Jahren nach dem Geburtsdatum. Da geht Jamal Naji mit 37 immer noch als einer der jüngeren Trainer in der höchsten deutschen Klasse durch. Und tatsächlich ist seine zweite Saison beim Bergischen HC, die in Kürze beginnt, auch erst die dritte insgesamt in Najis Bundesliga-Karriere, die er ja grundsätzlich ohnehin nicht so sehr gerne in präzise Abschnitte einteilt. Was er trotzdem aus dem Bundesliga-Aufenthalt mit TuSEM Essen in der Saison 2021/2022 und jenen intensiven BHC-Monaten in der zurückliegenden Serie 2022/2023 mitnahm: Es geht intensiv zu da ganz oben,  es ist ein Privileg, dort beruflich seiner Leidenschaft nachgehen zu dürfen – und manchmal ist weniger eben doch mehr. Damit meint der BHC-Coach selbstredend nicht die denkbare Punkteausbeute. „Wir sind schlanker geworden“, sagt Naji. Was darunter zu verstehen ist: Dinge/Ideen, die vorne weniger als erhofft funktioniert haben und damit nicht richtig effektiv waren, gehören nicht mehr zum Repertoire. Neu an Bord ist dafür – neben der bisherigen 6:0-Deckung – immerhin die deutlich offensivere 3:2:1-Variante. Dass sich der in Solingen ansässige Verein, der seine Heimspiele nur noch in Wuppertal und Düsseldorf austrägt, etwas einfallen lassen muss, steht nicht nur aus Najis Sicht sehr sicher fest: „Das wird eine schwierige Saison. Ich gehe davon aus, dass es wieder sehr eng wird.“ 

Dass sich der BHC nach 30:38 Punkten und Rang zwölf aus der vergangenen Saison etwa in Richtung des oberen Mittelfeldes orientieren könnte, hält Naji bei allem Optimismus für abwegig: „Es wäre utopisch, wenn wir daran denken, Siebter zu werden.“ Das wäre jene Region hinter den Top-Teams von THW Kiel bis Rhein-Neckar Löwen – mit denen sich der BHC über die Saison gesehen weder messen kann noch will – mit einer Ausnahme: „Unser Ziel wird es wieder sein, einen der Großen zu schlagen.“ Da denken sie bis heute an jenen 14. Mai, als der BHC die Füchse Berlin mit 34:30 besiegen konnte – verdient und nicht etwa aus Zufall. Naji hat allerdings die negativen Ausreißer ebenfalls noch präsent: „Wir hatten fünf Spiele zum Vergessen.“ Dazu zählt unter anderem das 28:38 vom 22. April beim TBV Lemgo Lippe, der nach einem schwierigen Saisonstart später als Achter doch vor dem BHC einkam – praktisch als Spitzenreiter eines dichten Feldes aus wenigstens sieben Mannschaften bis zu Platz 14. MT Melsungen, VfL Gummersbach, SC DHfK Leipzig, HC Erlangen. Frisch Auf Göppingen – ihnen alle traut Naji zu, dem BHC das Leben schwer zu machen. Was sich von selbst versteht: Seiner eigenen Mannschaft traut er zu, sich entsprechend zu wehren.

Der größte Teil der Vorbereitung lief trotz des einen oder anderen personellen Problems ordentlich. In Tests etwa gegen den SC Magdeburg (31:34) oder die HSG Wetzlar (33:29) bot die Mannschaft unabhängig von den Ergebnissen selbst ohne die verletzten/angeschlagenen Tom Kare Nikolaisen, Frederik Ladefoged und Djibril M’Bengue überzeugende Leistungen. Was die Arbeit in diesen Tagen und Wochen wirklich wert ist und wie zum Beispiel die Neuen wie Eloy Morante Maldonado (TuSEM Essen) und Aron Seesing (TSV Bayer Dormagen) ihre Rollen finden, dürfte dennoch erst der Meisterschaftsstart zeigen – der den BHC am 26. August nach Thüringen führt. Und die Aufgabe beim Aufsteiger ThSV Eisenach könnte maximal unangenehmen werden, obwohl viele den Gastgebern eher geringe Chancen auf den Klassenerhalt geben. Naji sieht es anders: „Eisenach erlebt gerade eine riesige Euphorie. Das wird ein großer Kampf, dazu müssen wir bereit sein.“ Da dürfte er richtig liegen, zumal der folgende September gleich sechs dicke Brocken bereithält. Der Auftakt gegen den Aufsteiger HBW Balingen-Weilstetten (1. September) und beim HC Erlangen (6. September)  wirkt dabei fast wie ein machbares Auftakt-Programm. Anschließend jedoch folgen die Partien gegen Berlin (10. September), in Gummersbach (14. September), gegen die Rhein-Necker Löwen (23. September) und bei der SG Flensburg-Handewitt (28. September). Was Naji angesichts dieser Aufgaben empfindet? Die Antwort kommt schnell: „Eine absolute Vorfreude.“

Das sehen sie ein paar Kilometer weiter beim VfL Gummersbach nicht wesentlich anders. Dabei gab es im Laufe der Vorbereitung zunächst zwei Nachrichten, die ohne Weiteres in die Kategorie Hiobsbotschaft gehören: Zuerst erwischte es den aus Göppingen gekommenen Torhüter Daniel Rebmann (Sehnenriss im Fuß), der zusammen mit dem letztjährigen Stammkeeper Tibor Ivanisevic die Arbeit auf dem Posten zwischen den Pfosten erledigen soll, drei Wochen später traf es in Lukas Blohme (Sprunggelenk) einen der Schlüsselspieler aus der vergangenen Saison. Da war der Rechtsaußen durch seine 192 Treffer aus 34 Begegnungen sogar die Nummer drei unter den besten Schützen der 1. Bundesliga. Nur Casper Ulrich Mortensen (234) vom HSV Hamburg und Juri Knorr (213) von den Rhein-Neckar Löwen lagen vor Blohme – auf dessen baldige Rückkehr die Gummersbacher dringend hoffen. Von starken Ergebnissen in der Vorbereitung ließ sich der VfL vom Fehlen der Stammkräfte im Übrigen nicht abhalten: Zuletzt gab es fünf Tests und fünf Siege gegen Erstligisten aus Dänemark, Schweden und Deutschland – 33:27 gegen Skanderborg Aarhus, 35:33 gegen TTH Holstebro, 35:32 gegen IFK Kristianstad, 30:23 gegen Skjern Handbold, 28:25 gegen TSV Hannover-Burgdorf. Es passt irgendwie zum Gummersbacher Selbstverständnis, dass sie auch für die offizielle Saisoneröffnung am 19. August ins obere Regal der möglichen Gegner gegriffen haben: Auf dem Programm steht um 18 Uhr die Partie gegen den französischen Spitzenklub Paris Saint Germain, der mit einer Ansammlung an Edelhandballern ausgestattet ist – angeführt vom einstigen Welthandballer Nikola Karabatic.

Hinter dem VfL liegt ein phasenweise furiose Saison eins nach der Rückkehr aus der 2. in die 1. Bundesliga: In die Gefahr, sich um den Klassenerhalt sorgen zu müssen, kam die Mannschaft von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson von der ersten Sekunde an nicht – und vorübergehend sah es sogar danach aus, dass die Gummersbacher auf einem Platz in der oberen Tabellenhälfte über die Zielllinie gehen können. Dazu fehlte am Ende bei 33:35 Zählern zwar ein Punkt, aber mit Rang zehn und einigen Höhepunkten in der oft ausverkauften Schwalbe-Arena konnten das Team, die Trainer und die weiteren Verantwortlichen um Geschäftsführer Christoph Schindler sehr gut leben. Beim 28:30 gegen den SC Magdeburg waren die Gummersbacher im Oktober 2022 schon ziemlich dicht dran an einer großen Überraschung – die sie dann im November mit dem 31:29 gegen die SG Flensburg-Handewitt tatsächlich schafften. Und im Dezember waren sie schließlich mit dem 28:31 gegen die Rhein-Neckar Löwen wieder dicht dran. Sigurdsson leitet aus allem jetzt keine direkten Überflieger-Pläne ab, nimmt allerdings die Saison 2022/2023 im Ganzen als Maßstab und hat es jetzt so formuliert: „Wir wollen uns entwickeln. Wir müssen bestätigen, was wir gemacht haben.“ Dass die Konkurrenz den VfL schon zuletzt als Bereicherung für die Bundesliga angesehen hat und ihn jetzt erst recht nicht unterschätzen wird, liegt für den früheren Weltklasse-Linksaußen sowieso auf der Hand.

Das Auftaktprogramm hat es in sich, aber es hätte auf der anderen Seite schlimmer kommen können für Gummersbach – das am 27. August gegen den TBV Lemgo Lippe beginnt. Es ist eine halbe Parallele zur vergangenen Serie, denn auch damals war der TBV der Auftaktgegner. Der VfL brachte seinerzeit aus Lemgo einen 30:26-Sieg mit, der die Basis für 8:2 Punkte aus den ersten fünf Begegnungen war. Um in einen vergleichbaren Bereich zu gelangen, dürfte Sigurdssons Team am 31. August beim Deutschen Meister THW Kiel verlieren – zumal er dort der klare Außenseiter ist. Dann bräuchte er zugleich allerdings entsprechende Resultate gegen Lemgo, am 6. September gegen die TSV Hannover-Burgdorf, am 9. September bei Frisch Auf Göppingen und am 14. September gegen den Bergischen HC. Ausgeschlossen ist das alles nicht und auf seine Fans in der Schwalbe-Arena wird sich der VfL wieder in ausreichender Zahl stützen können. Zuletzt lag die Auslastung über die gesamte Saison bei 3825 von 4132 Zuschauern pro Partie – also bei einer Durchschnittsquote von mehr als 92 Prozent. Mit weniger werden sie im Oberbergischen, wo nach eigener Einschätzung die „Heimat des Handballs“ liegt, sicher nicht zufrieden sein.