Oberliga Mittelrhein
Keine Frage: Alle jagen Siebengebirge
Mit einem drittliga-tauglichen Rückraum ist die HSG der klare Titelfavorit. Ob es in der Saison 2023/2024 auch Absteiger gibt, ist wenige Tage vor dem Saisonstart weiter ungeklärt.

Kein Stress, bitte! Trainer Lars Degenhardt sieht seine HSG Siebengebirge zwar auch als Favoriten in der neuen Saison. Ein Selbstläufer wird der Aufstieg aber nicht. (Foto: Thomas Schmidt)

Wer vor dem Start in die Saison 2023/2024 der Oberliga Mittelrhein seinen Gesprächspartner nach den Favoriten fragt, dem kann es passieren, dass er schnell belehrt wird. „Favoriten? Da gibt es nur einen.“ Ein wenig variieren die Antworten in der Deutlichkeit, aber einig sind sich alle: Den Druck, aufsteigen zu müssen, hat nur die HSG Siebengebirge. Der Vorjahres-Zweite um Trainer Lars Degenhardt gehörte schon in der zweiten Hälfte der vergangenen Spielzeit zu den stärksten Teams der Klasse. Nach einem Stolper-Start im Jahr 2022 (6:6 Punkte) fing sich die HSG sund holte aus den weiteren 24 Partien starke 41:7 Punkte, darunter zwei Unentschieden (31:31 und 33:33) gegen den Meister TSV Bayer Dormagen II. Die Dormagener sind jetzt in der Regionalliga zu Hause, von dort ist kein Team in die Oberliga Mittelrhein abgestiegen. So wären sie im Siebengebirge irgendwie ohnehin schon der logische Aufstiegsfavorit. Zusätzlich lohnt sich dann aber noch ein Blick aufs Personal. Nach einem Jahr beim Drittligisten Bergische Panther kehrt Bjarne Steinhaus zur HSG zurück – und bringt in Simon Schlösser einen zusätzlichen Akteur für den Rückraum mit, der damit mehr als höheren Ansprüchen genügt. Trainerkollege Frederic Rudloff vom Longericher SC II bringt auf den Punkt, was wohl viele denken: „Wenn da alle gesund bleiben, dann wird das der Aufsteiger sein. Ich glaube, jeder Trainer träumt davon, in der Oberliga einen Simon Schlösser auf der Mitte zu haben. Da kann man entspannt sitzen bleiben und den häufig einfach machen und entscheiden lassen. Die haben da letztlich einen guten Drittliga-Rückraum.“

Rund um die Halle am Sonnenhügel geben sie sich im Siebengebirge Mühe, die Gratwanderung hinzubekommen – einerseits den Druck zu reduzieren und andererseits die Favoritenrolle nicht unglaubwürdig von sich zu schieben. „Wir wissen natürlich, dass wir von vielen als Favorit gehandelt werden. Und das ist auch so, dass wir diese Rolle nicht nur kennen, sondern auch annehmen. Aber jeder, der schonmal im Sport unterwegs war, der weiß, dass in einer Saison sehr, sehr viele Dinge passieren und dass man für eine Aufstiegssaison verletzungsfrei und auch sehr, sehr konstant sein muss. Man darf sich keine Schwächephasen erlauben. Insofern ist es alles andere als ein Selbstläufer. Es wird sicherlich drauf ankommen, wie wir in unangenehmen Auswärtsspielen oder an Tagen, wenn mal nicht alles zusammenläuft, damit umgehen“, meint HSG-Coach Degenhardt, der zudem auf die Rivalen verweist: „Nümbrecht hat sich ebenfalls verstärkt. Longerich, Birkesdorf muss man immer auf dem Zettel haben. Ich denke, dass Pulheim immer eine gute Rolle spielen kann. Da ist dann mit dem MTV Köln, den man auch nennen muss, sehr ordentliche Konkurrenz.“

In der Tat hat der SSV Nümbrecht neben Siebengebirge im Sommer 2023 die spektakulärsten Neuzugänge in der Mannschaft. Dabei ragen vor allem die drei Akteure hervor, die vom oberbergischen Nachbarn HC Gelpe/Strombach aus der Regionalliga zum SSV gewechselt sind. Harry Roth, Tim Hartmann und Tobias Schröter verstärken den Vorjahres-Dritten und vor allem der 30-Jährige Ex-Profi Schröter mit seiner Bundesliga-Vergangenheit beim VfL Gummersbach weckt durchaus die eine oder andere Erwartung – die Nümbrechts Trainer Manuel Seinsche genau wie Kollege Degenhardt aber bremst: „Wir haben tolle Verstärkungen hinbekommen, jedoch finden wir uns gerade noch. Wir haben es geschafft, den Kader qualitativ nochmals zu verbessern und haben natürlich den Anspruch, oben mitzuspielen. Jedoch haben wir ein straffes Auftaktprogramm mit starken Birkesdorfern und Longerichern sowie am zweiten Spieltag Schwarz-Rot Aachen und am ersten Spieltag Pulheim, die einen Umbruch hatten und die man schlecht einordnen kann. Es gibt viele gute Teams in der Oberliga und es ist vermessen, auf den letzten Spieltag zu schauen. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich wieder ein Überraschungsteam oben mit festsetzen wird.“

Ein „Überraschungsteam“ in der oberen Tabellenregion wäre vielleicht der TV Rheinbach. Die Mannschaft des Trainergespanns Dietmar Schwolow/Jan Hammann hatte im Jahr eins nach dem Regionalliga-Abstieg eine schwierige Saison mit einem extrem dünn besetzten Kader zu bestreiten. Besonders trüb war 2022 der Herbst mit den derben Niederlagen gegen Siebengebirge (18:28), in Birkesdorf (23:32), gegen Longerich (23:32), in Nümbrecht (24:33) und gegen den TuS 82 Opladen II (26:30), nach denen der Rheinbacher Blick zeitweise sogar in Richtung Abstiegskampf ging. Schließlich holte der TV allerdings die nötigen Punkte und er kam als Sechster (32:28 Punkte) sicher ins Ziel. Ein Jahr später hat sich personell einiges getan und die Verantwortlichen blicken optimistisch auf die neue Spielzeit: „Ich bin zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Vorbereitung und dem aktuellen Leistungsstand des Teams. Wir sind wesentlich breiter aufgestellt als letztes Jahr. Als Saisonziel haben wir uns eine Platzierung unter den top vier gesetzt“, berichtet Schwolow. Etwas verhaltener sieht sein Longericher Kollege Rudloff die Dinge bei seinem Team. Wie üblich muss die Zweitvertretung des Drittligisten personell immer wieder rotieren und Akteure an die erste Mannschaft abgeben. So gehört Finn Malolepszy nach seiner starken Rückrunde aus der Vorsaison jetzt fest zum Drittliga-Kader. Hinzu kommen einige Verletzungen, sodass die Vorbereitung noch nicht viel Gelegenheit zum Einspielen bot. Rudloff: „Wir haben unsere Ziele etwas reduziert. Platz vier, Platz fünf, da wollen wir so ein bisschen einlaufen. Aber wir werden die ersten Spiele nutzen müssen, um uns einzuspielen.“

Wie viel Spannung die Oberliga Mittelrhein in ihrer letzten Auflage tatsächlich bietet, wird neben dem Aufstiegskampf auch von der Abstiegsfrage abhängen. Nach der Fusion der beiden Verbände Nieder- und Mittelrhein zum Verband Nordrhein soll es in der Saison 2024/2025 drei Oberligen mit jeweils 14 Mannschaften geben. Die veröffentlichten Durchführungsbestimmungen auf der offiziellen Website des neuen Verbandes sind hier allerdings weiterhin nicht komplett aussagekräftig. Für das Gebiet des alten Verbandes Niederrhein gibt es eine umfangreiche Datei mit dem Namen „Mögliche Szenarien“, in denen für den Niederrhein alle denkbaren Varianten durchgespielt werden. Ersichtlich ist hier, dass von den 42 zu vergebenden Plätzen (drei Ligen à 14 Teams) 18 für den Mittelrhein und 24 für den Niederrhein gedacht sind. Am Niederrhein wird es in der Oberliga trotzdem Absteiger geben, die zusätzlichen Plätze werden aus den Verbandsligen aufgefüllt, sodass dort auch der sechste oder siebte Platz noch reichen kann. Entsprechende Rechenbeispiele sucht man für das Gebiet Mittelrhein bisher vergeblich. Die entsprechende Datei „Anlage Senioren HVM“ ist inhaltlich nicht verständlich, eine klare Aussage somit auch wenige Tage vor dem Saisonstart nicht vorhanden. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Verband auf Absteiger in der Oberliga komplett verzichten will – was bei jetzt 14 Teams und 18 zu vergebenden Plätzen ja rechnerisch durchaus möglich sein dürfte. Ob das im Sinne der Spannung einer Liga wäre, ist eine andere Frage. Entscheidet sich der Verband wirklich komplett gegen Absteiger, wird es für die meisten Mannschaften von Beginn an eine Saison voller Freundschaftsspiele.

Unabhängig davon ist die Vorfreude bei den meisten zu spüren. Das gilt fast natürlich für die beiden Aufsteiger TuS Königsdorf und BTB Aachen II sowie für die Teams, die bis zum Mai erfolgreich um den Klassenerhalt gekämpft haben, wie zum Beispiel den TV Palmersheim. Der Aufsteiger von 2022 ist nicht nur sportlich eine Bereicherung für die Liga, sondern auch wegen seiner Fans, die selbstbei Auswärtsspielen oft in großer Anzahl mit von der Partie sind. Weil die gegenseitige Wertschätzung zwischen Mannschaft und Anhängern so groß ist, ist die „Räuberbande“ mit ihrem Logo zur neuen Saison nun auch auf den Palmersheimer Trikots vertreten. Auf der Platte muss Trainer Peter Trimborn einen größeren Umbruch verarbeiten und hat darüber hinaus mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. Trotzdem ist er optimistisch, dass sein Team die Erfahrung aus der vergangenen Saison weitergebracht hat: „Wir kennen jetzt so ein bisschen die Gangart und die Schnelligkeit in der Liga. Da musst du dich erstmal dran gewöhnen.“