2. Bundesliga
Klarer Auftrag: Essen und Dormagen wollen „nur“ drinbleiben
TSV Bayer startet gegen TuS N-Lübbecke, TuSEM in Hamm-Westfalen. Beide versuchen es mit sehr jungen Mannschaften.

Wo fliegt er denn? Patrick Hüter (Nummer 25/blaues Trikot) fühlt sich normalerweise ganz wohl im dicksten Getümmel. Torhüter Martin Juzbasic und Regisseur Ian Hüter (von rechts) wissen auch genau, dass die Dormagener ihren angeschlagenen Kapitän eigentlich dringend brauchen – nicht nur (wie hier) in Spielen gegen die Eulen Ludwigshafen (Foto: Thomas Schmidt)

Beide wissen als Trainer genau, wovon sie reden. Und beide können sich genau in das hineindenken, was Spieler gerade empfinden – weil sie es einst in ihrer Karriere als aktive Handballer selbst mitgemacht haben. Und beide leiten mittlerweile mehr denn je ein Unternehmen der Art „Jugend forscht“, das sie in der 2. Bundesliga zu einem guten Ende führen wollen. Das heißt übersetzt: Champions-League-Gewinner Matthias Flohr (2013 mit dem HSV Hamburg) strebt mit dem TSV Bayer Dormagen in der jetzt beginnenden Saison 2023/2024 genauso den Klassenerhalt an wie Weltmeister Michael Hegemann (2007) mit TuSEM Essen. Um mehr kann es kaum gehen, weil die Konkurrenz im Vergleich zur vergangenen Saison sicher nicht schwächer geworden ist. „Alle Mannschaften, die dabei sind, haben Zweitliga-Niveau“, sagt Flohr, „und davon müssen am Ende zwei absteigen.“ Weil er schon früher als Kämpfer galt und als einer, der zuverlässig hundert Prozent einsetzt, gibt er den Dormagenern aber eine einfache Formel mit auf den Weg: „Das wollen und werden nicht wir sein.“ Hegemann steht auf der Margarethenhöhe ebenfalls vor einer fordernden Aufgabe, zeigt sich allerdings eine Spur offensiver: „Wir haben zwar individuelle Qualität verloren, fangen das aber als Mannschaft auf. Es ist unser Anspruch, dass wir wieder eine gute Rolle spielen.“ Der TSV Bayer wird am Freitagabend gegen 22 Uhr nach der Auftaktpartie gegen den TuS N-Lübbecke schon etwas klarer wissen, wo seine Position liegen könnte, während die Essener ihre erste Standort-Bestimmung am Samstag beim Bundesliga-Absteiger ASV Hamm-Westfalen bekommen. Es sind knackige erste Hürden auf einem Marathon, der sich über acht Monate bis zum 1. Juni 2024 erstreckt und den Beteiligten in 34 Spielen eine Menge abverlangen wird.

Die Dormagener verabschiedeten am Ende der vergangenen Serie, die ihnen über Platz 15 den Klassenerhalt brachte, zum Beispiel in Aron Seesing (zum Bergischen HC in die 1. Bundesliga), André Meuser, Jakub Sterba und Jaka Zurga einige Stammkräfte des bisherigen Kaders – den sie nicht zuletzt aus finanziellen Gründen umbauen mussten. Die bekanntesten Zugänge werden die rechte Seite verstärken: In Peter Strosack (29) kam ein erfahrener Rechtsaußen vom Auftaktgegner TuS N-Lübbecke, vom VfL Gummersbach per Zweitspielrecht in Finn Schroven (20) ein Rückraumspieler, der vor allem durch enorme Schnelligkeit und Spielwitz eine Gefahr für jede Abwehr sein kann. Der größere Teil der „Neuen“ stammen aus der eigenen A-Jugend, denen Flohr zusammen mit den wenigen „Alten“ eine Menge zutraut: „Wir haben eine stolze Aufgabe vor uns, aber wir haben auch auf jeden Fall eine gute Mannschaft. Wir brauchen die Balance zwischen gestandenen Zweitliga-Spielern und solchen, die es noch werden wollen. Der Klassenerhalt ist absolut machbar.“ Dass dabei der Start gegen den Vorjahresfünften trotz des Strosack-Wechsels ins Sportcenter bereits relativ happig werden dürfte, liegt an den offensichtlich unterschiedlichen Möglichkeiten beider Seiten: Der TuS konnte sich jetzt unter anderem durch Fynn Hangstein verstärken, der zuletzt zweimal der beste Torschütze in der 2. Bundesliga war – 2021/2022 mit 277 und 2022/2023 mit 262 Toren für den auch deshalb in die 1. Bundesliga aufgestiegenen ThSV Eisenach.

Ähnlich prominent ist der TSV Bayer nicht besetzt – was für Matthias Flohr grundsätzlich allerdings kein Nachteil sein muss: „Es kommt nicht auf die Namen an, sondern auf die Mannschaft.“ Um den einen oder anderen Eckpfeiler macht er sich allerdings trotzdem gerade Sorgen – besonders um Patrick Hüter, der als Abwehrchef, Kreisläufer und Kapitän einer der wenigen echten Führungsspieler und darum beinahe unverzichtbar ist: Dem 28-Jährigen macht aktuell wieder/immer noch eine Verletzung an der Wade zu schaffen. Weil daneben bei Jan-Christian Schmidt (18), dem zuletzt bei der Europameisterschaft der U 19 in Kroatien stark belasteten Talent aus dem eigenen Nachwuchs, deutlich die Strapazen der vergangenen Wochen zu spüren sind, müssen sich die Dormagener vielleicht defensiv wie offensiv noch etwas ganz Neues einfallen lassen – falls gleich beide dazu gezwungen sind, kürzerzutreten. Angeschlagen ist zudem Rückraumspieler Alexander Senden (27), der beim TSV Bayer inzwischen ebenfalls zur Abteilung Erfahrung gehört. Vielleicht hilft ja die Erinnerung an den 6. April 2023: Auch damals war Dormagen gegen N-Lübbecke der klare Außenseiter – und gewann trotzdem dank einer richtig guten Vorstellung mit 30:25.

In Essen muss Trainer Hegemann wie der Kollege Flohr ohne einige der bisherigen Stammkräfte planen – mal wieder. Regisseur Justin Müller (27) etwa entschloss sich, seine Karriere in Dänemark fortzusetzen, und Eloy Morante Maldonado (25) vollzog den bereits vor einem Jahr festgemachten Wechsel zum Bergischen HC in die 1. Bundesliga, wo inzwischen in der zweiten Saison der Hegemann-Vorgänger Jamal Naji als Chefcoach die Verantwortung trägt. Beide Spieler waren im Rückraum sehr wesentlich für Struktur und Torgefahr zuständig, sodass sie zumindest nicht sehr schnell zu ersetzen sind. In Kreisläufer Markus Dangers (29/zum Drittligisten HC Oppenweiler/Backnang) und Torhüter Sebastian Bliß (33/jetzt beim Drittliga-Aufsteiger Interaktiv.Handball) sind zudem Spieler mit noch mehr Erfahrung nicht mehr an Bord. „Es ist so, dass wir einige Leistungsträger abgegeben haben“, sagt Hegemann, „aber wir haben auch spannende neue Spieler bekommen.“ Kreisläufer Christian Wilhelm (21), früher unter anderem in Dormagen aktiv, wechselte vom Zweitligisten HC Empor Rostock ins Ruhrgebiet, und bei der Suche nach Rückraumspielern wurde der TuSEM ebenfalls fündig: Julius Rose (23/Wölfe Würzburg) ist auf der linken Seite zu Hause, während sich Philipp Asmussen (27/ebenfalls Rostock) auf der rechten Seite bewegt und Max Neuhaus (24/Eulen Ludwigshafen) in der Mitte mit für den Aufbau zuständig ist.

Die Vorbereitung lief aus Essener Sicht etwas holprig, weil im Training selten der komplette Kader mitmachen konnte und sich deshalb manche Dinge erst im Laufe der nächsten Wochen einspielen lassen. Hegemann will daraus aber keine Blanko-Entschuldigung ableiten: „Das geht ja vielen Mannschaften so.“ Besonders viel Zeit, an den fehlenden Details zu arbeiten, bleibt dem Neunten der vergangenen Saison auf der anderen Seite ohnehin nicht, zumal ihn ein dichtes Programm mit gerade am Anfang besonders hohen Hürden erwartet: Nach dem Beginn am Samstag beim Erstliga-Absteiger ASV Hamm-Westfalen steht am 10. September direkt das Duell der Nachbarn gegen die Dormagener auf dem Programm – das vermutlich für beide Seiten einiges für den weiteren Verlauf der Saison aussagen wird. Es schließen sich die Auswärts-Partien am 15. September beim VfL Potsdam und am 24. September beim HC Elbflorenz Dresden an, bevor zum Abschluss des Monats am 29. September der TuS N-Lübbecke in Essen antritt. „Das ist ein extrem knackiges Programm“, sagt der TuSEM-Coach, „aber einfache Spiele gibt es sowieso nicht mehr. Kann sein, dass es vorne zwei oder drei Mannschaften gibt, die sich etwas absetzen, und 13 andere, die mehr nach hinten schauen.“ Das könnte so oder ähnlich sogar vom Kollegen Flohr stammen – und vielleicht entwickeln sich die Dinge tatsächlich so. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht, Warum? Beide wissen eigentlich ziemlich genau, wovon sie reden.